—— 35 —— nachzuziehen. Dieſen Standpunkt haben meine Freunde im Ausſchuß keineswegs fallen gelaſſen. Wir ſind vielmehr nach wie vor der Überzeugung, daß bei gutem Willen eine Aufwendung ſtädtiſcher Mittel für die Arbeitsloſenfürſorge ſich recht leicht durchführen läßt, eben durch Beteiligung ſtädtiſcher Mittel an der gewerkſchaftlichen Arbeitsloſenunter⸗ ſtützung, und wir haben auch einen dahin gehenden Antrag im Ausſchuß geſtellt, der allerdings in einer Weiſe modifiziert wurde, daß wir ihn dann überhaupt nicht mehr aufrecht erhielten; aber wir haben mit keinem Wort den Standpunkt verleugnet, daß in dieſer Weiſe mit Aufwendung ſtädtiſcher Mittel in Charlottenburg ganz unab⸗ hängig von Berlin nach ziemlich einfachen Er⸗ wägungen bereits jederzeit vorgegangen werden könne. Aber auch darüber hinaus ſind wir keineswegs im Zweifel darüber, daß die Aufwendung ſtädtiſcher Mittel zu Zwecken einer Arbeitsloſenverſicherung, einer Arbeitsloſenfürſorge auf Grundlage einer Verſicherung, durchaus möglich iſt, auch wenn über den Kreis der gewerkſchaftlichen Arbeitsloſenver⸗ ſicherung hinaus eine allgemeine Arbeitsloſenver⸗ ſicherung ſeitens der Stadt in Angriff genommen werden ſoll. Wir ſind daher auch nicht in der Lage, dem zweiten Antrage des Ausſchuſſes ohne weiteres zuzuſtimmen, ſondern wir bitten, doch dieſen Antrag etwas ſchärfer zu formulieren, damit daraus der gute Wille der Stadtverordnetenverſammlung er⸗ tennbar wird, daß auf dem Wege der Anwendung ſtädtiſcher Mittel für die Zwecke einer Arbeitsloſen⸗ verſicherung vorgegangen werden ſoll. Wir unter⸗ breiten Ihnen daher einen Abänderungsantrag in folgender Weiſe: Antrag II des Ausſchuſſes ſo zu geſtalten: Die Stadtverordnetenverſammlung erſucht den Magiſtrat um möglichſt ſchleunige Ein⸗ bringung einer Vorlage behufs Verwendung ſtädtiſcher Mittel für die Zwecke der Arbeits⸗ loſenverſicherung. Wir wollen damit zu erkennen geben, daß wir nicht auf den einen von uns angedeuteten Weg uns ver⸗ ſteifen, daß wir aber den Grundſatz der Aufwendung ſtädtiſcher Mittel zum Zwecke der Arbeitsloſenver⸗ ſicherung grundſätzlich feſthalten, daß wir zu er⸗ kennen geben: Charlottenburg kann allein vorgehen. Und gleichzeitig beantragen wir, über dieſen Antrag namentlich abzuſtimmen, um damit feſtzuſtellen, wie weit der Kreis derjenigen unter Ihnen reicht, die gleich uns dieſen Grundſatz als einen berechtigten anerkennen. Meine Herren, ſollte dieſes Amendement zu dem Antrage II des Ausſchuſſes abgelehnt werden, ſo möchten wir Sie bitten, doch wenigſtens eine ganz ſchwache Abänderung dieſes Antrages noch vorzunehmen. Die von uns beantragte Form ver⸗ langt von dem Magiſtrat poſitiv möglichſt raſch eine Vorlage aus der Erkenntnis heraus, daß die Ver⸗ hältniſſe tatſächlich ſo liegen, daß zur Ausarbeitung einer ſolchen Vorlage nicht ſo außerordentlich viel Aufwand von Erwägungen und Vorarbeiten not⸗ wendig iſt. Aber, meine Herren, wenn Sie in Ihrer Mehrheit der Meinung ſind, daß wir eine ſolche Vorlage nicht verlangen können, trotzdem aber dem Grundſatz Ausdruck geben wollen, daß Sie verlangen, es ſolle etwas geſchehen, dann dürfen Sie den Antrag II nicht in der Form annehmen: der Magiſtrat möge in Erwägung ziehen, ob ſich die Verwendung ſtädtiſcher Mittel für die Zwecke der Arbeitsloſenverſicherung empfiehlt. Denn dadurch, meine Herren, geben Sie lediglich dem unbegrenzten Vertrauen zum Magiſtrat Aus⸗ druck, dem Sie ſchon einmal im Abſatz 1 Ausdruck gegeben haben, und wollen es vertrauensvoll in die Hände des Magiſtrats legen, zu unterſuchen, ob eine ſolche Verwendung in irgend einer Art möglich iſt, indem Sie dabei auf die Abgabe eines eigenen Urteils, daß eine Verwendung möglich iſt, verzichten. Deswegen beantragen wir, allerdings nur, falls unſer erſtes Amendement abgelehnt wird, ſtatt des Wortes: „ob“ zu ſetzen: „in welcher Weiſe“. Wenn Sie den Antrag II dann annehmen mit dem Wortlaut: „in welcher Weiſe“ uſw., ſo geben Sie damit der Meinung Ausdruck, daß die Verwendung ſtädtiſcher Mittel in der Tat zu erſtreben iſt, daß Sie nur im Moment nicht über die Art und Weiſe dieſer Verwendung ſchon ein endgültiges Urteil abgeben wollen, ſondern daß nun von dem Magiſtrat verlangen, in Erwägungen darüber einzutreten, in welcher Weiſe es geſchehen ſoll. Sie urteilen aber ſelbſt darüber, daß es a geſche ſoll. Freilich iſt auch das ja ein ſehr abgeſchwächter Antrag gegenüber dem, was wir urſprünglich verlangt haben; aber wenn eben nicht mehr zu erreichen iſt, ſo würden wir uns vorläufig damit begnügen, daß die Stadtverordnetenverſammlung ihrerſeits durch eine ſolche Beſchlußfaſſung dem Willen Ausdruck gibt, daß auf dieſem Gebiete etwas geſchehen ſoll. (Bravo! bei den Sozialdemo kraten.) Stadtv. Wöllmer: Meine Herren, ich möchte auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Dr Bor⸗ chardt nur in bezug auf die von ihm zuletzt erörterte Arbeitsloſenverſicherung eingehen. Die Ausfüh⸗ rungen des Herrn Kollegen Dr Borchardt heute, im Ausſchuß ſowie auch in der Sitzung vom 8. Januar waren getragen von ſeiner politiſchen Überzeugung, daß die Allgemeinheit die ſämtlichen Koſten der Arbeitsloſenverſicherung zu tragen hätte, und daß die Mittel, welche die beſtehenden Arbeiterorgani⸗ ſationen bereits zu dieſem Zwecke verwenden, nach ſeiner Anſicht die Allgemeinheit aufzubringen hätte, daß alſo die Organiſationen dieſe Laſten nach Anſicht' des Herrn Kollegen Dr. Borchardt und ſeiner Freunde eigentlich der Allgemeinheit abgenommen hätten. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Dieſer politiſchen Anſicht muß ich aber grund⸗ ſätzlich und entſchieden entgegentreten, und ich glaube, daß ein großer Teil der Mitglieder dieſer Verſammlung meiner Meinung ſein wird. Ich bin der Anſicht, daß eine Arbeitsloſen⸗ verſicherung baſieren muß auf der Selbſthilfe der Arbeiter; denn wenn ich vom Standpunkt demo⸗ kratiſcher Weltanſchauung dieſe Dinge betrachte, ſo würde ich es, wie in bezug auf alle menſchlichen Einrichtungen, als ein Unglück anſehen, wenn der Trieb zur Selbſthilfe verloren geht und an Stelle dieſes Triebes zur Selbſthilfe die ſtaatliche Be⸗ vormundung herrſcht. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Soll ſie ja gar nicht!) Meine Herren, ich bin der Anſicht, daß die Grund⸗ lage einer Arbeitsloſenverſicherung, ſei es, daß ſie das Reich oder eine Kommune einrichtet, die Selbſthilfe der Arbeiter ſein muß.