—— 412 Herren, werden wir zunächſt einmal zu prüfen haben: ſind wir heute in einer finanziellen Lage, daß wir den dunklen Sprung machen können, am 1. April 1910 eine eigene Regie einzurichten? Ich verneine dieſe Frage. Es iſt heute in der Stadt⸗ verordnetenverſammlung darauf hingewieſen wor⸗ den, wie unſere Finanzlage iſt; es iſt ſogar von einem der Herren Redner darauf hingewieſen wor⸗ den, daß wir uns bei der nächſten Etatsberatung mit der Erſchließung neuer Steuerquellen zu be⸗ ſchäftigen haben werden. Meine Herren, in einer ſolchen Situation iſt es doch nicht angebracht, ein Unternehmen einzuleiten, von. dem wir genau wiſſen, daß es teurer wird, von dem wir aber gar nicht wiſſen, wie viel teurer es werden kann als der jetzige Zuſtand. Das Urteil des Herrn Branddirektors iſt das Urteil eines einzelnen Mannes; die Sache kann ſehr viel teurer werden, als er angenommen hat. Ich glaube, meine Herren, da wir die Auf⸗ gaben, die auf ſozialem Gebiet liegen, und die von Tag zu Tag wachſen, nicht beſchränken wollen, ſo werden wir in einer Situation, in der alle Welt danach ruft, daß wir ſparſamer leben ſollen im Staat, im Reich, in der Gemeinde, uns doch vor Augen halten müſſen, ob dieſer Moment gerade der richtige iſt, um ein neues Unternehmen, von dem wir nicht wiſſen, was es koſten wird, zu beginnen und den Sprung ins Dunkle zu tun. Ich mache dieſen Sprung nicht mit. Ich ſage, wir haben die Ver⸗ pflichtung, unſern Etat auf ſichern Boden zu ſtellen und nicht jedem Wunſche, den wir hegen, nachzugeben, ohne darüber nachzudenken, ob wir finanziell dazu in der Lage ſind. Das iſt der erſte Grund, meine Herren, welcher den Magiſtrat, auch diejenigen Mitglieder, welche an ſich theoretiſch dafür ſind, bewogen hat, heute gegen die eigene Regie zu ſtimmen. Nun aber bitte ich Sie, meine verehrten Herren: wie wollen wir heute beſchließen, am 1. April 1910 eine eigene Regie einzuführen, wenn wir nicht wiſſen, wo wir mit dem Stra⸗ ßenkehricht bleiben? (Zuruf: Haben wir ja längſt beſchloſſen!) Das iſt die fundamentalſte Frage, die in der De⸗ putation gar nicht berührt wurde, die erſt im Magiſtrat aufgeworfen wurde, und als ſie aufgeworfen wurde, ſah jeder den andern an: Herr Gott, das iſt ja wahr, daran haben wir ja noch gar nicht gedacht! wohin ſollen wir mit dem Kehricht? In die Stadt ihn legen — das können wir nicht machen; der Unter⸗ nehmer kann es wohl, der macht es als Proviſorium. Wir müſſen aber ein Definitivum ſchaffen. Wenn wir an die Aufſichtsbehörde herantreten und ſagen: wir wollen die Abfuhr des Straßenkehrrichts in eigene Regie übernehmen, und zwar wollen wir den und den Platz dafür nehmen, dann müſſen wir genau wiſſen, daß wir den Platz jahrelang dazu zur Verfügung haben. Der Platz aber, meine Herren, kann nur außerhalb liegen, wenn die Stadt die eigene Regie einführt, und außerhalb einen Platz zu bekommen, wird ſehr ſchwer ſein. Wi⸗ haben bei der Müllabfuhr geſehen, daß die Landräte der einzelnen Kreiſe ſich dagegen ſträubten, den Unrat der Stadt bei ſich aufzunehmen; wir werden die allergrößten Schwierigkeiten haben, und dieſe Schwierigkeiten werden ſich meines Erachtens bis zum 1. April 1910 nicht löſen laſſen. Jedenfalls ſind ſie aber ſo groß, daß, da wir dieſe Schwierig⸗ keiten kennen, wir heute nicht einen definitiven Beſchluß faſſen können. Das haben Sie heute ganz klar ſich vor Augen zu halten, daß das z. 3. das allergrößte Hindernis gegen die Einführung der eigenen Regie iſt. Wir ſind infolgedeſſen zu dem Ausweg gekommen, den wir Ihnen vorge⸗ ſchlagen haben. Herr Stadtv. Dr Spiegel hat ge⸗ geſagt, unſer Vorſchlag ſei eine halbe Maßregel, und ſie trage den Fluch der halben Maßregeln. Ich gebe zu, meine Herren, daß es eine halbe Maßregel iſt; aber, meine Herren, dafür können wir nicht; die Situation, in der wir uns beſinden, nötigt uns zu dieſer halben Maßregel. (Sehr richtig!) 122 Einmal die Situation, daß wir uns heute noch nicht über die eigene Regie ſchlüſſig machen können, und zweitens der Umſtand, daß wir bisher an einen Unternehmer verpachten: Meine Herren, der Kreis der Unternehmer, die bisher in Betracht kommen können, iſt ein ſehr beſchränkter. Es ſind nur einige wenige, wenn nicht vielleicht nur dieſer eine Fricke, die imſtande ſind, einen Fuhrpark mit denGebäuden vorzuhalten, wie es von uns verlangt wird. Unſer Vorſchlag, meine Herren, hat nun den Zweck, den Kreis der Uunternehmer 3z u erweitern. (Sehr richtig!) Wenn wir die Gebäude vorhalten, dann werden wir nicht bloß das Angebot von Herrn Fricke be⸗ kommen, ſondern wir werden von drei, vier, fünf, ſechs andern Unternehmern ein Angebot bekommen, daß ſie Pferde und Kutſcher ſtellen; ſie brauchen ſich keine Wagen anzuſchaffen, ſie brauchen ſich keine Gebäude, keine großen umfangreichen Stallungen auf drei Jahre zu mieten. Es iſt für ſie außer⸗ ordentlich viel leichter, unſeren Bedingungen zu entſprechen, als es bisher der Fall war. Es können ſich alſo Fuhrhalter in viel größerer Zahl an dem Angebot beteiligen, als es jetzt der Fall iſt. Dieſe beiden Umſtände, meine Herren, nötigen uns zu dieſer halben Maßregel. Und wir haben dann erſtensmal die Hoffnung, daß wir beſſere Offerten bekommen, daß wir beſſere Unternehmer bekommen, die leichter und beſſer die Arbeit leiſten können, als jetzt der Unternehmer Fricke, und wir haben ferner die Möglichkeit, weitere drei Jahre hindurch zu prüfen, wie die Vorausſetzungen für die eigene Regie liegen, ob unſere Finanzkräfte es geſtatten werden, die höheren Ausgaben zu leiſten. Und vor allen Dingen haben wir Zeit, nach einem Platz für die Abladung des Kehrichts zu ſuchen. Und das, meine Herren, iſt der Vorteil dieſer halben Maßregel, die wir Ihnen vorſchlagen: wir brauchen uns heute nicht zu binden und brauchen heute keinen Sprung ins Dunkle zu tun. Aus dieſen Gründen iſt der Magiſtrat nicht in der Lage, auch nur den Antrag Spiegel anzuneh⸗ men. Der Magiſtrat kann, wie aus meinen Aus⸗ führungen hervorgeht, ſich heute nicht dazu ent⸗ ſchließen, ſich für die eigene Regie zu erklären (ſehr richtig!) — die Sache iſt heute noch nicht reif —, und er kann auch nicht beſchließen, zum 1. April 1910 die eigene Regie einzuführen — auch dazu iſt die Sache nicht reif. Ich glaube alſo, der Ausweg, der ge⸗ funden iſt, den wir Ihnen in der Magiſtratsvor⸗ lage vorgeſchlagen haben, iſt der beſte, den wir überhaupt finden können. Ich muß Ihnen ſagen, meine Herren, daß mir die Sache ſehr viel Schmerzen bereitet hat, und daß ich außerordentlich froh war, als einer der Herren Kollegen auf dieſen Ausweg kam. Das ſcheint mir in der Tat das zweckmäßigſte