—— 256 — wollten. Gegenwärtig iſt dieſer Moment noch gar ſächlichſten ſachlichen Einwände, die gegen meine nicht gegeben. Ich richte daher an die Herren, welche anderer Auffaſſung der Geſchäftsordnung in bezug auf die erſte und zweite Leſung ſind als ich, die Bitte, doch in dieſem Augenblick einen Antrag auf zweite Leſung nicht zu ſtellen, ſondern abzu⸗ warten, ob die Verſammlung zu einer Abſtimmung ſchreiten will. Wenn der Schlußantrag abgelehnt wird und die Diskuſſion weiter geht, ſo wird doch wohl auch den Herren die Beratung nachher aus⸗ reichend und genügend erſcheinen. 71 Vorſteher Kaufmann: Meine Herren, ich mache darauf aufmerkſam, daß wir durch die Ge⸗ ſchäftsordnungsdebatte ſo viel Zeit vergeudet haben, daß wir die wenigen Redner, die auf der Liſte ſtanden, zur Sache noch hätten hören und nament⸗ lich dem vorhin ausgeſprochenen Wunſche hätten folgen können, daß zum mindeſten die Begründung der eingebrachten Anträge von der Verſammlung noch gehört wird. In dieſer Beziehung nehmen vielleicht die Herren, die für den Schluß ſtimmen wollen, einige Rückſicht. Stadtv. Meyer (zur Geſchäftsordnung): Meine Herren, die Anregungen des Herrn Vorſtehers kommen meiner Abſicht zuvor. Nachdem Herr Kollege Borchardt den Wunſch geäußert hat, noch zwei von ſeiner Fraktion geſtellte Anträge zu be⸗ gründen, ſehe ich mich veranlaßt, den Schlußantrag namens der übrigen Unterzeichneten zurückzu⸗ ziehen. (Bravo!) Ich will dies aber nicht tun, ohne gegenüber ge⸗ wiſſen Inſinuationen von ſozialdemokratiſcher Seite feſtzuſtellen, daß ich bei Stellung des Antrags nicht wußte, wer noch auf der Rednerliſte ſtand. Ich habe mich nur nach der Zahl der Redner erkundigt; die Namen habe ich weder erfragt noch erfahren. Stadtv. Dr. Crüger (zur Geſchäftsordnung): Herr Kollege Dr Borchardt hat ſich ſehr ſcharf gegen einen Antrag auf Eintritt in die zweite Leſung ge⸗ wandt und geſagt, dieſer Antrag hätte gar keinen Sinn. Der Antrag geht von ſeinem Freunde, Kollegen Vogel, aus, er mag das mit ihm abmachen. Wir ſind vollkommen unſchuldig an dem Antrag 10 ſtimmen ihm durchaus in der Kritik des Antrags ei. (Lachen und Zurufer bei den Sozialdemokraten.) Stadtv. Dr. Borchardt (zur Geſchäftsordnung): Ich wollte Herrn Kollegen Dr Crüger nur erwidern, daß ich es mir ſtets zur ſtrengſten Pflicht gemacht habe, bei Fragen über die geſchäftsordnungsmäßige Behandlung die Geſchäftsordnung richtig aus⸗ zulegen und nie danach zu fragen, von welcher Seite Anträge auf eine beſtimmte geſchäftsord⸗ nungsmäßige Behandlung kommen. (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten. — Heiterkeit.) Vorſteher Kaufmann: Der Antrag auf Schluß der Debatte iſt zurückgezogen worden. Wir fahren nun in der Rednerliſte fort. Stadtv. Zietſch: Ich will Ihrem Wunſche auf Schluß der Debatte inſofern Rechnung tragen, als ich mich kurz faſſen werde. Ich will auf die haupt⸗ Ausführungen gemacht worden ſind, nur ſtreifend eingehen. Da möchte ich vor allen Dingen bemerken, daß ich d as gar nicht geſagt habe, was der Herr Bürgermeiſter Matting aus meinen Ausführungen herausleſen zu können geglaubt hat. Ich habe aus⸗ drücklich geſagt: daß es für uns ſich nicht nur um die ſtändigen Arbeiter handelt, die Monats⸗ oder Wochenlöhne bekommen, ſondern daß wir auch für diejenigen Arbeiter, die nicht als ſtändig ange⸗ ſehen und die in Stunden⸗ oder Tagelohn entlohnt werden, die Einführung von Wochenlöhnen be⸗ antragen und wünſchen. Ich möchte auch darauf hinweiſen, daß der Herr Bürgermeiſter hier aus⸗ drücklich beſtätigt hat, daß die Arbeiter, die in ſtädtiſchen induſtriellen Betrieben beſchäftigt ſind, tatſächlich keinen Wochenlohn bekommen. Der Herr Bürgermeiſter hat ferner betont, daß die Stadt als Arbeitgeberin dabei auf die übrigen privat⸗ induſtriellen Betriebe, die hier am Orte ſind, Rückſicht nehmen müſſe. Die Notwendigkeit, auf andere, privatinduſtrielle Betriebe Rückſicht zu nehmen, ſehen wir nicht ein, weil wir, wie ich vorhin ausgeführt habe, von den Aufgaben und der Be⸗ deutung ſtädtiſcher Betriebe eine weſentlich andere Auffaſſung haben. Der Herr Bürgermeiſter ſagte weiter: wir können nicht fünfjährige Lohnperioden mit den Arbeitern vereinbaren, das ſetze einen Tarifvertrag mit den Arbeitern voraus —, und er meinte im Anſchluß daran, dazu würde man wohl nicht kommen. Warum kein Tarifvertrag ſeitens der Stadt mit ſtädtiſchen Arbeitern abgeſchloſſen werden kann, vermag ich nicht einzuſehen. Wir werden jedenfalls bei Beratung der Reviſion des Normaletats auf dieſe Frage zurückkommen, wie ich mir auch vorbehalte, auf alle anderen Dinge einzugehen, die der Herr Bürgermeiſter gegen meine Ausführungen vorgebracht hat. Nun einige Worte gegen Herrn Kollegen Dr Crüger. Es hört ſich immer ſehr nett an, wenn Herr Kollege Dr Crüger uns als „berufsmäßige“ Vertreter der Arbeiterintereſſen bezeichnet. Wir werden dieſen Ehrentitel nur inſofern für uns in Anſpruch nehmen, als wir anerkennen müſſen, daß Herr Dr Crüger der berufsmäßige Gegen⸗Arbeiter⸗ intereſſen⸗Vertreter iſt. Herr Kollege Dr Crüger hat auch geglaubt, die Vertragstreue der Arbeiter in irgend einer Be⸗ ziehung anzweifeln zu müſſen. Er meinte, das müßten doch ſonderbare, ja törichte Arbeiter ſein, die aus der jeweiligen Geſchäftslage nicht ihren Vorteil zu ziehen bereit wären, die ſich mit den geringeren Löhnen der ſtädtiſchen Betriebe zu⸗ frieden geben würden, wenn die privatinduſtriellen Betriebe höhere Löhne zahlten. Er glaubte auch, mir dadurch eine gewiſſe Unkenntnis der Arbeiter⸗ ſchaft vorwerfen zu können. Ich meine, die Un⸗ kenntnis in dieſer Beziehung liegt ganz auf der Seite des Herrn Kollegen Crüger. Meine Kennt⸗ nis der Verhältniſſe führt mich eben zu der Auf⸗ faſſung, und meine Erfahrung beſtärkt mich darin, daß die Arbeiter, wenn ſie Verbindlichkeiten ein⸗ gegangen ſind, ſtreng auf deren Durchführung halten. Es iſt etwas anderes — darin gebe ich Herrn Kollegen Dr Crüger recht —, ob die Arbeiter nicht überhaupt das Recht haben, dann, wenn ſie den Verdienſt nicht für angemeſſen halten, ihre Beſchäftigung zu ändern. Das iſt aber doch kein Vertragsbruch, das iſt keine Vertragsuntreue. Es iſt ja decar hier in Charlottenburg ſchon vorge⸗