denn ſonſt würden ſich die Heimarbeiter nicht frei⸗ willig weiter verſichern. Dadurch iſt ſchon der Be⸗ weis geliefert, daß in der Praxis von dieſem theo⸗ retiſchen Grundſatz erheblich abgewichen wird. Ich ſträube mich ſelbſtverſtändlich nicht dagegen, erkläre mich ſogar gern damit einverſtanden, daß der Magiſtrat in weitgehendſter loyaler Weiſe meinen Antrag in der Weiſe auslegt, daß es nicht heißt in dieſem beſchränkteren Sinne „Heim⸗ arbeiter“, ſondern „Hausinduſtrieller“. Wenn ich bloß in meinem Antrage geſagt hätte: es ſollen Hausinduſtrielle mit einbegriffen werden, dann würde das ſelbſtverſtändlich an dem beſtehenden Zuſtande in der Tat recht wenig ändern. Wir wollen ja, daß dieſe Beſtimmung der Krankenver⸗ ſicherung ſtrikt durchgeführt wird, daß die Heim⸗ arbeiter tatſächlich verſichert werden, daß die Arbeitgeber ihre ſozialen Verpflichtungen ihnen gegenüber einlöſen müſſen. Hätte ich geſagt „Hausinduſtrielle“, dann würden uns doch wieder die größeren Kreiſe der Heimarbeiter entwiſcht ſein; dann hätten wir die paar ſekundären Arbeitgeber erwiſcht und nichts weiter. (Zuruf des Stadtv. Holz: „Die Hausinduſtriellen“ gehen weiter!) — Die „Hausinduſt riellen“ gehen nicht weiter. Man kann den Begriff weiter faſſen mit der von mir ab⸗ gegebenen Erklärung; aber Sie dürfen nicht ver⸗ geſſen: wenn Sie ſich auch ſicher ſind über den Begriff „Heimarbeiter“ und „Hausinduſtrielle“, die Heimarbeiter und Hausinduſtriellen ſind es noch lange nicht. Viele Heimarbeiter ſtehen auf dem Standpunkt: ſie ſind Hausinduſtrielle, und mancher Hausinduſtrielle ſteht auf dem Standpunkt: er iſt Heimarbeiter. Darüber werden die Meinungsver⸗ ſchiedenheiten in der Praxis noch weiter gehen. Ich verhehle mir keinen Augenblick, daß eine prä⸗ ziſe Form, die juriſtiſch und für die Praxis einwand⸗ frei niedergelegt werden könnte, nicht ſo leicht zu finden ſein wird. Ich weiß auch, daß es ſchwer ſein wird, nachher in dieſem Ortsſtatut feſtzu⸗ ſtellen: wer iſt zur Anmeldung der Heimarbeiter verpflichtet? derjenige, der die Arbeit in erſter Linie ausgibt, z. B. in der Konfektionsbranche, der eigentliche Unternehmer, der eigentliche Kaufmann, oder der Zwiſchenmeiſter? Durch das Ortsſtatut, das man in Berlin hat, iſt ia die Sache ſo geregelt, daß in erſter Linie der Haus⸗ induſtrielle der Anmeldeverpflichtete iſt, in zweiter Linie der primäre Arbeitgeber. Der den Beitrag Leiſtende iſt in letzter Line ſelbſtverſtändlich immer der primäre Arbeitgeber, und das wird auch hier durchgeführt werden müſſen. Die Ausdehnung der Verſicherung auf alle dieſe Arbeiter, auf Hausinduſtrielle und Heim⸗ arbeiter, iſt unbedingt notwendig, um eben die Erfüllung der ſozialen Verpflichtungen der Arbeit⸗ geber durchführen zu können. Wenn die Materie auch ſchwierig iſt, in Berlin hat man doch ver⸗ ſucht, ſie zu regeln. Es iſt ja richtig, daß das Ber⸗ liner Ortsſtatut vielleicht nach der Auffaſſung ein⸗ zelner Herren gut auf dem Papier ſich ausnimmt, in Wirklichkeit aber nicht durchführbar iſt. Da nehme ich keinen Anſtand, hier zu erklären, daß unſere ganze ſoziale Verſicherungsgeſetzgebung, unſere ganze Arbeiterſchutzgeſetzgebung, die wir in Deutſchland haben, zum großen Teile nur auf dem Papier ſteht, (na! na!) daß ſie in Wirklichkeit häufig noch nicht mal zu 25 % durchgeführt wird, ( Widerſpruch) daß häufig die Durchführung der ſozialen Geſer⸗ gebung in Deutſchland ſcheitert vielleicht an dem mangelnden Willen der Regierung, vielleicht aber auch an ihrer mangelnden Kraft gegenüber dem Unternehmertum in Deutſchland. (Widerſpruch und Unruhe.) Wenn der Wille bei der deutſchen Reichsregierung vorhanden wäre, dann hätte ſie dafür ſorgen müſſen — und nicht nur ſie, ſondern auch die Einzelland⸗ tage —, daß die Gewerbe⸗ und Fabrikinſpektion entſprechend den von der Arbeiterſchaft geſtellten Anträgen ausgebaut wird. Das iſt bisher nicht ge⸗ ſchehen. Dann wiſſen Sie auch jedenfalls aus eigener Erfahrung, beſſer noch als ich, wie milde einzelne Gerichte Uberſchreitungen der ſozialen Geſetzgebung beurteilen — von Beſtrafung kann man nicht reden. (Widerſpruch.) — Sie bezweifeln das, meine Herren? (Zurufe: Sehr!) Dann, bitte, leſen Sie die betreffenden Gerichts⸗ urteile durch, durch welche die körperliche Ver⸗ letzung eines Arbeiters, die nachweislich durch die Schuld des Arbeitgebers entſtanden iſt, dadurch, daß der Arbeiter keine Schutzvorrichtungen an den Maſchinen gehabt hat, und andere Verfehlungen geahndet,werden mit 3 ℳ 10 ℳ. uſw., (Zuruf: Gehört nicht hierher!) wo die ganz maßloſe Ausnutzung der weiblichen Arbeitskraft und der Arbeitskraft der Kinder mit 20 und 25 ℳ. beſtraft wird! Wenn die Geſetzgebung in Deutſchland in dieſer Art gehandhabt wird, dann iſt ſie keine ſoziale Geſetzgebung mehr. Dann haben Sie recht, zu ſagen: „Es ſteht nur auf dem Papier“. Wenn ein derartiges Ortsſtatut für Charlottenburg erlaſſen werden ſoll, ohne daß durch eine kräftige Kontrolle für ſeine Verwirklichung geſorgt wird, dann haben Sie auch recht, gegen die gute Wirkung eines derartigen Ortsſtatuts miß⸗ trauiſch zu ſein. Es kommt aber ferner hinzu, daß nicht nur Ber⸗ lin in dieſer Weiſe vorgegangen iſt, ſondern auch in jüngſter Zeit Breslau. Es war ungefähr vor 14 Tagen, als die Breslauer Stadtverordneten⸗ verſammlung ein Ortsſtatut, wie es Berlin ſchon beſitzt, angenommen hat. Man hat auch in Breslau geſagt: warum ſollen wir uns denn damit beeilen? Die Breslauer haben ſich drei Jahre Zeit gelaſſen, um das Ortsſtatut in die Form zu gießen, in der es jetzt vorliegt, und bürgerliche Stadtverordnete daſelbſt haben noch in letzter Stunde die Ein⸗ wendung gemacht, daß ſich Breslau mit dieſer Sache gar nicht zu beeilen brauchte, weil das Reich in allernächſter Zeit eine Regelung auch dieſer Materie vornehmen würde. Meine Herren, wenn Sie ſich auf die ſoziale Geſetzgebung im Reiche verlaſſen wollen, dann dürften neben Ihnen in allererſter Linie die Heimarbeiter ver⸗ laſſen bleiben. Es iſt ja durchaus nicht zu verkennen, daß man vielleicht in der nächſten Zeit zu einer Vereinheitlichung der Arbeiterverſicherungsgeſetz⸗ gebung, der Kranken⸗, Invaliditäts⸗ und Alters⸗ verſicherungs⸗ ſowie der berufsgenoſſenſchaftlichen Geſetzgebung gelangen wird. Aber ob man damit zu gleicher Zeit die ſoziale Geſetzgebung nach dieſer Seite hin ausdehnen wird, iſt für mich um ſo zweifel⸗ hafter, als wir jetzt anſcheinend unter dem ſtarken