— 152 — Drucke gewiſſer Unternehmergruppen in Deutſch⸗ land ſtehen, deren Auffaſſung nach die ſoziale Geſetzgebung in Deutſchland viel zu raſend dahin⸗ ſchießt. Und dann wiſſen Sie auch aus den Er⸗ fahrungen, die Sie auf anderen Gebieten gemacht haben, daß das Sichverlaſſen auf die Geſetzgebung des Reiches oder des Staates Sie immer ins Hintertreffen bringt. Sie haben die Erhöhung der Beamtenbeſoldung uſw. auch hinausgeſchoben im Vertrauen darauf, daß Reich und Staat die Ge⸗ hälter ihrer Beamten erhöhen würden, und wenn Sie heute noch auf die Erhöhung der Staats⸗ und Reichsbeamtengehälter warten wollen, dann könnten Sie jetzt noch immer nicht eine Reviſion des Normaletats in der von Ihnen gewünſchten Weiſe, die auch den Intereſſen der Beamten ent⸗ ſpricht, vornehmen. Alſo meiner Meinung nach brauchen wir auf das Reich nicht zu warten, dürfen es auch nicht, und wir dürfen uns auch nicht durch die Schwierigkeit der Materie abſtoßen laſſen. Meine Herren, machen Sie doch das wahr, was immer behauptet wird: in ſozialpolitiſcher Be⸗ ziehung läßt ſich Charlottenburg von keiner andern Gemeinde in Deutſchland überflügeln, es will immer an der Spitze marſchieren! Machen Sie das wahr, dann werden Sie trotz der Schwierig⸗ keiten der Materie, trotz der recht ungewiſſen Hoffnungen auf das Reich ſchließlich zu der Auf⸗ faſſung kommen, daß eine tiefe Wahrheit in dem 4 liegt: wo ein Wille iſt, da iſt auch ein eg! (Bravo! bei den Sozialdemokraten.) Stadtrat Boll: Meine Herren, ich will mich nicht auf die Kritik, die der Herr Vorredner an unſerer ſozialen Geſetzgebung geübt hat, einlaſſen. Nur das eine möchte ich bemerken, daß, glaube ich, in der ganzen Welt ein zweites derartiges Werk für die Arbeiter nicht exiſtiert. Es mögen noch manche Lücken darin ſein, es mag noch manches zu ergänzen ſein; aber es iſt ein Werk, auf das jeder Deutſche ſtolz ſein kann. (Bravo!) Ich möchte zunächſt einmal feſtſtellen, was das Geſetz — und darauf kommt es doch an — unter „Heimarbeiter“ verſteht. Darunter verſteht das Geſetz diejenigen Arbeitnehmer, die aus irgend einem Grunde außerhalb der Betriebsſtätte ihres Arbeitgebers arbeiten. Dieſe Leute ſind ſchon ſeit 1892 durch die damalige Novelle verſicherungs⸗ pflichtig. Hier können alſo nur in Frage kommen — und das meint anſcheinend der Antrag, ſo iſt er wenigſtens durch den Herrn Antragſteller erklärt worden — die ſogenannten Hausinduſtriellen, die in § 2 des Geſetzes unter Nr. 4 genannt ſind. Es heißt da: ſelbſtändige Gewerbetreibende, welche in eigenen Betriebswerkſtätten im Auftrage und für Rechnung anderer Gewerbetrei⸗ bender mit der Herſtellung oder Bearbeitung gewerblicher Erzeugniſſe beſchäftigt werden (Hausinduſtrie), und zwar auch für den Fall, daß ſie die Roh⸗ und Hilfsſtoffe ſelbſt beſchaffen, und auch für die Zeit, während welcher ſie vorübergehend für eigene Rech⸗ nung arbeiten. Das Reichsverſicherungsamt hat ſich mit dieſer Materie, die überaus ſchwierig liegt, beſchäftigt. Es iſt ſchwer zu unterſcheiden: wer iſt Heimarbeiter in einem Falle, wer Hausinduſtrieller? Der Haus⸗ induſtrielle hat eine größere perſönliche Selb⸗ ſtändigkeit dem Arbeitgeber gegenüber, während ſie ſich wirtſchaftlich in vielen Fällen gleich ſtehen. Das Reichsverſicherungsamt, alſo die höchſte Inſtanz für dieſe Sachen, definiert die Haus⸗ induſtriellen, auf die es hier ankommt, folgender⸗ maßen: 42 fk. . Sie ſind in der eigenen Werkſtatt alleinige Herren, die Beginn und Ende, Umfang und Reihenfolge der Arbeit ſelbſt beſtimmen, die frei ſind in der Annahme von Gehilfen und in der Benutzung eigener Geräte und Stoffe. Sie können ſich für mehrere Arbeit⸗ geber beſchäftigen und nebenbei für eigene Rechnung arbeiten. Ihnen bleibt die Ge⸗ ſchloſſenheit des Familienlebens. Die Prüfung des einzelnen Falles iſt überaus ſchwierig. Meine Herren, der Magiſtrat iſt durchaus nicht an der Frage vorbeigegangen, die wohl — ich darf das ohne jede Übertreibung ſagen — alle Parteien ſchon ſeit Jahren beſchäftigt. Wir haben im Magiſtrat ſchon ſeit Jahren verſucht, dieſe Frage zu regeln; wir haben aber auf Anregung des Regierungspräſidenten gewartet, ob der Bundesrat nicht von der in dem gleichen § 2 Abſ. 4 des Krankenverſicherungsgeſetzes ihm gewährten Befugnis, durch eigenen Beſchluß dieſe Frage zu regeln Gebrauch machen wird. Denn hierbei kommt es in erſter Linie darauf an, die Kaſſen vor dieſen kleinen zu verſichernden Exiſtenzen einigermaßen zu ſchützen; d. h. die Kaſſen ſollen nicht durch dieſe Leute, die ſehr häufig Krankheiten unterworfen ſind, in die Lage gebracht werden, daß ſie möglicherweiſe den gewöhnlichen Lohnarbeitern Hilfe nicht leiſten können, oder daß ſie in ihren Leiſtungen herunter⸗ gehen müſſen. Als wir vor Jahren eine Anfrage an die Allgemeine Ortskrankenkaſſe richteten, erhielten wir zu Antwort: wenn die Heimarbeiter — ganz allgemein ſagt man immer Heimarbeiter —, wenn die Hausinduſtriellen durch Ortsſtatut auf Grund des § 2 verſicherungspflichtig gemacht werden, dann wird unſere Kaſſe in Konkurs gehen müſſen; dieſer Belaſtung iſt ſie nicht gewachſen. Denn es iſt notoriſch, daß dieſez kleinen Leute, die mal arbeiten, mal nicht arbeiten, wo das Meldeweſen ſehr ſchwer zu regeln iſt, der Kaſſe die meiſten Umſtände machen und die wenigſten Beiträge zahlen. Der Magiſtrat hat ſich alſo mit dieſer Frage beſchäftigt und glaubt, daß dieſe Verſicherung, die die Kaſſen doch immerhin ſtark belaſtet, auf breitere Schultern gelegt werden muß. Der Bundesrat kann beſtimmen, daß für einzelne große Bezirke und einzelne Gewerbe die Regelung ſtattfindet. Der Bundesrat iſt aber trotz aller Mühe — und Graf Poſadowsky ſelbſt hat ſich, wie Sie wiſſen, perſönlich dafür eingelegt, dieſe Materie zu ordnen — nicht imſtande geweſen, etwas herauszubringen. Sie werden ſich erinnern, daß ſeinerzeit ein Magiſtratsrat von Berlin berufen wurde, der zwei Jahre lang weiter nichts getan hat, als die Materie durchzuarbeiten. Auch aus dieſer Arbeit, die zwei Jahre lang gedauert hat, iſt nichts Poſitives herausgekommen. Die Materie iſt, wie geſagt, überaus ſchwierig. Dazu kommt, daß wir augenblicklich wieder eine Novelle zur Krankenverſicherung, und zwar in allernächſter Zeit, zu erwarten haben. Die Erhebungen bei den einzelnen Bundesregierungen, bei den einzelnen Städten, bei den Vertretern