daß da, wo nur irgendwie ſich Handhaben für eine verwaltende oder geſetzgebende Körperſchaft finden, dieſem Elend, dieſer Not und dieſem Jammer Einhalt zu tun, die Verpflichtung in erſter Linie beſteht, hier helfend einzugreifen. Es kommt ja bei der Heimarbeit in Betracht, daß die Heimarbeiter und die kleineren Hausinduſtriellen der Aus⸗ nutzung durch den Unternehmer noch mehr aus⸗ geſetzt ſind als die in den Werkſtätten tätigen Lohn⸗ arbeiter. Es iſt auch bekannt, daß die Heim⸗ arbeiter unter äußerſt ſchlechten Wohnungsverhält⸗ niſſen zu leiden haben. Wir haben jüngſt bei der Beratung der Schankkonzeſſionsſteuervorlage von dem Magiſtrat gehört, daß der Magiſtrat jede Ge⸗ legenheit gern ergreife, um dem Wohnungselend, der Miſere in bezug auf die Kindererziehung und in bezug auf die unhaltbaren geſundheitlichen Verhält⸗ niſſe in vielen Famielin entgegenzutreten. Gerade in der Heimarbeit, bei der Hausinduſtrie, findet ſich dieſe Notwendigkeit, einzugreifen, doppelt und in dreifacher Fülle. Sie haben dort außer den ungemein ſchlechten Wohnungsverhältniſſen viele Mängel in der Kindererziehung — das Mitarbeiten der Kinder bis in die ſpäte Nacht hinein —, Sie haben in Verbindung damit natürlich auch eine Anhäufung geſundheitlicher Mißſtände, wie ſie überhaupt nur beſtehen können. Wer das nicht alles weiß, wem das nicht aus ſeinen eigenen oder den Erfahrungen anderer bekannt ſein ſollte, der wird ja ohne weiteres, wenn er ſich der Ausſtellung, die im Jahre 1906 in der alten Kunſtakademie in Berlin ſtattgefunden hat, entſinnt, wiſſen, daß das en in der Heiminduſtrie tatſächlich keine Grenze ennt. Um dieſem Elend Einhalt zu gebieten, ſind von der Geſetzgebung ſchon die verſchiedenſten Schritte unternommen worden. Es erübrigt ſich, hier auf die darauf bezüglichen einzelnen Punkte des näheren einzugehen. Ich erinnere aber daran, daß die ganze Reichsgeſetzgebung bisher das Elend in der Heiminduſtrie in nennenswertem Maße nicht eingeſchränkt hat und nicht eingedämmt haben kann, weil ſich die ganze reichsgeſetzliche Materie immer nur auf die Zigarrenarbeiter und auf die Konfektionsarbeiter beſchränkt, die im Hauſe beſchäftigt ſind. Die Heimarbeitausſtellung im Jahre 1906 hatte im Gefolge, daß von der Regierung eine Enquete veranſtaltet wurde, über deren praktiſche Ergebniſſe wir heute noch im Unklaren ſind, wenn man nicht am Ende gar die Heimarbeiterſchutzgeſetzgebung, deren Entwurf vor einigen Tagen im Reichstage vorgelegen hat, als das Reſultat dieſer Enquete annehmen will. Wenn das aber tatſächlich die Frucht jener unendlich weit umfaſſenden Enquete geweſen ſein ſoll, dann iſt bei der ganzen Geſchichte meiner Anſicht nach etwas ungeheuer Dürftiges herausgekommen. Denn ſelbſt dieſer jetzt dem Reichstag vorgelegte Entwurf, der ſich ja ſinngemäß der Gewerbeord⸗ nung angliedern muß, gibt durchaus nicht das, was man zur Einſchränkung der Heimarbeit und des Elends und der Not in der Heimarbeit fordern kann und muß. Vor allen Dingen fehlt dem jetzt im Reichstage vorgelegten Entwurf in allererſter Linie der Hauptpunkt, der in bezug auf die Be⸗ kämpfung des Heimarbeiterelends mit Erfolg in Anwendung gebracht werden kann: d. h. die Ein⸗ beziehung der geſamten Heimarbeiter und Haus⸗ induſtriellen in die Krankenverſicherungs⸗, die Invaliditäts⸗ und Altersverſicherungsgeſetzgebung. 149 —— Es iſt ja ohne weiteres erklärlich, daß die Heim⸗ arbeit nicht von heute auf morgen verſchwinden kann. Das glaubt keiner von uns. Sie iſt eben auch nur eine Folgeerſcheinung der allgemeinen wirt⸗ ſchaftlichen Verhältniſſe, und ſie wird nicht aus dem Rahmen des wirtſchaftlichen Geſamtorganis⸗ mus herausgeriſſen werden können. Darüber geben wir uns auch gar keinen Illuſionen hin. Wir wiſſen, daß der Widerſtand gegen jede ein⸗ greifende Beſſerung in der Heimarbeit auf ſeiten der Unternehmer ungeheuer ſtark iſt. Die Unter⸗ nehmer fußen ja in allererſter Linie darauf, daß ſie, je mehr Heimarbeiter ſie beſchäftigen, deſto mehr von all den Laſten befreit ſind, die die ſoziale Geſetz⸗ gebung ihnen ſcheinbar auferlegt hat. Sie brauchen die Heimarbeiter nicht in die Krankenkaſſen zu tun, ſie brauchen nicht die Hälfte der Beiträge für die Unfall⸗, Invaliditäts⸗ und Altersverſicherung zu zahlen. Gewiß, dieſes Sichentziehen der ſozialen Verpflichtungen gegenüber den Heimarbeitern durch die Unternehmer ſchließt ja nicht aus, daß die Heimarbeiter tatſächlich von der Krankenkaſſen⸗ verſicherung irgend welche Vorteile haben können. Wir haben ſpeziell hier in Charlottenburg die Er⸗ fahrung gemacht, daß die Heimarbeiter, die nicht von den Unternehmern der Krankenkaſſe ange⸗ ſchloſſen worden ſind, ſich auf Grund eines vorüber⸗ gehenden verſicherungspflichtigen Arbeitsverhält⸗ niſſes als Mitglieder in die Krankenkaſſe haben aufnehmen laſſen, nach kurzer Zeit dieſes formell geſchloſſene Verſicherungsverhältnis gelöſt haben und dann der Krankenkaſſe als freiwillige Mitglieder weiter angehörten. Dadurch wird aber nicht das getroffen, was wir treffen wollen, nämlich die Verſicherungsverpflichtung des Unternehmers feſtzuſtellen. Durch die freiwillige Krankenverſiche⸗ rung belaſtet ſich der Heimarbeiter allein, während der ganze Sinn der ſozialen Geſetzgebung, in erſter Linie der Krankenverſicherungsgeſetzgebung, darauf hinausgeht, daß der Unternehmer einen Teil der Verſicherungskoſten zu tragen hat. Darum kommt der Unternehmer durch die freiwillige Verſicherung der Heimarbeiter herum. Es iſt das ein doppeltes Unrecht, das an dem Heimarbeiter durch den Unternehmer verübt wird; denn die Ge⸗ fahren durch Krankheiten ſind durch die unhalt⸗ baren Wohnungsverhältniſſe, die vielfach bei den heimarbeitenden Familien anzutreffen ſind, in Ver⸗ bindung mit der geringeren Bezahlung, der größeren Ausbeutung der Frauen und auch der Kinder natürlich um vieles größer als beim Werkarbeiter. Wir dürfen uns auch darüber keinen Illuſionen hingeben, daß vielleicht die Heimarbeit von ſelbſt verſchwinden könnte, daß dieſelbe im deutſchen Wirtſchaftsleben gar nicht ſo arg in die Wagſchale fallen könnte und nicht ſtark in Betracht zu ziehen ſei. Die Heimarbeit hat in Deutſchland einen ganz erſchreckenden Umfang angenommen. Ich möchte mich hier nur auf das beſchränken, was der neue Staatsſekretär des Innern, Herr v. Bethmann Hollweg bei der Beratung der letzten Heimarbeiter⸗ ſchutzbeſtimmungen im Reichstage dazu angeführt hat. Er wies ausdrücklich darauf hin, daß er ſich nur auf die Zahlen der Gewerbezählung von 1895 ſtützen könnte, daß danach aber allein in der Textil⸗ induſtrie in Deutſchland über 195 000 Menſchen in der Heiminduſtrie gezählt worden ſind. 4 (Zuruf.) — Gewiß, dieſe Zahlen ſind angewachſen. Es liegt mir aber gar nichts daran, hier ſchwarz in ſchwarz