—— 324. —— und in ſeiner Art, wie er ſich mit Bitten an alle wendet, bin ich überzeugt, wird er dieſes Wort zum Vorwand nehmen und im nächſten Jahre wieder an die Stadtverordnetenverſammlung herantreten. Es iſt charakteriſtiſch, wie der Umſchwung zu⸗ gunſten der Bodelſchwinghſchen Kolonien ſich inner⸗ halb der Stadtverordnetenverſammlung vollzogen hat. Ich erinnere an die Vorlage vom Jahre 1905, die eine Bewilligung von 3000 ℳ verlangt hatte. Der Ausſchuß war faſt einſtimmig der Anſicht, daß wir das Werk Bodelſchwinghs nicht unterſtützen dürften; namentlich hat ſich Herr Kollege von Liszt ſehr energiſch gegen jede Unterſtützung ins Zeug gelegt. Damals wurden wir eingeladen, das Werk zu beſichtigen, und nun trat der Umſchwung in den Anſichten ein. Aber warum iſt uns das Wichtigſte in den An⸗ ſtalten überhaupt nicht gezeigt worden? Sie haben die äußeren Einrichtungen geſehen; aber das, worauf es ankommt: in welchem Zuſtande die Menſchen dorthin kommen, und wie es Herrn Paſtor von Bodelſchwingh gelingt, ſie wieder zu arbeitsfähigen Elementen zu machen, und vor allen Dingen der Umſtand, auf den es uns am allermeiſten ankommt: nämlich zu erfahren, ob denn die Leute auch wirklich für ihre Tätigkeit einen einigermaßen entſprechenden Verdienſt bekommen, darüber iſt uns keine Auskunft gegeben worden; gerade über dieſe ſozialen Punkte, die dabei in Betracht kommen, ſchweigt ſich Herr Paſtor von Bodelſchwingh vollſtändig aus. Nun, wir haben vor drei Jahren 3000 ℳ, un vorigen Jahre 10 000 ℳ bewilligt: jetzt ſollen wir wieder 15 000 ℳ bewilligen. Es iſt möglich, daß wir bald eine dauernde Poſition in unſerem Etat finden werden, daß wir dauernd dieſe Anſtalt unterſtützen ſollen. Das wollen wir gerade nicht. Der Herr Bürgermeiſter ſagte, dieſe Anſtalt bilde ein Muſter. Das glauben wir nicht; wir ſind nicht überzeugt, daß es ſich hier um eine Muſteranſtalt handelt. Deshalb fönnen wir es nicht verantworten, hierzu Mittel der Allgemeinheit zu verwenden. 7 Nun iſt Herr Kollege Zietſch vom Herrn Bürger⸗ meiſter und namentlich von Herrn Kollegen Frentzel vollkommen mißverſtanden worden. Herr Kollege Frentzel ſagte, daß ſich in den Ausführungen meines Freundes Zietſch ein Widerſpruch finde: der Kollege Zietſch hätte einmal den Gemeinden und dem Staat vorgeworfen, daß ſie ſelbſt nichts tun, um der Ob⸗ dachloſigkeit zu ſteuern, und hier, wo ſie einmal einen Schritt in der Richtung unternehmen wollten, da falle er ihnen in den Rücken. So ſind die Aus⸗ führungen meines Freundes Zietſch nicht zu ver⸗ ſtehen. Mein Freund Zietſch hat den Gemeinden und dem Staate den Vorwurf gemacht, daß ſie ſelbſt aus eigenen Mitteln nichts tun, daß ſie ſelbſt aus eigenen Machtbefugniſſen keinerlei Maßnahmen ergreifen, um der Obdachloſigkeit zu ſteuern, daß ſie ſich darauf beſchränken, das zu unterſtützen, was andere tun, ohne zu prüfen, ob es gut iſt oder nicht. Wir verlangen aber, daß der Magiſtrat ſelbſt die nötigen Maßnahmen ergreift. Welche heftigen Kämpfe haben wir hier in der Stadtverordneten⸗ verſammlung geführt, bis es uns endlich gelungen iſt, wenigſtens den Ausbau des Familienhauſes zu einem Obdachloſenaſyl zu ermöglichen! Irgend⸗ welche anderen Maßnahmen gegen die Obdach⸗ loſigkeit ſind überhaupt noch nicht ergriffen; nament⸗ lich beſteht noch immer kein Aſyl für Nächtlich⸗ Obdachloſe. Alſo wir haben hier in Charlottenburg noch ſo ungeheuer viele Aufgaben auf dieſem Gebiete Welt zu löſen, daß wir es nicht verantworten können, fremden Perſonen dafür Geld hinzugeben. Der Herr Bürgermeiſter wunderte ſich auch, daß mein Freund Zietſch trotz der anerkennenden Worte, die er dem Paſtor von Bodelſchwingh gezollt hat, doch nachher zu einer ablehnenden Haltung kam. Ja, ich kann doch ſehr wohl der Perſon große Hochachtung zollen, ohne mit ſeinen Beſtrebungen irgendwie einverſtanden zu ſem. Gerade die Aus⸗ führungen meines Freundes Zietſch zeigen ja, wie ſehr wir imſtande ſind, die Perſon von der Sache zu trennen, daß wir uns lediglich von ſachlichen Er⸗ wägungen leiten laſſen. Und wenn der Herr Bürger⸗ meiſter meinte, ſchon die perſönliche Hingabe des Mannes an ſein Werk verdiene Unterſtützung, ſo iſt ihm das wohl in der Hitze des Gefechts entfahren. Wir können nicht jeden, den wir perſönlich hochachten, unterſtützen, ſondern wir haben zu fragen, ob wir das Werk des Betreffenden unterſtützen wollen. Ich glaube, der Herr Bürgermeiſter hat das auch ſo gemeint. Wir ſind aber auch deswegen gegen jede Unter⸗ ſtützung, weil uns jede Kontrolle fehlt, wie das Geld verwendet wird. Aus allen dieſen Gründen werden wir gegen die Unterſtützung ſtimmen. Ich glaube, daß die Mehrheit ſich doch noch überzeugen läßt, daß wir nicht in der Lage ſind, dauernd ſolche Summen für die Kolonien Hoffnungstal uſw. zu bewilligen. Sollten Sie aber doch der Meinung ſein, daß Sie etwas bewilligen ſollen, dann, meine ich, genügt der Antrag Stadthagen vollkommen. Stadtv. Zietſch: Ich muß noch mit einigen Worten auf die anſcheinenden Widerſprüche zurück⸗ kommen, die mir vom Herrn Bürgermeiſter und von Herrn Kollegen Dr Frentzel vorgeworfen worden ſind. Mein Freund Hirſch hat ſchon ausdrücklich darauf hingewieſen, daß es mir in erſter Linie darum zu tun war, die Perſon des Paſtors von Bodelſchwingh von ſeinem Werk zu trennen. Ich habe abſichtlich mich in Einzelheiten nicht ergehen wollen, um Ihre Zeit nicht zu mißbrauchen; ſonſt hätte ich ausgeführt, daß ich und meine Freunde uns abſolut mit manchem nicht einverſtanden er⸗ klären können, was wir dort geſehen haben. Was wir anerkennen, iſt, daß wir den Mut des Paſtors von Bodelſchwingh bewundern, der als allein⸗ ſtehende Perſon es unternommen hat, jener großen Not und dem Elend in der heutigen Geſellſchafts⸗ ordnung entgegentreten zu wollen. Wir haben dort geſehen, daß die Leute durchaus nicht ſo wohnen, wie es zu fordern iſt; die ganzen Bauten, die dort aufgeführt worden ſind, ſind durchaus nicht ſo, wie wir ſie fordern müſſen; es iſt nichts Stabiles und Reelles in den Bauten zu ſuchen, es ſind Barackenbauten mit Rabitzwänden und allen dem Zeug. Wer die Kolonien geſehen hat, der wird dieſe Sammlung von Arbeitsloſen, Heimatsloſen durchaus nicht als eine Anleitung zur Arbeit an⸗ erkennen wollen. Es iſt auch durchaus verkehrt, daraus einen Grund für die Unterſtützung dieſer Kolonien herleiten zu wollen, daß durch ſie die Vagabondage, die Plage des Herumziehens für Charlottenburg eingedämmt werden ſollte. In die ganzen Bodeiſchwinghſchen Anſtalten gehen ein paar hundert Leute hinein, wenn es hoch kommt; was wollen gegenüber den Tauſenden und Aber⸗ tauſenden auf der Landſtraße herumziehender Leute dieſe paar hundert Leute bedeuten! Aber,