—— 372 Schwären der Geſellſchaftsordnung etwas zu unter⸗ binden. Das erkennen wir an, und wir haben auch den Mut des Paſtors von Bodelſchwingh bewundert, dies zu unternehmen. Aber der Beſuch in Hoffnungstal, Lobetal uſw. hat uns auch überzeugt, daß die ganze Anlage in organiſatoriſcher und in anderer Beziehung völlig ungenügend iſt. Es iſt gar nicht möglich, daß durch den guten Willen und durch die Organiſation des Paſtors von Bodelſchwingh etwas Gutes ge⸗ ſchehen kann, um dem grenzenloſen Elend und der Not der Arbeitsloſen Einhalt zu tun. Gerade die Beſichtigung hat uns gezeigt, in welcher geradezu frivolen Weiſe das Reich, der Staat und die Ge⸗ meinden insbeſondere ihre Aufgaben vernach⸗ läſſigen, inſoweit ſie keine Abwehrmaßregeln ge⸗ troffen haben, namentlich um der um ſich greifenden Arbeitsloſigkeit, der Vagabondage wirkſam ent⸗ gegenzutreten. Es iſt durchaus nicht angebracht, mit dieſen 10 000 oder 5000 ℳ die man dem Paſtor von Bodelſchwingh gibt — Berlin tut es ja mit 38 000 ℳ —, ſich gegenüber den Armſten der Armen ein reines Gewiſſen verſchaffen zu wollen. Ich glaube nicht, wenn wir 10 000 ʒ nach Bernau zahlen, daß damit genug geſchehen iſt, daß die Stadt dann keine weiteren Aufgaben gegenüber den Heimatloſen mehr hat. Ich will mich im Prinzip nicht weiter darüber auslaſſen, was wir bezüglich des Schutzes der Ar⸗ beitsloſen, der Heimatsloſen uſw. fordern; dieſe Ausführungen ſind im vergangenen Jahre ſchon von meinem Kollegen und Freunde Hirſch gemacht worden. Ich kann hier nur ertlären, daß wir gegen jede Subvention des Paſtors von Bodel⸗ ſchwingh ſind. Es iſt ganz ausgeſchloſſen, auch wenn es noch ſo gut gemeint iſt in den Verſicherungen des Paſtors von Bodelſchwingh, daß der Herr nicht mit weiteren Anträgen kommen wird. Das liegt in der Natur der Sache, und namentlich diejenigen Herren, die ſich die Kolonien angeſehen haben, die das unfrucht⸗ bare Land geſehen haben, die geſehen haben, welche koloſſale Mühe und Arbeit dazu gehört, um dieſem Boden nur etwas abzurackern, werden mit mir der Überzeugung ſein müſſen, daß mit dieſen An⸗ lagen, die jetzt dort geſchaffen werden, weitere Subventionen nicht ohne weiteres hintangehalten werden können; ſondern wenn dieſe Anlagen jetzt geſchaffen werden, dann iſt noch ſo und ſo viel unbearbeiteter und unbewirtſchafteter Boden da, der wieder neue Anlagen verurſachen wird. Des⸗ halb ſind wir gegen dieſe Bewilligung. Vorſteher Kaufmann: Ich habe Herrn Kollegen Zietſch nicht unterbrechen wollen. Ich möchte ihn bitten, den Vorwurf der Frivolität für Reich, Staat und Gemeinde nicht aufrecht zu erhalten, ſondern zurückzunehmen. Ich kann dieſen Ausdruck nicht dulden. Ich habe Sie nicht unterbrechen wollen und frage Sie jetzt, ob Sie dieſen Vorwurf aufrechterhalten. Stadtv. Zietſch: Ich habe nicht den Aus⸗ druck „in frivoler Weiſe“ in einer ſchlecht gemeinten Abſicht gebraucht, ſondern ich habe geſagt, daß ſie in Verkennung ihrer Aufgabenn Vorſteher Kaufmann (unterbrechend): Wenn ſchon etwas mehr Sie den Ausdruck nicht zurücknehmen, dann muß ich Sie zur Ordnung rufen. Stadtv. Zietſch: Ich habe ſoeben erklärt — der Herr Vorſteher hat mich jedenfalls nicht ver⸗ ſtanden —, daß ich das Wort „frivol“ nicht in dem vom Herrn Vorſteher aufgefaßten Sinne ge⸗ braucht haben wollte. (Heiterkeit.) Borſteher Kaufmann: Ich glaube, es gibt nur zweierlei: klipp und klar den Ausdruck zurück⸗ zunehmen oder ſich einen Ordnungsruf gefallen zu laſſen. — Da Sie den Ausdruck nicht zurück⸗ nehmen, rufe ich Sie hiermit zur Ordnung. Bürgermeiſter Matting: Meine Herren, ich muß trotz der ablehnenden Haltung des Herrn Stadtv. Zietſch doch wenigſtens zum Ausdruck bringen, daß ich über einen Teil ſeiner Ausführungen eine gewiſſe Freude empfunden habe. Es lag doch Anerkennung in den Worten des Herrn Stadtv. Zietſch, als die Bodelſchwinghſchen Anſtalten im vorigen Jahre von dieſer Seite des Hauſes (zu den Sozialdemokraten) erfahren haben. Das eine iſt hier Herrn Stadtv. Zietſch ent⸗ gegenzuhalten, daß keinesfalls weder die Stadt Charlottenburg noch die andern Städte, die die Bodelſchwinghſchen Anſtalten unterſtützen, glauben oder jemals glauben können, damit ihre Verpflicht⸗ tungen gegenüber den Arbeitsloſen zu erfüllen. Davon iſt gar keine Rede. Wir ſind uns vollſtändig bewußt, daß nach dieſer Richtung uns noch große Aufgaben bevorſtehen. Wir begrüßen aber die Bodelſchwinghſchen Anſtalten und weiter will auch Herr Paſtor von Bodelſchwingh nichts —, weil ſie einen Anfang machen, weil ſie ein Muſter geben, wie man fortzuſchreiten hat, und weil ſie ſo Gelegenheit geben, Erfahrungen auf einem Gebiet zu ſammeln, das zu den ſchwierigſten ſozialen Auf⸗ gaben der Gemeinde überhaupt gehört. Auch Herr Paſtor von Bodelſchwingh hat noch niemals be⸗ hauptet, daß die paar Baracken, die er aufgeſtellt hat, mit den paar hundert Menſchen darin das Arbeitsloſenelend in Berlin löſen; auch er ſelbſt betrachtet es als einen Tropfen auf den heißen Stein. Aber immerhin iſt es ein ſehr anzuerkennen⸗ des mutiges Unternehmen des Mannes, überhaupt damit anzufangen, und dieſer Mut, dieſe perſönliche Hingabe des Mannes an ſeine Aufgabe verdient nach der Meinung des Magiſtrats allein ſchon Unterſtützung. Im übrigen, ich, werden die Herren, meine verehrten Herren, glaube die bei der Beſichtigung der Anlagen zugegen waren, nicht mit der Auffaſſung des Herrn Stadtv. Zietſch übereinſtimmen, daß uns dort nur eine Taſſe Kaffee ſerviert ſei. Es iſt uns außerordentlich viel Sehenswertes und Be⸗ herzigenswertes gezeigt worden; eine ſtarke ethiſche Erquickung iſt uns jedenfalls zuteil geworden, die weit hinausgeht über den Wert der Taſſe Kaffee und das Stückchen Kuchen, die um ſo höher ver⸗ anſchlagt werden wird von denjenigen, die nun Herrn Paſtor von Bodelſchwingh in das Aſyl be⸗ gleitet haben und dort den Kontraſt geſehen haben zwiſchen dem Wohlbefinden, das wenigſtens in be⸗ ſcheidenem Maße in den Heimen vorhanden iſt, gegenüber dem großen Elend, das in der Wieſen⸗ ſtraße zuſammengeſtapelt iſt. Ich bitte Sie, ſich von vornherien auf einen entgegenkommenden und nicht auf einen ablehnen⸗ den Standpunkt zu ſtellen. Ich kann mir nicht helfen: die Ausführungen des Herrn Stadtv. Zietſch