—. 150 — zu malen, ſondern ich will nur die Zahlen von 1895, die ein etwas abgeſchwächtes Bild geben, vorführen. — Im Bekleidungs⸗ und Reinigungsgewerbe ſind 159 000, in der Induſtrie der Holz⸗ und Schnitz⸗ ſtoffe 37 000, in der Metall verarbeitenden Induſtrie 20 000, in der Nahrungs⸗ und Genußmittelinduſtrie 15 000 Leute heiminduſtriell beſchäftigt geweſen; aber allein in der Heiminduſtrie der Textilinduſtrie ſind ſchon 1895 140 000 Kinder beſchäftigt worden. Das ſind ganz erſchreckende Zahlen. Der Staats⸗ ſekretär des Innern, Herr v. Bethmann Hollweg, hat bei Anführung dieſer Zahlen auch betont, daß ſeit jener Zeit die Ausdehnung der Heimarbeit nicht eingeſchränkt worden iſt, ſondern daß die Heimarbeit ſich immer mehr und mehr ausgedehnt hat. Das ſtimmt im allgemeinen. Es trifft aber nicht nur für das geſamte deutſche Wirtſchaftsgebiet zu, fondern auch ſpeziell für unſeren Intereſſenkreis, für Groß⸗Berlin, insbeſondere Charlottenburg, worauf ich nachher noch kurz zu ſprechen kommen werde. Es iſt nicht nur die Auffaſſung meiner Parteifreunde, daß die Heiminduſtrie ungeheuer ſchädigende Folgen mit ſich bringt, ſondern auch der Staatsſekretär des Innern hat im Reichstage ausdrücklich darauf hingewieſen. Er ſagte: Am lebhafteſten iſt das Intereſſe wachgerufen —der Heimarbeit mit ihren Schäden entgegen⸗ zutreten — durch die Mißſtände, welche in der Hausinduſtrie ganz zweifellos beſtehen in bezug auf die Be⸗ ſchaffenheit von Räumlichkeiten, auf die Her⸗ richtung der Betriebsgegenſtände, auf teilweiſe abſolut ungenügende Lohnverhältniſſe, auf Gefahren in ſittlicher und ſanitärer Beziehung. Und dabei iſt zu bedenken, daß gerade in der Hausinduſtrie eine Unmenge verſchwiegener Sorge und verſchwiegener Not ſich in den Werk⸗ ſtätten birgt, in denen Hausarbeit in fleißiger und vielfach überfleißiger Arbeitgeleiſtet wird. Ich brauche mich ja des näheren hierüber nicht auszuſprechen. Sie werden alle ohne weiteres meine Auffaſſung darüber teilen. Wenn ich ge⸗ ſagt habe, daß die Heimarbeit ſich nicht nur im allgemeinen deutſchen Wirtſchaftsgebiet, ſondern auch hier in Charlottenburg ausgedehnt hat, ſo weiſe ich auf das immer ſtärkere Anwachſen der Textilinduſtrie in Charlottenburg hin, mit der die Heimarbeit ja Hand in Hand geht. Zahlen kann ich Ihnen dafür natürlich nicht anführen, die ſtehen mir nicht zu Gebote; ſie werden aber auch dem Magiſtrat oder ſonſt jemand nicht ſo leicht zu Gebote ſtehen können, weil es ungeheuer ſchwer iſt, dieſe Zahlen aus den allgemeinen Bevölkerungs⸗ zahlen herauszuziehen. Zweifellos beſteht aber in Charlottenburg auch eine Heimarbeit in der Z3i⸗ garreninduſtrie, und ich weiß ſelbſt aus meiner Erfahrung, daß in der Bonbon⸗ und Zuckerinduſtrie Kinder und Frauen in großer Anzahl in Char⸗ lottenburg zu Hauſe beſchäftigt werden. Ich kenne ſelbſt ein Haus, in dem ich früher gewohnt habe, worin einige Familien ihre Kinder mit Bon⸗ boneinwickeln beſchäftigen. Das ging ſelbſtver⸗ ſtändlich nicht nur in den Nachmittagsſtunden vor ſich, ſondern dieſe Arbeit der Kinder dauerte häufig bis in die ſpäten Abendſtunden hinein. Ferner unterhält die Konfektion in Charlotten⸗ burg auch verſchiedene, vielleicht ſehr zahlreiche Heimarbeiter und Heimarbeiterinnen. Die Heim⸗ arbeit in der Weißzeugnäherei iſt in Charlotten⸗ burg auch gar nicht ſo unbeträchtlich. Es iſt eine ziem⸗ lich große Zahl von heimarbeitenden Frauen mit dem gewerblichen Nähen von Schürsen 7 hier beſchäftigt. 1 Wenn nun auf der einen Seite das Reich! in Ver⸗ bindung mit dem Staate nichts Durchgreifendes getan hat, um dieſer Not der Heimarbeiter ent⸗ gegenzutreten, wenn es vielleicht durch die un⸗ geheuren Schwierigkeiten der Materie immer ab⸗ gehalten worden iſt, beſſernd und mit feſter Fauſt einzugreifen, wenn aber auf der andern Seite den Gemeinden ein Mittel in die Hand gegeben iſt, in irgend einer Beziehung die Not und das Elend in den Heimarbeiterkreiſen zu mildern, dann ſollte fich keine Kommune dieſer ſozialen Verpflichtung entziehen. Und dieſe Möglichkeit iſt den Gemeinden in § 2 Abſ. 3 und 4 des Krankenverſicherungsge⸗ ſetzes vom 10. April 1892 gegeben. Die Gemeinden haben aber nicht nur aus dem Gefühle ſozialer Verpflichtung gegenüber den Minderbemittelten, den wirtſchaftlich Unterdrückten von dieſer geſetz⸗ geberiſchen Handhabe Gebrauch zu machen, ſon⸗ dern ſchon mit Rückſicht auf die großen Gefahren, die ſich in der Heimarbeit für das allgemeine Leben bergen, werden ſie zu energiſchem Handeln ge⸗ drängt. Ich unterſchätze nun durchaus nicht, wie ich vorhin ſchon geſagt habe, die Schwierig⸗ keiten dieſer Materie, verkenne auch nicht, daß es unſerm Magiſtrat manches Kopfzerbrechen be⸗ reiten wird, in welcher auch für die Heimarbeiter erſprießlichen Weiſe dieſem Antrage ſtattgegeben, wie er in der Praxis durchgeführt werden kann. Die ganze Heimarbeit, auch die Hausinduſtrie iſt von einer wirtſchaftlichen und rechtlichen Kom⸗ pliziertheit begleitet, daß eine Klärung ſich durch eine Tagesſitzung nicht wird erreichen laſſen. Die einzelne Gemeinde wird unter Zugrundelegung der in den verſchiedenen Gemeinden ſchon ge⸗ ſammelten Erfahrungen und geſchaffenen Sta⸗ tuten immer an Hand ihrer beſonderen Erfahrungen vorgehen müſſen. Es kann auch vielleicht von irgend einer Seite geſagt werden, mein Antrag drücke ſich nicht präzis genug aus, weil er in erſter Linie die Heimarbeiter unter das Obligatorium der Kranken⸗ verſicherung ſtellen möchte. (Sehr richtig!) Man kann da verſchiedener Auffaſſung ſein. Man kann ſagen: richtig iſt es eigentlich, daß Haus⸗ induſtrielle darunter begriffen werden, (ſehr richtig!) weil ja die Meinung auf der einen Seite beſteht, daß der Heimarbeiter auf Grund des § 1 des Krankenverſicherungsgeſetzes ohne weiteres ver⸗ ſicherungspflichtig iſt. Theoretiſch will ich das auch gelten laſſen; dem ſteht aber die Praxis entgegen. Gehen Sie einmal in die Heimarbeiterkreiſe und fragen Sie dort nach, wieviel Heimarbeiter ver⸗ ſichert ſind! Jener Auffaſſung ſteht aber auch die praktiſche Erfahrung entgegen, die von vielen Krankenkaſſen erlangt worden iſt. Ich weiß nicht, ob man der Charlottenburger Krankenkaſſe Ge⸗ legenheit gegeben hat, ſich in dieſer Beziehung zu äußern. Es iſt aber ſchon darauf hingewieſen worden, daß ein großer Teil der Heimarbeiter freiwillig verſichert iſt, und daraus ergibt ſich doch ohne weiteres, daß der jetzt ſchon auf Grund des § 1, zur Anmeldung verpflichtete Arbeitgeber ſekundärer Art — ich rede nicht von dem Arbeit⸗ geber in erſter Linie — ſich um die Erfüllung ſeiner ſozialen Verpflichtung herumgedrückt hat;