279 Mitteilung betr. Wahl eines Stadtverordneten ligionsunterricht vom allgemeinen Schulunterricht in die Schuldeputation. Druckſache 207. Stadtv. Zietſch: Meine Herren! Es iſt Ihnen ja ohne weiteres die Mitteilung, die ſeitens der Regierung auf die letzte Wahl der Mitglieder zur Schuldepudation erfolgt iſt, bekannt. Wir hatten gewünſcht, daß dieje Sache in öffentlicher Sitzung behandelt werden würde, weil, wie ich in der vorigen Sitzung zur Begründung des Antrages ausgeführt habe, für uns berechtigte Gründe vorhanden ſind, dieſe Angelegenheit in öffentlicher Sitzung zu ver⸗ handeln und nicht in nichtöffentlicher Sitzung, weil für uns keine perſönliche Angelegenheit hierbei in Frage kommt, ſondern eine eingehende Kritik über das Verhalten der preußiſchen Regierung, das eine öffentliche Angelegenheit betrifft, die aufs tiefſte das Selbſtverwaltungsrecht der Gemeinde berührt. Nun liegt es mir fern, heute eine beſonders lange Rede darüber zu halten. Ich nehme jedenfalls an, daß Sie in der Sache mit uns einig ſind, wenn Sie dann auch in Ihren Handlungen ſpäter von uns abweichen werden. Die Sache ſelbſt iſt ja vollkommen die gleiche wie vor zwei Jahren, wo die preußiſche Regierung aber nicht nur einen Sozialdemokraten abgelehnt hat,ſondern auch einen Liberalen für nicht würdig und geeignet hielt, als Mitglied in der Schuldepu⸗ tation mitwirken zu dürfen. Es handelte ſich vor zwei Jahren um den Fall des Herrn Dr Penzig, der von Ihnen vorgeſchlagen wurde und mit großer Mehrheit von der Verſammlung gewählt worden war, aber ebenfalls von der preußiſchen Regierung nicht beſtätigt wurde. Ich kann mich ja im großen ganzen, was die ſachliche Seite der Frage anbetrifft, d. h. in bezug auf die Unberechtigtheit der Ablehnung eines Mitgliedes der Schuldeputation durch die preußiſche Regierung, einzig und allein auf das ſtützen, was damals Herr Kollege v. Liszt im Falle Penzig ausgeführt hat. Die äußerſt klaren Aus⸗ führungen, die Herr Kollege v. Liszt vor zwei Jahren gemacht hat, treffen namentlich in ihrem zweiten Teile heute vollkommen auch auf die Ab⸗ lehnung des Herrn Kollegen Borchardt zu. Der erſte Teil der Rede des Herrn Kollegen v. Liszt war eine rechtliche Auseinanderſetzung mit der preußiſchen Regierung. Herr Kollege v. Liszt wies nach, daß die preußiſche Regierung damals durchaus nicht im Rechte geweſen wäre, daß ſie irgendwelche geſetzlichen Handhaben für die Ablehnung eines Schuldeputationsmitgliedes nicht beſäße. Die Sache hat ſich heute weſentlich geändert durch das neue Geſetz, das die Zuſammen⸗ ſetzung und auch die Tätigkeit und Wirkſamkeit der Schuldeputationen regelt. Aber abgeſehen von dieſen rechtlichen Betrachtungen, führte damals Herr Kollege v. Liszt aus, daß außerhalb dieſer geſetzlichen Ungerechtigkeit, die die Regierung walten ließ, ſelbſt in ſachlicher Beziehung für ſie kein Grund vorgelegen haben könnte, Herrn Kollegen Dr Penzig als Mitglied der Schuldeputation ab⸗ zulehnen, weil alle perſönlichen Vorausſetzungen, die man bei einem Kandidaten für die Schuldepu⸗ tation nur vorausſetzen dürfte, voll und ganz beim Herrn Kollegen Dr Penzig zuträfen. Herr Kollege v. Liszti wies damals nach, daß namentlich der Hauptgrund, aus dem heraus die preußiſche Regierung Herrn Dr Penzig abgewieſen hat, der Grund, daß er ein Buch geſchrieben haben ſollte, das ſich mit der Forderung beſchäftigte, den Re⸗ zu trennen, kein derartiger für die preußiſche Re⸗ gierung hätte ſein dürfen, Herrn Kollegen Dr Penzig abzulehnen, weil, wie Herr Kollege v. Liszt nach⸗ weiſen konnte, gerade in bezug auf die innere Wahr⸗ heit der religiöſen Gefühle und Empfindungen Herr Kollege Dr Penzig ſelbſt keinem nach außen hin noch ſo ſtark religiös veranlagten preußiſchen Staatsminiſter nachſteht. Auch in bezug auf die Vaterlandsliebe machte Herr Kollege v. Liszt Aus⸗ führungen, die darauf hinausgingen, daß in dieſer Beziehung irgendwelcher Matel Herrn Kollegen Dr Penzig nicht anhafte. Ebenſo hinſichtlich der Sittlichkeit ſtünde Herr Dr Penzig jedenfalls ein⸗ wandfrei da. Nun iſt ja allerdings richtig, daß Religiöſität, Vaterlandsliebe und Sittlichkeit mit der Zeit wechſelnde Begriffe ſind, relative Anſchauungen, die bewertet werden nach den allgemein geltenden Anſchauungen, die man über Religioſität, Vaterlands⸗ liebe und Sittlichkeit hat. Was damals für Herrn Kollegen Dr Penzig ins Feld geführt wurde, was das Unrecht der preußiſchen Regierung dieſer Nicht⸗ beſtätigung des Herrn Dr Penzig gegenüber hervor⸗ hob, das trifft, wenn man dieſe perſönlichen Motive gelten laſſen will, voll und ganz auf Herrn Kollegen Dr Borchardt zu. Auch Herr Kollege Dr Borchardt beſitzt, obgleich er aus der Kirche ausgetreten iſt, jedenfalls ein tiefes religiöſes Gefühl, das ſich nur in der Art und Form von demjenigen unterſcheidet, was vom preußiſchen Staat als Religion anerkannt iſt. Auch die Vaterlandsliebe nehme ich für ihn in Anſpruch; ſie mag freilich von der heute preußiſch und behördlich abgeſtempelten Vaterlandsliebe et⸗ was abweichen. Ebenſo wird man in bezug auf Sitt⸗ lichkeit unſerem Kollegen Dr Borchardt nichts Schlechteres nachſagen können als irgend einem anderen Mitgliede der Stadtverordnetenverſamm⸗ lung. Wenn man das alles gelten läßt und trotz alle⸗ dem unſern Kollegen Borchardt nicht beſtätigt, ſo kommt es nur darauf an, daß es ſich dabei für die Regierung um eine offene Parteipolitik handeln kann. Damals, als es ſich um den Fall Penzig handelte, betonte auch der Herr Oberbürgermeiſter, der die eigentlichen Beweggründe des preußiſchen Staatsminiſteriums für die Ablehnung des Herrn Dr Penzig hier vortrug, daß er mit Nachdruck be⸗ dauere, daß Herr Kollege Dr Penzig nicht beſtätigt worden ſei. Wir haben inzwiſchen dem Magiſtrat Gelegenheit gegeben, dieſem Bedauern dadurch ſicht⸗ baren Nachdruck zu geben, daß der Magiſtrat bei dem Vakantwerden eines Platzes in der Schul⸗ deputation unſeren damaligen Kollegen und jetzigen Stadtrat Dr Penzig in die Schuldeputation hinein delegiert; alſo die Ablehnung von damals kann wett⸗ gemacht werden. Herr Kollege v. Liszt ſprach vor zwei Jahren offen aus, daß es ein ſtarker Mißbrauch der preußiſchen Regierung ſei, wenn ſie ſich auf irgendwelche ge⸗ ſetzlichen Beſtimmungen ſtützen wollte, die in der Tat nicht vorhanden ſind. Nun hat ſich inzwiſchen dieſe Seite des formalen Unrechts der preußiſchen Regierung in formales Recht gewandelt. Die preußiſche Regierung kann tatſächlich heute ein⸗ zelne Mitglieder der Schuldeputation ablehnen. In der Sache ſelbſt iſt es natürlich genau das Gleiche geblieben. Damals hat man Herrn Dr Pen⸗ zig auf den Inderx geſetzt, weil er angeblich ein antireligiöſes Buch geſchrieben haben ſoll, weil er