91 Antrag lautete, eine Beſchlußfaſſung in der Weiſe vorzunehmen: Der Ausſchuß empfiehlt, die Unterſtützung derjenigen Arbeiterorganiſationen, welche Ar⸗ beitsloſenunterſtützungen zahlen, ins Auge zu faſſen und den Magiſtrat um eine ent⸗ ſprechende Vorlage zu erſuchen. (Stadtv. Holz: Sehr unrichtig!) Ich habe, als ich heute zum erſten Mal zum Worte kam, dieſe Frage der Unterſtützung der Gewerkſchaften nur geſtreift, in der Vorausſicht, daß dieſer Antrag, den wir ja deswegen auch heute nicht wiederholt haben, keine Annahme finden würde, weil Sie heute — na, mir fehlt der richtige Ausdruck — (Rufe bei den Liberalen: Schade!) — wenn der Ausdruck Sie nicht beleidigt — — (Rufe bei den Liberalen: Nein!) — weil Sie heute nicht reif genug ſind, (Große Heiterkeit — Rufe bei den Liberalen: Aha! — Stadtv. Zietſch: Sehr richtig!) den Antrag bereits anzunehmen. Das haben in deutlicher Weiſe die Ausführungen des Herrn Kollegen Wöllmer bewieſen, (Rufe bei den Liberalen: Sehr unreif! — Heiter⸗ keit) und deswegen hat Herr Kollege Wöllmer indirekt für den Antrag geſprochen. (Stadtv. Holz: Wöllmer iſt reif, wir ſind unreif! — Heiterkeit.) Herr Wöllmer betonte die Arbeitsloſenver⸗ ſicherung auf Grundlage der Selbſthilfe! Jede Arbeitsloſenverſicherung, meine Herren, wird aus⸗ gehen müſſen von der Selbſthilfe. Gerade das iſt auch der Grund, daß keine Arbeitsloſenverſicherung, mag ſie geſtaltet werden, wie ſie wolle, wird vorbei⸗ gehen können an den durch die Selbſthilfe ge⸗ ſchaffenen Arbeiterorganiſationen der Gewerk⸗ ſchaften, nicht einmal, wenn ſie geſchaffen wird von Leuten, die ſo mißtrauiſch den Gewerkſchaften gegenüberſtehen wie Herr Kollege Stadthagen, der meint — mit der ganzen Unbefangenheit, welche völlige Unkenntnis der Verhältniſſe verleiht —, (Heiterkeit) daß eine Unterſtützung, eine Zuwendung ſtädtiſcher Mittel an die Gewerkſchaften die Mittel, die die Gewerkſchaften ſonſt haben, irgendwie ſtärken könnte. Wer eine ſolche Meinung ausſpricht, der gibt eben damit der Auffaſſung Ausdruck, daß bei den Gewerkſchaften ſo eine Kaſſenwirtſchaft, ſolch ein Kuddelmuddel herrſcht, daß man alles durch⸗ einanderwirft, daß die Buchführung alles zu wünſchen übrig läßt; (Widerſpruch des Stadtv. Dr Stadthagen) der gibt eben der Meinung Ausdruck, daß die Arbeitsloſenverſicherung der Gewerkſchaften keine Verſicherung iſt, ſondern daß das Geld mittenmang genommen wird, mit herausgenommen wird von dem Gelde, das zu anderen Zwecken gegeben wird. Sonſt könnte unmöglich Herr Kollege Stadthagen meinen, eine Zuwendung an dieſe Kaſſen könnte die Gewerkſchaften in ihren andern Einrichtungen irgendwie ſtärken. Eine Zuwendung an die Kaſſen der Gewerkſchaften würde nichts weiter bedeuten als das prinzipielle Anerkenntnis der Aufwendung ſtädtiſcher Mittel zu den Leiſtungen, die auf dem Wege der Selbſthilfe bereits geſchehen ſind. Wenn Sie die neueſte Nummer der Sozialen Praxis oder des Reichsarbeitsblatt einſehen, ſo werden Sie daraus erſehen, daß die an das Statiſtiſche Amt des Reiches gerichteten Berichte der Ver⸗ bände ergeben, daß allein in dem Vierteljahr Oktober bis Dezember 1907 über 1 Million Mark für Zwecke der Arbeitsloſenverſicherung aufge⸗ wendet ſind. Es geſchieht alſo tatſächlich auf dem Gebiete der Selbſthilfe außerordentlich viel. Es ſoll nun aber prinzipiell anerkannt werden, daß nicht alles auf dem Gebiete der Selbſthilfe ſeitens der Arbeiter zu geſchehen hat, ſondern daß die größeren Verbände mit einzutreten haben, und daß, wie Herr Kollege Spiegel auch ausführte, auch die Arbeitgeber zu den Beiträgen heranzu⸗ ziehen ſind, etwas, was durch eine Kommune geſchehen könnte, was die Gewerkſchaften natürlich nicht ohne weiteres machen können. Bei Herrn Kollegen Spiegel berührt nun allerdings ſehr merkwürdig der Widerſpruch, daß er einerſeits auch die Selbſthilfe betont, anderer⸗ ſeits aber wiederum ſagt: „nun und nimmer kann die Stadt lediglich an Organiſationen Geld geben, denn dann fallen ja ganz weg die Unorganiſierten“. Wo bleibt denn da das gerühmte Prinzip der Selbſt⸗ hilfe? Soll das gerühmte Prinzip der Selbſthilfe nur gelten für die Organiſierten und nicht auch für Unorganiſierte? Das iſt ja gerade der Umſtand, an dem die Verſicherung der nicht Organiſierten ſcheitern wird, weil dieſe indifferenten Leute, die gegenüber ihren eigenen Klaſſenintereſſen in⸗ different ſind, auch keine Beiträge an die Stadt zahlen. (Zuruf bei den Liberalen: Das ſtädtiſche Geld!) Die Organiſierten verſichern ſich bei den Ge⸗ werkſchaften, die Unorganiſierten dagegen ſollen ohne jede Selbſtverſicherung etwas bekommen. (Widerſpruch bei den Liberalen.) Nein, meine Herren, unter derartigen Bedingungen gegebene ſtädtiſche Gelder würden die Ge werk⸗ ſchaften ſicher ablehnen. (Na, na! bei der Freien Vereinigung. — Rufe bei den Liberalen: Dann iſt es ja gut!) Das einzige, was Ihnen übrig bliebe, wenn Sie dieſes Prinzip der Selbſthilfe betonen, wäre eben, für die Unorganiſierten eine ſtädtiſche Arbeitsloſen⸗ verſicherung einzufhüren, aus welcher Kaſſe nur ſolche Unorganiſierten unterſtützt werden, die zu beſtimmten Bedingungen Beiträge dazu leiſten müſſen. Das iſt der Weg, den man überall verſucht hat, wo kommunale Arbeitsloſenverſicherungen ein⸗ geführt ſind neben den ge werkſchaftlichen; das iſt der Weg, der auch da überall verſagt hat. Übrig geblieben iſt in all den Städten — ſie ſind zum Teil ſchon genannt worden — immer nur die Zuwendung an die Gewerkſchaften, weil eben die Unorganiſierten die an ſich die ſchlechteſten Elemente der Arbeiter⸗ ſchaft ſind, (Lebhafter Widerſpruch bei den Liberalen) — ja, meine Herren, ſo iſt es! — (Stadtv. Dr Crüger: Bloß in den Gewerkſchaften ſind die braven Leute 1 — Nicht nur in den Gewerkſchaften, auch in den Ge werkvereinen und in den chriſtlichen Ge werk⸗ ſchaften ſind Organiſierte; wenn ich hier von Ge⸗ werkſchaften geſprochen habe, ſo iſt es ja ſelbſtver⸗ ſtändlich, daß es nicht eine beſtimmte Gruppe iſt, die ſich der Zu wendungen erfreuen ſoll, ſondern auch die Ge wertverein uſw.; mir lag der Ausdruck „Gewerkſchaften“ nur näher. (Stadtv. Dr Crüger: Das glaube ich!)