89 auf Grund der Selbſthilfe zuſammen bringen muß! Das iſt ganz kolloſſal. Und da ſtellen Sie ſich auf den Standpunkt, daß Sie weiter nichts machen können als bloß immer wohlwollende Erwägungen! Stadtv. Dr Spiegel: Meine Herren, ich glaube nicht, daß die Ausführungen des Herrn Vor⸗ redners ſehr geeignet waren, zur Klärung der Sache irgendwie beizutragen. Er hat, nachdem Herr Stadtrat Samter ſoeben die Behauptung widerlegt hat, es handle ſich bei den aufs Steine⸗ klopfen Hingewieſenen um qualifizierte Arbeiter, ſie trotzdem widerholt. Damit gewinnt ſie nicht an Richtigkeit. Außerdem muß der Herr Vorredner ſich doch ſelbſt ſagen, daß, wenn eine Arbeitsloſen⸗ verſicherung durchgeführt wird, ſie niemals ſo weit gehen kann, dem Arbeitnehmer die Unterſtützung ſchon zu gewähren, wenn ihm nicht genau die Arbeit nachgewieſen werden kann, an die er bis⸗ her gewöhnt war. Soweit Erfahrungen über Arbeitsloſenverſicherung vorliegen, muß eine Ar⸗ beitsloſenverſicherung, die ſich halten will, immer darauf beſtehen, daß die Arbeit angenommen und behalten wird, die von dem Arbeitsnachweis nachgewieſen werden kann. Anders wird es ſich bei uns auch nicht machen laſſen. 9 Der Herr Vorredner hat dann die Forderung wiederholt, die Stadt ſolle die Gewerkſchaften unterſtützen. Das iſt in der Tat, auch wenn man ſich nicht ſtrikte auf den Standpunkt des Herrn Kollegen Stadthagen ſtellen will, ein ſehr zweifel⸗ hafter Fall; denn zunächſt kommen die Unter⸗ ſtützungen, die wir den Gewerkſchaften zahlen würden, nur deren Mitgliedern zugute, F (Stadtv. Zietzſch: Sehr richtig!) und die große Zahl der nichtorganiſierten Arbeiter würde dabei vollſtändig ausfallen. Wir haben aber nicht den geringſten Anlaß, uns den nicht organiſierten Arbeitern gegenüber anders zu ſtellen als den organiſierten gegenüber. Das Mindeſte würde ſein, daß die Gewerkſchaften prozentual dem von der Stadt geleiſteten Beitrag auch an die nicht organiſierten Arbeitsloſen auszahlen. (Zuruf des Stadtv. Dr Borchardt.) Das iſt möglich und auch ſchon gemacht worden. (Erneute Zurufe des Stadtv. Dr Borchardt: Ich ſage: wohl möglich!) Würden aber die Gewerkſchaften auch dieſen Modus wählen, und würden ſie es noch ſo gut meinen, ſo würde immer der Verdacht bei den unorganiſierten Arbeitern beſtehen bleiben, daß ja doch die Leiter der Gewerkſchaften über ihre Unterſtützungsbedürftigkeit und über ihre Unter⸗ ſtützungswürdigkeit entſcheiden, und es würde da⸗ mit immer ein indirekter 3wang des Beitritts zu den Organiſationen ausgeübt werden können. Die Sache iſt an ſich alſo recht bedenklich, und ich nicht empfehlen, auf dieſem Wege vorzu⸗ gehen. Der Weg, auf dem allein wir dauernd das Ziel, den traurigen Folgen der unverſchuldeten Arbeitsloſigkeit entgegenzuwirken, erreichen können, iſt und bleibt eine Arbeitsloſenverſicherung großer Stils, eine Arbeitsloſenverſicherung, an der, wie mein Freund Wöllmer mit Recht bemerkte, vor allen Dingen die Selbſthilfe beteiligt ſein muß, zu der alſo die Arbeitnehmer beitragen müſſen, zu der aber auch vor der Allgemeinheit noch die Arbeitgeber als die nächſt Intereſſierten beizu⸗ tragen haben und in dritter Linie erſt die Staats⸗, eventuell die ſtädtiſchen Behörden. Die Meinungen ſind nicht geteilt darüber, daß eine ſolche Verſicherung wirkſam oder wenigſtens ideal wirkſam nur durch⸗ geführt werden kann vom Staate, bei uns alſo über den ganzen Staat Preußen oder möglichſt über das ganze Deutſche Reich. Es iſt aber immer⸗ hin die Möglichkeit anzuerkennen, daß auch größere Verbände, die wirtſchaftlich eine Einheit darſtellen, in ihren Grenzen, ſolange der Staat nicht eingreift, eine ſolche Ver⸗ ſicherung durchführen können. Dazu wäre aller⸗ dings zunächſt die geſetzliche Grundlage notwendig, die Möglichkeit, eine obligatoriſche Verſicherung mit Beiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer herbeizuführen. Sie ſehen, meine Herren, wie man das Pro⸗ jekt auch auffaßt, es bleibt kompliziert, und es wären immer gewiſſe Vorbedingungen zu erfüllen. Dshalb können wir gar nichts anderes tun, als zu⸗ nächſt einmal den Magiſtrat um Erwägungen zu bitten, wie ſich Derartiges nach Lage der Dinge durchführen ließe, welche Schritte, eventuell in Gemeinſchaft mit anderen Gemeinden, zu tun wären, um zunächſt die geſetzlichen und ſonſtigen Grund⸗ lagen zu ſchaffen, und in welcher Weiſe nachher ein Gebiet für eine Arbeitsloſenverſicherung zu⸗ ſammenzufaſſen wäre. Ich finde, daß dieſer Ge⸗ danke in dem zweiten Punkte des Ausſchußan⸗ trages zum Ausdruck gebracht iſt. Ich habe aber nichts dagegen, wenn wir im Sinne meiner Aus⸗ führungen noch etwas ſtärker betonen wollen, daß wir gern poſitive Maßnahmen ſehen, wenn ſie ſich ermöglichen laſſen, daß wir an der Bereit⸗ willigkeit der Stadtverordnetenverſammlung, in ſolchem Falle auch ſtädtiſche Mittel zu bewilligen, keinen Zweifel aufkommen laſſen. Ich würde des⸗ halb das zweite Amendement des Herrn Kollegen Dr Borchardt zur Annahme empfehlen, d. h. in dem Punkte II ſtatt: „o b ſich die Verwendung ſtädtiſcher Mittel empfiehlt“ zu ſagen: „»„ welcher Weiſe ſich die Verwendung ſtädtiſcher Mittel empfiehlt“. Was die gegenwärtige Lage anlangt, ſo meine ich, wir tun dasjenige, was die Antrag⸗ ſteller urſprünglich wollten: wir fordern den Magiſtrat in dem erſten Punkte der vom Ausſchuß beantragten Reſolution in einer ſehr höflichen, ver⸗ trauensvollen, aber, wie ich glaube, darum nicht weniger wirkſamen Weiſe auf, die notwendigen Maßregeln zu treffen. Ich bin überzeugt, daß der Magiſtrat ein ihm ſo ausgeſprochenes Ver⸗ trauen zu würdigen und zu rechtfertigen weiß. (Bravo! bei den Liberalen.) Stadtv. Gebert: Meine Herren,s bei den bis⸗ herigen Ausführungen fiel mir das Wort ein: uns Deutſchen hängt der Zopf immer noch hinten. Das trifft auch bei dieſer wichtigen Frage zu. Es wurde gefragt, ob man praktiſche Erfah⸗ rungen bei der Subventionierung der Gewerk⸗ ſchaften bereits gemacht habe, eventuell Material habe. Blicken Sie doch nach ihrem Erbfeind hin, nach Frankreich: das geht Ihnen ſo wunderſchön auf dieſem Gebiete voran! Blicken Sie nach Belgien: dort finden Sies! Blicken Sie nach Dänemark: dort wirds beraten! Und nun iſt es gar nicht einmal denkbar, daß eine Kommune in Deutſchland es in die Wege leiten kann, ſelbſt einmal vorzugehen?