88 die Zahlen des Jahres 1902/1903, daß aber auch aus den an ſich günſtigeren Jahren Zahlen vorliegen, die zwar abſolut niedriger ſind als die vom Dezem⸗ ber 1907 und Januar 1908, wenn man aber berück⸗ ſichtigt, daß Charlottenburg zugenommen hat, auch für andere Zeiten denſelben Grad von Be⸗ ſchäftigungsloſigkeit ergeben wie jetzt. Die Zahlen zwingen alſo nicht, anzunehmen, daß jetzt ein größerer Grad von Beſchäftigungsloſigkeit vor⸗ liegt als früher. Dann habe ich geſagt, der Magiſtrat hat die⸗ jenigen Unterſtützungſuchenden, die ſich mit der Begründung der Arbeitsloſigkeit an die Armen⸗ verwaltung gewendet haben, auf den Steinplatz der Tiefbauverwaltung verwieſen, um dort Arbeit zu finden. Es ſind ſeit dem 15. Januar bis zum 10. Februar 118 Perſonen dorthin überwieſen worden. Von dieſen 118 Perſonen arbeiten zur⸗ zeit dort nur 28. (Hört, hört!) Der größte Teil von dieſen 118 hat ſich überhaupt nicht zur Arbeit gemeldet. Nun hat Herr Stadtv. Dr Borchardt geſagt: es handle ſich um gelernte und qualifizierte Arbeiter und das ſei ein Symptom, daß auch bei den quali⸗ fizierten Arbeitern Arbeitsloſigkeit herrſche. Ich habe aber den Verſuch gemacht, auch den Stand der Leute feſtzuſtellen, und kann verſichern, ſoweit es überhaupt feſtzuſtellen iſt, daß nur eine ganz geringe Zahl qualifizierter Arbeiter darunter iſt. Es ſind darunter vereinzelt Maler, Tiſchler, Stell⸗ macher, Schneider, überwiegend aber ungelernte Arbeiter und Bauarbeiter. Bei einigen hat nicht feſtgeſtellt werden können, welches ihr Stand iſt. In der Mehrzahl kann man aber ſagen: es ſind un⸗ gelernte Arbeiter, die feinere Arbeit nicht ge⸗ wohnt ſind und ſich die Hände nicht verderben, wenn ſie einmal Steine ſchlagen. Meine Herren, wenn ein Arbeiter ſich an die Armenverwaltung um Unterſtützung wendet, wo er weiß, daß er ſeine politiſchen Rechte verliert, ſo, meine ich, hat er die Pflicht, jede Arbeit, die man ihm zuweiſt, anzunehmen. (Sehr richtig!) Wenn der Tagelohn auch nur 2,20 ℳ beträgt die erſten 14 Tage, ſo meine ich doch, iſt 2,20 ℳ für ehrliche Arbeit beſſer als überhaupt keine Beſchäf⸗ tigung. Ich meine, von ſolchen Arbeitsloſen kann man verlangen, daß ſie jede Arbeit annehmen; wenn ſie es nicht tun, ſo zeigen ſie dadurch, daß eine Arbeitsloſigkeit noch nicht in dem Maße vor⸗ handen iſt. Das Material der Armenverwaltung zwingt alſo nicht zu der Folgerung, daß eine Arbeits⸗ loſigkeit in größerem Maße vorliegt. Im Gegenteil, die Zahlen beweiſen, daß jedenfalls bei den Leuten, die ſich an die Armenverwaltung gewendet haben, ein ſolcher Grad von Arbeitsloſigkeit nicht vorgelegen hat. Ich meine alſo, daß heute ebenſo wenig wie damals bei der Ausſchußberatung ein Grund vor⸗ liegt, von mehr zu ſprechen als von einem vor⸗ übergehenden Notſtande. Auch die Zahlen der Ortskrankenkaſſen werden Sie in den heutigen Tabellen finden. Wenn Sie ſie durchſehen, ſo finden Sie, daß im Dezember 1907 f gegen den Dezember 1906 eine weſentliche Vermin⸗ derung nur bei dem Baugewerbe eingetreten iſt, nämlich von 6400 auf 5200. Bei allen anderen zah Berufen, auch beim Maſchinenbau, ſind die Zahlen gleich. Auch die Zahlen der Ortskrankenkaſſen zeigen alſo keine weſentliche Verſchlimmerung. Vorſteher ⸗Stellv. Dr Hubatſch: Meine Herren, bevor ich das Wort weiter erteile, möchte ich mir erlauben, auf einige Tatſachen hinzuweiſen: erſtens iſt es gleich 10 Uhr, zweitens iſt eine nament⸗ liche Abſtimmung beantragt, und drittens haben wir noch mehr als 10 Punkte auf der Tagesordnung. Es haben ſich noch fünf Herren gemeldet. Ich bitte, daß dieſe fünf Herren die nötigen Konſequenzen aus dieſen Tatſachen ziehen. Stadtv. Wilk: Ich werde mich ſo kurz faſſen wie möglich in Anbetracht der vorgeſchrittenen Zeit. Das einzige Material, welches vorgebracht iſt, beweiſt ſicher nichts weiter, als daß man die ernſte kritiſche Lage wohl anerkennt. Aber man iſt aus den Erwägungen und Erwartungen abſolut nicht herausgekommen. Die Zahlen, die der Herr Referent angeführt hat, ſind nach meinem Dafürhalten rein theoretiſcher Natur. Ich würde ihm empfehlen, ſich die Zahlen der Arbeitsnach⸗ weiſe der Verbände anzuſehen, beiſpielsweiſe des Arbeitsnachweiſes des Metallarbeiterverbandes in der Charitéſtraße. Wenn Sie die große Zahl von Menſchen ſehen, die tagtäglich dorthin verkehren, lediglich zur Kontrolle, um ihre Arbeitsloſigkeit feſtſtellen zu laſſen, wenn Sie die hören würden, wie lange ſie arbeitslos ſind, und hören würden, wie es in ihren Familien ſteht, ſo würden Sie einen ganz andern Begriff von der Arbeitsloſigkeit er⸗ halten. Wenn dieſe Arbeitsloſen ſich nicht an die Armenverwaltung um Unterſtützung wenden, ſo iſt das ganz klar; Sie wiſſen ja alle, welche erbärm⸗ lichen Folgen die Armenunterſtützung in ſich birgt, daß der, der Armenunterſtützung empfängt, ein⸗ fach ſeines Wahlrechtes verluſtig geht. Nun iſt man weiter dazu gekommen, daß man qualifizierte Arbeiter nach dem Steinplatz verweiſt, und ſie gehen nicht hin und nehmen die Arbeit nicht an. Meine Herren, ich will Ihnen bloß mal ſagen: es würde ein Mechaniker auf den Stein⸗ platz hinausgeführt werden (Zurufe) — könnte aber doch der Fall ſein —, ja, meine Herren, wenn der Betreffende zu irgend einem Fabrikanten nachher kommt, ſo wird er jedenfalls vor die Frage geſtellt: Ja, wo haben Sie denn vorher gearbeitet? Er muß antworten: Ja, ich bin draußen auf dem Steinplatz geweſen. Da ſagt ihm der Fabrikant: Na, lieber Freund, da kloppen Sie man weiter Steine! (Heiterkeit.) Das iſt ganz ſelbſtverſtändlich; der Mann braucht Mechaniker und keine Steinklopfer. Wenn Sie die ernſte Abſicht haben, irgend etwas für die Arbeits⸗ loſen zu tun, dann, bitte ich, laſſen Sie gleich ſämtlichen Gewerkſchaften eine Subventionierung zuteil werden. Damit können Sie weit mehr leiſten als durch ſämtliche Erörterungen hier. Ich möchte anführen, daß eine ſolche Subventionierung der Gewerkſchaften in den Städten Gent und Straßburg durchgeführt iſt. Ich möchte zum Schluß noch eine Zahl an⸗ ühren. Der Deutſche Metallarbeiter⸗Verband Sektion Berlin hat im Januar 1908 an Arbeits⸗ loſenunterſtützung die Summe von 153000 ℳ ge⸗ lt. Nun machen Sie ſich einen ungefähren Be⸗ griff, welch kolloſſale Summen die Arbeiterſchaft