—— 216 Ich tann ſagen, daß der gewiegteſte Advokat, wenn er ſich vor dem Gerichtshof auf ein Gerichtsurteil bezieht, wahrſcheinlich die Sache nicht feiner würde machen können, als Herr Kollege Hirſch es getan hat. (Heiterkeit.) Welch ein Unterſchied zwiſchen der erſten Rede des Herrn Kollegen Hirſch, als er aus den Urteilen zitiert e, und ſeiner zweiten Rede, als er aus den Urteilen vor las! Und wenn nun noch Herr Kollege Hirſch gar das ſchöffengerichtliche Urteil vorleſen würde, (Heiterkeit) dann würde das Bild noch vollkommener ſein — aber nicht zugunſten des Herrn Kollegen Hirſch. (Stadtv. Hirſch: Kennen Sie es denn?) — Wollen Sie das auch noch vorleſen? Wir können uns ein ziemlich genaues Urteil auch ohne dies dar⸗ über bilden. Ich werde Ihnen ſagen, was darin ſteht. Darin ſteht nämlich: die und die Dinge ſind paſſiert; das ſagen die Zeugen. (Stadtv. Holz: Unter dem friſchen Eindruck!) Dann wird gefragt: iſt es der geweſen, der dabei war? Darauf müſſen die Zeugen erwidern: ich fann mich nicht erinnern. Alſo wird der Mann freigeſprochen. (Zuruf: Er iſt ja verdonnert!) — Laſſen Sie doch die Verdonnerten! Ich halte mich an die Freigeſprochenen; die ſind mir viel wert⸗ voller als die Verurteilten. Denn gerade bei den Freigeſprochenen iſt durch Zeugen einwandfrei feſtgeſtellt, daß alle Dinge tatſächlich paſſiert ſind, von denen die Rede iſt: (ſehr richtig! bei den Liberalen) nur gerade die, die angeklagt waren, ſind nicht die Täter geweſen! Und nun ſagt Herr Kollege Hirſch; der Herr Oberbürgermeiſter ſoll hier de⸗ und weh⸗ mütig Abbitte tun, er hätte ſich vollſtändig geirrt, er müßte alles zurücknehmen. Ja, der Wagen iſt nicht umgeſtürzt worden, er iſt nur im Sande ſtecken geblieben. Die Szenen aber, die ſich bei dieſem Wagen, der im Sande ſtecken geblieben war, ab⸗ geſpielt haben, — ich geſtehe: ich bin ſroh, daß ich mich nicht in der Geſellſchaft befunden habe — ſind doch ſchlimm genug. (Heiterkei!.) Jeden alls hat man ſich dort in wenig freundſchaft⸗ licher Weiſe mit Peitſchenhieben traktiert, Steine ſind hin⸗ und hergeflogen. Allerdings derjenige, der angeklagt war, iſt es gerade nicht geweſen. Andert das etwas an der Tatſache? (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Der Wagen iſt nicht umgeſtürzt worden!) — Ob der Wagen umgeſtürzt worden iſt oder nicht, iſt ganz gleichgültig. (Oho! bei den Soz a demokraten.) — Sie ſelbſt geben doch die Roheiten zu, die dabei paſſiert ſind. Der Herr Oberbürgermeiſter hat meines Wiſſens auch nicht geſagt: die und die Per⸗ ſonen ſind es, di' die Roheiten begangen haben. (Zuruf bei den Sozialdemokraten: Jawohl, „die Namen liegen vor“!) — Aber er hat ſie nicht genannt. Sie ſagen: kämen derartige Dinge im Parla⸗ ment vor, was würden wir ſagen! Nun, wenn im Parlament, allerdings mit Namensnennung, der⸗ artige Angriffe erhoben würden, dann würden ſich die Betreffenden mit vollem Fug und Recht dagegen wehren. Und wenn der Herr Oberbürgermeiſter hier mit Namensnennung beſtimmte Perſönlich⸗ keiten bloßgeſtellt und geſagt hätte: die und die haben ſich der Roheiten chuldig gemacht, — dann würde ich auch vom Herrn Oberbürgermeiſter er⸗ warten, daß er heute erklärte, er ſei über die Tät er alſch in ormiert geweſen — die Taten können edoch paſſiert ſein —, die und die Perſonen ſeien es nicht geweſen. Er hat aber einfach auf die Akten Bezug genommen. Mir ſind die Namen voll⸗ ſtändig unbekannt. Er hat jedenfalls auch die An⸗ zeige nicht erſtattet, hat ſich ganz al gemein über die und die Vorgänge ausgedrückt — über Tatſechen, die doch nach Zeugenausſagen, auf die Sie ſich ſelbſt berufen, durchaus der Wahrheit ent⸗ ſprechen. Ob im einzelnen hier etwas mehr paſſiert iſt, auf der andern Seite etwas weniger, darauf kommt es nicht an. Für uns kann nur das Ge⸗ ſamtbild maßgebend ſein, zumal wir als Stadt⸗ verordnetenverſammlung vollkommen außerſtande ſind, uns ein Urteil darüber zu bilden, ob der eine mehr getan hat als der andere, ob das Bild hier vielleicht etwas trüber gefärbt iſt oder dort. Daß im übrigen die Dinge unter dem erſten Eindruck der Vorgänge vielleicht etwas ſehr düſter gefärbt ge⸗ weſen ſind, das will ich zugeben, auch daß unter dieſem Eindruck der Herr Oberbürgermeiſter viel⸗ leicht manchen Ausdruck damals gewählt hat, den er heute, nachdem er das Urteil geleſen hat, wahr⸗ ſcheinlich nicht wiederholt haben würde. Außer⸗ dem haben Sie ſelbſt, Herr Kollege Hirſch — oder war es der Herr Kollege Gebert — anerkannt, daß ſich der Herr Oberbürgermeiſter heute erheblich friedfertiger über die Sache geäußert hat. Die Hauptſache iſt nur: was bleibt von allen ihren Vorwürfen übrig? — und da, muß ich geſtehen, finden wir die Beſtätigung in den Urteilen, ſoweit ſie hier zur Verleſung gekommen ſind. Meine Herren, auf die Frage: Streik oder Aus⸗ ſperrung? möchte ich meinerſeits nicht eingehen. Ich glaube, wir ſind außerſtande, in eine Nach⸗ prüfung ein;utreten. Übrigens ſind die Grenzen außerordentlich flüſſig. Man weiß häufig nicht: hat es mit einem Streik oder einer Ausſperrung angefangen? Die Kündigungsfriſten ſind ſo außer⸗ ordentlich kurz, daß ſich Streik und Ausſperrung äußerſt ſchnell aufeinander folgen können. Nun noch ein Wort zu den Außerungen des Herrn Kollegen Gebert, der ſich offenbar darüber ſchmerzlich berührt gefühlt hat, daß man ihn als Vertreter der Gebildeten nicht zugelaſſen hat. Meine Herren, ich habe jenen Verhandlungen na⸗ türlich nicht beigewohnt, ich weiß nicht, wie weit ſein friedliebender Einfluß dort maßgebend ge⸗ weſen iſt. Wenn er allerdings in ſo freundlicher Weiſe geſprochen hätte wie heute hier, dann bin ich auch feſt davon überzeugt, daß eine Teilnahme nur ganz günſtig hätte wirken können. Es wird aber auch darüber ſehr ſchwer ſein heute ein Urteil zu gewinnen. Die Vermutung liegt jedenfalls ſehr nahe, daß Herr Kollege Gebert damals den ausge⸗ ſprochenen Standpunkt der Arbeitnehmer ein⸗ genommen und wahrſcheinlich auch mit der nötigen Schärfe gegenüber den Arbeitgebern vertreten hätte, genau ebenſo, wie die Arbeitgeber ſcharf gegen die Arbeitnehmer aufgetreten ſind. Ja, das ſind eben die Intereſſenkonflikte. Meine Herren, ich bin nun der Meinung, daß, ſoweit die Sache für uns überhaupt geklärt werden kann, ſie zur Genüge geklärt iſt. (Sehr richtig!)