— 5595 — Nun die Deduktion des Herrn Kollegen Liſſauer! Es iſt eine bedenkliche Geſchichte ſeit einiger Zeit, wenn man in der Stadtverordneten⸗ verſammlung mit Statiſtiken kommt. Ich glaube nicht, daß das, was eben Herr Kollege Liſſauer über die Einkommenſteuer geſagt hat, er in allen Punkten wird aufrecht erhalten können, wenn er ſich die Statiſtik genau anſieht. Denn, meine Herren, die hohen Einkommen haben ſich doch auch vergrößert. Daß die mittleren prozentual etwas größer geworden ſind, das liegt zum Teil in der Verſchiebung der Einkommen. Sodann ſchlägt ſich Herr Kollege Liſſauer eigentlich mit ſeinen eigenen Deduktionen. Ein Teil der Er⸗ höhung der Einkommen gerade der unteren Klaſſen iſt doch darauf zurückzuführen, daß die Lebens⸗ haltung teurer geworden iſt, daß unter einem ge⸗ wiſſen Druck die Einkommen erhöht werden mußten. Meint nun Herr Kollege Liſſauer, daß der Be⸗ treffende, der deshalb ein höheres Einkommen erhalten hat, beſſer damit lebt bei der vollſtändigen Verſchiebung der Werte? Gar keine Rede davon! Das iſt eben die Miſere heute: das Einkommen wird erhöht, aber der Betreffende lebt nicht beſſer, weil er für dasſelbe Geld nicht mehr als früher bekommt. Meine Herren, daß bei der Beratung über die neunſtündige Arbeitszeit in der Stadt Charlotten⸗ burg ſogar die Konſumvereinsfrage und die Waren⸗ hausfrage herangezogen werden konnte, das war ſelbſtverſtändlich dem Herrn Kollegen Liſſauer vor⸗ behalten; er mußte ſein Steckenpferd auf dieſem Gebiete hier zur Parade führen. Herr Kollege Liſſauer ſagte endlich, in England ſchwimme man in Arbeit. Weiß denn Herr Kollege Liſſauer nichts von der ganz koloſſalen Arbeits⸗ loſigkeit gerade in England? Gerade zur jetzigen Zeit auf England hinzuweiſen als das Dorado, in dem die Arbeiter in Arbeit ſchwimmen, (ſehr richtig!) das war äußerſt unglücklich und bringt die ganzen übrigen Ausführungen des Herrn Kollegen zu Fall. Hoffentlich wird die allgemeine Nutzanwen⸗ dung aus der heutigen Debatte gezogen, daß man ſich in den Ausſchüſſen in Zukunft außerordentlich vorſichtig mit Sympathiekundgebungen und Grund⸗ ſatzerklärungen verhält. (Sehr richtig!) Jetzt haben wir die außerordentlich ſchwierige Situation: man will uns feſtlegen, (Heiterkeit) man ſagt: wenn du deine Sympathie erklärſt, ſo legſt du dich grundſätzlich für allgemeine Ver⸗ kürzung feſt. Ich muß aber doch ausſprechen, daß ich zurzeit lieber die Konſequenzen der linken Seite in, den Kauf nehme, als daß ich mich in meiner Abſtunmung auf die Motive feſtlegen laſſe, aus denen ich mich mit dem Kollegen Liſſauer gegen den Satz 1 ausſprechen würde. 2775 (Stadtv. Hirſch: Bravo!) Daher ſage ich, meine Herren: ſympathiſch ſtehe ich der Verkürzung der Arbeitszeit durchaus gegen⸗ über — das habe ich vorhin auch ausgeſprochen —, im übrigen behalte ich mir von Fall zu Fall die Ent⸗ ſcheidung darüber vor, ob für eine beſtimmte Ar⸗ beiterkategorie die Verkürzung zweckmäßig iſt oder nicht. Mit dieſer Begründung erkläre ich, daß ich für den Satz 1 ſtimmen werde. 4 (Bravo!) Stadtv. Dr. Stadthagen: Meine Herren, Herr Kollege Liſſauer hat als mein Fraktions⸗ genoſſe für unſern Antrag geſprochen. Ich muß aber für meine Perſon erklären, daß ich es bedauere, dabei von ihm das Wort gehört zu haben: ich, der ich die kleinen Handels⸗ und Gewerbetreibenden vertrete. (Sehr richtig!) Meine Herren, wir vertreten hier die ganze Stadt Charlottenburg, (ſehr richtig!) und ebenſo wie wir es bekämpfen, daß die ſozial⸗ demokratiſchen Vertreter die einſeitigen Intereſſen der Arbeiter vertreten, ſo bekämpfe ich für meine Perſon auch den Standpunkt, daß wir irgendwie das Intereſſe eines beſonderen Berufsſtandes ver⸗ treten. (Bravo!) Wenn ich perſönlich den Antrag geſtellt habe, über beide Sätze getrennt abſtimmen zu laſſen, und gebeten habe, den erſten Satz zu ſtreichen, ſo habe ich es nicht aus den Motiven getan, die Herrn Kollegen Liſſauer zu dem gleichen Wunſche ge⸗ trieben haben. Ich habe Ihnen ja die Gründe auseinandergeſetzt, und ich freue mich, daß auch in andern Kreiſen der Stadtverordnetenverſammlung dieſe Gründe geteilt werden. Ich möchte Herrn Kollegen Dr Crüger und ſeine Freunde bitten, ſich doch durch die Auffaſſung eines einzelnen Kollegen nicht in der Abſtimmung beeinfluſſen zu laſſen. (Heiterkeit.) Ich möchte Sie trotz alledem bitten, dem erſten Satze nicht zuzuſtimmen. Allerdings, meine Herren, ſollte der erſte Satz angenommen werden, ſo erkläre ich für meine Perſon — und ich glaube, das werden auch die Freunde in meiner Fraktion tun —, daß mich das nicht abhalten wird, wie es mich auch in der Kommiſſion nicht abgehalten hat, für den geſamten Antrag des Ausſchuſſes zu ſtimmen. Stadtv. Hirſch: Meine Herren, wir haben heute das eigenartige Schauſpiel erlebt, daß Herr Kollege Crüger ſich genötigt ſah, meine Freunde gegen die Angriffe des Herrn Kollegen Liſſauer zu verteidigen. Ich kann Ihnen nun nicht das Schauſpiel erſparen, daß ich Herrn Kollegen Liſſauer gegen die Vorwürfe ſeines Freundes Stadthagen in Schutz nehme. (Heiterkeit.) Herr Kollege Stadthagen hat es ſeinem Freunde Liſſauer ſehr übel genommen, daß er ſich als Ver⸗ treter der kleinen Gewerbetreibenden und Hand⸗ werker aufgeſpielt hat. Ich finde darin durchaus nichts, was man Herrn Kollegen Liſſauer übel⸗ nehmen kann. Wir kennen ſeine Stellung ganz genau, und im übrigen ſollten wir doch gar kein Hehl daraus machen, daß wir alle, wenn wir, ein jeder von uns, auch beſtrebt ſind, die Intereſſen der Geſamtheit wahrzunehmen, doch verſchiedener An⸗ ſicht darüber ſind, wie man am beſten die In⸗ tereſſen der Geſamtheit wahrnimmt. Herr Kollege Liſſauer glaubt das am beſten dadurch zu tun, daß er ſich der kleinen Gewerbetreibenden annimmt, wir ſind der Meinung, daß das am beſten dadurch geſchieht, daß wir uns der Intereſſen der Arbeiter annehmen, die ja den weitaus größten Teil der Bevölkerung bilden. Allerdings haben wir es, wenn wir uns wiederholt als Vertreter der Arbeiter⸗ klaſſe aufgeſpielt haben, doch niemals an der Ver⸗ tretung der Intereſſen der Geſamtheit der Be⸗