—— 38. — (Die ſammlung beſchließt die Einſetzung eines 2 ſchuſſes von 11 Mitgliedern und wählt zu Aus⸗ ſchußmitgliedern die Stadtv. Freund, Gebert, Gredy, Haack, Harniſch, Klau, Rackwitz, Schmidt, Sellin, Wagner und Wenig.) 2 Vorſteher Kaufmann: Punkt 11 der Tages⸗ ordnung: Vorlage betr. Nachbewilligungen im Armenetat für 1908. — Druckſache 41. Berichterſtatter Stadtu. Holz: Meine Herren, der Magiſtrat beantragt Nachbewilligungen zum Armenetat für 1908. Sie erinnern ſich, daß wir im Oktober bereits eine ſehr umfangreiche und ſehr gut begründete Vorlage hatten, an welche dieſe anknüpft. Sie erzählt uns, wie die wirtſchaftlichen Verhältniſſe in Charlottenburg ſind. Die Vorlage iſt ſo vorzüglich begründet, meine Herren, daß ich nur darauf zu verweiſen brauche. In der Tat kennen Sie ja die Entwicklung der wirtſchaftlichen Verhältniſſe: die Lebensverhältniſſe ſind teurer geworden, und wie die Arbeitsverhältniſſe ſind, haben wir wiederholt bei der Beſchäftigung mit der ſtädtiſchen Arbeitsloſenfürſorge erfahren. Aus der Vorlage iſt aber doch zu entnehmen, daß trotz der Ungunſt der wirtſchaftlichen Verhältniſſe, welche auf allen Gebieten der Armenfürſorge erhöhte Anforderungen zur Folge haben, der Endabſchluß des Armenetats für 1908 kein un⸗ günſtiger ſein wird. daß ſich trotz der Nachbewilligungen ein Geſamt⸗ mehrverbrauch von etwa 96 500 ergibt, d. h. bei einem Etat von 1 547 000 ℳ ein Mehrverbrauch von etwa 6 %. Pro Kopf der geſamten Be⸗ völkerung beträgt, wie ich mir ausgerechnet habe, die Armenlaſt demnach etwa 53 ℳ.. Wenn Sie die Entwicklungsgeſchichte unſerer Armenver⸗ waltung verfolgen, ſo erſehen Sie, daß das ein ſehr gutes Reſultat iſt. Wir haben keine Veranlaſſung, der Vorlage nicht zuzuſtimmen, wie wir auch nur anerkennen können, daß der Magiſtrat ſorgfältig darüber wacht, daß, wenn ſich eine Überſchreitung herausſtellt, ſchon rechtzeitig die Verſammlung angegangen wird, um die Nachbewilligung aus⸗ zuſprechen. Ich bitte alſo um Annahme der Vorlage. Stadtv. Hirſch: Ich bin im weſentlichen mit den Ausführungen des Herrn Berichterſtatters einverſtanden und kann auch namens meiner Freunde erklären, daß wir der Vorlage zuſtimmen. Wenn ich trotzdem das Wort ergriffen habe, ſo einmal wegen der Bedeutung der Vorlage, und zweitens, weil wir regelmäßig im Etatsjahre Summen für den Armenetat nachzubewilligen haben. Meine Herren, diesmal handelt es ſich doch um eine Summe, die gar nicht gering iſt. Die geſamte Nachbewilli⸗ gung beträgt 6%, alſo immerhin ſchon eine ziemlich beträchtliche Summe. Ich will nun daraus der Armenverwaltung teinen Vorwurf machen; ſie kann natürlich gar nicht vorausſehen, welche An⸗ ſprüche im Laufe des Jahres an ſie herantreten: ſie iſt geſetzlich gezwungen, beſtimmte Ausgaben zu machen, und es iſt ſchließlich ja ganz gleichgültig, welche Summen wir in den Etat einſtellen, wir werden durch die Verhältniſſe gezwungen, den Etat doch zu überſchreiten. Beratung wird geſchloſſen⸗ Die Ver⸗ Sie erſehen aus der Vorlage, Ich habe auch nicht das Wort ergriffen, um gegen die, Armenverwaltung irgendeinen Vor⸗ wurf zu erheben, ſondern um an die Verſammlung die Bitte zu richten, der ich bereits früher Ausdruck gegeben habe, daß wir mehr als bisher beſtrebt ſind, Maßnahmen zu treffen, um zu verhüten, daß ſo viele Leute der Armenverwaltung zur Laſt fallen. Selbſtverſtändlich können wir einen großen Teil der Urſachen, durch die die Leute gezwungen ſind, die Armenverwaltung in Anſpruch zu nehmen, überhaupt nicht aus der Welt ſchaffen — wenigſtens einſtweilen noch nicht. Aber daneben gibt es immer Urſachen der Armut, denen wir ſehr wohl zu be⸗ gegnen in der Lage ſind. Ich erinnere Sie an die Maßnahmen, die wir zur Bekämpfung der Arbeitsloſigkeit ergreifen können, und wenn wir da ein gehöriges Tempo anſchlagen, wenn da mehr geſchehen würde, als zurzeit geſchieht, dann können wir ſicher ſein, daß die baren Unterſtützungen erheb⸗ lich weniger in Anſpruch genommen würden als jetzt. Ein anderer Punkt, der in allen Berichten der Armenverwaltung immer und immer wiederkehrt, ſchon ſeit langen Jahren, iſt der, daß die Wohnungs⸗ verhältniſſe in Charlottenburg die Armenlaſten ganz erheblich ſteigern. Ihnen iſt ja vor wenigen Tagen der neueſte Bericht der Armendirektion zugegangen: auch da iſt wieder auf dieſes Moment hingewieſen worden. Da finden Sie wieder die Tatſache verzeichnet, daß die Wohnungsmieten der Armenbevölkerung noch weiter geſtiegen ſind. Wenn aber die Mieten der Wohnungen, die von den Armen bewohnt werden, ſteigen, dann iſt es ganz erklärlich, daß der Armenverwaltung größere Aus⸗ gaben erwachſen. Dieſe Summen kommen aber nicht den Armen zugute, ſondern den Hauswirten. Es ſind in dem Bericht, den ich Ihnen dringend zur Lektüre empfehle, geradezu erſchreckende Bilder von unſern Wohnungsverhältniſſen entrollt. So heißt es darin, daß auch in dieſem Jahre wieder Wohnungen gefunden ſind, die aus Stube und Küche beſtehen, in denen nicht weniger als 8 Leute zuſammenwohnen, ja 2 dieſer Wohnungen von Stube und Küche ſind ſogar von 10 Perſonen be⸗ wohnt geweſen. Wo ſolche Verhältniſſe herrſchen — und es handelt ſich ja immer nur um einen ganz kleinen Teil der Wohnungen, die überhaupt unter⸗ ſucht werden —, da ſollten wir in der Wohnungs⸗ fürſorge endlich ein etwas ſchnelleres Tempo an⸗ ſchlagen. Ich weiß nicht, wie lange es her iſt, ſeitdem wir uns mit angeblichen Maßnahmen zur Linderung der Wohnungsnot beſchäftigen. Wir werden nächſtens wahrſcheinlich das zehnjährige Jubiläum des Tages feiern, an dem wir zuerſt einen ſolchen Antrag angenommen haben. Bisher iſt leider herzlich wenig auf dem Gebiete geſchehen. Seit langen Jahren wird uns eine Vorlage über ein ſtädtiſches Wohnungsamt verſprochen, faſt auf jedem Fragebogen wird uns mitgeteilt, daß die Vorlage zu erwarten iſt, es ſteht die Errichtung einer Woh⸗ nungsinſpektion in Ausſicht — meine Herren, alles das ſind Projekte, die ſchon ſeit Jahren ſchweben! Da möchte ich doch an den Magiſtrat die dringende Bitte richten, dieſe Projekte nun endlich einmal zu verwirklichen. Ich bin überzeugt, daß wir dann an Ausgaben für die Armenverwaltung ganz er⸗ heblich ſparen, daß wir jedenfalls einen beträcht⸗ lichen Teil derjenigen Summen ſparen werden, die wir heute infolge der ſchlechten Wohnungs⸗ verhältniſſe für die Armen ausgeben müſſen.