— 69 — Das ſind nur einige Beiſpiele. Sie ſehen hieran, meine Herren, wie die ganze ſtaatliche Geſetzgebung darauf zugeſchnitten iſt, den Ge⸗ meinden mehr neue Laſten aufzuerlegen. Das ſollte doch einmal alle freiheitlichen Elemente in den Städten veranlaſſen, ſich die Frage vorzulegen, ob es nicht Zeit iſt,gegen eine derartige ſtaatliche Geſetzgebung energiſcher als bisher Front zu machen. Leider iſt das bis jetzt nicht geſchehen. So werden die Städte ſelbſt den Nachteil davon haben. (Zuruf bei den Liberalen: Schreien!) — Schreien hat keinen 3weck. Wenn Sie etwas erreichen wollen, dann haben Sie die Möglichkeit dazu auf einem ganz anderen Gebiete, nämlich bei den Wahlen. Da ſollten ſich alle freiheitlichen Elemente zuſammen⸗ ſchließen, nicht aber ſollte wie bisher das ſogenannte freiheit⸗ liche Bürgert um ſeine Hauptauf⸗ gabe darin erblicken, den Konſer⸗ vativen zum Siege zu verhelfen, nur damit keine Sozialdemokraten gewählt werden. — Ich darf ja hier auf das politiſche Gebiet nicht abſchweifen, ſonſt könnte ich Ihnen darüber noch ſehr viel ſagen. Meine Herren, es iſt ganz zweifellos, daß die ſchlechte Finanzlage unſerer Gemeinde Erſparniſſe notwendig macht. Aber ich betone hier im Ein⸗ verſtändnis mit allen meinen Freunden, daß wir entſchieden dagegen proteſtieren würden, wenn auf dem Gebiete der Sozialpolitik oder auf dem Gebiete des Bildungsweſens geſpart wird. (Zuruf bei den Liberalen: Das Tempo!) — Ach, das Tempo iſt ja ſchon ſo langſam. — Es iſt bedauerlich, daß der Herr Kämmerer uns erklären mußte, daß wir jetzt noch ſieben fliegende Klaſſen haben und 82 Mietsklaſſen, und daß auch nach dem Bau der neuen Schulen uns immer noch 55 Klaſſen fehlen. Es wurde dazwiſchen gerufen, daß das wenig iſt. Nein, meine Herren, das iſt ſehr viel. Wir dürften nicht ein Manko von 55 Klaſſen haben, ſondern wir müßten mindeſtens 55 Klaſſen mehr haben, als wir gebrauchen. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Schulklaſſen auf Vorrat iſt niemals eine unnütze Ausgabe geweſen. Es ſind jetzt für den Bau von Gemeindeſchulen 68 700 ℳ weniger in den Etat eingeſtellt als im vorigen Jahre. Wir haben in den ganzen Jahren ſtets bei jeder Etatsberatung verlangt und Anträge dahin geſtellt, daß die Summen zum Bau von Gemeindeſchulen erhöht würden. Die Mehrheit der Stadtverordneten⸗ verſammlung hat unſere dahingehenden Anträge ſtets abgelehnt. In den guten Jahren haben Sie den wohlwollenden Anregungen von unſerer Seite keine Folge geleiſtet, obwohl das Geld dafür vorhanden war; jetzt klagen Sie darüber, daß Sie nicht einmal genug Geld haben, um unſere Aufgaben auf dem Gebiet der Schulpolitit zu erfüllen. Meine Herren, was dann die Sozial⸗ politik betrifft, ſo hat der Herr Kämmerer ausgeführt, daß die Ausgaben, und zwar nicht nur für Sozialpolitik, ſondern auch für Wohlfahrts⸗ pflege ganz gewaltig geſtiegen ſind. Es wäre doch da intereſſant, einmal auseinanderzurechnen, was denn für Sozialpolitik und was für Wohlfahrts⸗ pflege ausgegeben worden iſt. Es wäre weiter intereſſant, zu erfahren, was Sie unter Wohlfahrts⸗ pflege alles verſtehen. Wenn Sie Herrn Paſtor Bodelſchwingh 10 000 ℳ und abermals 10 000 geben, ſo weiß ich nicht, wohin Sie das rechnen. Ich vermute ſtark, daß auch derartige Poſten unter dieſen Ausgaben figurieren. Dann, meine Herren, iſt es allerdings kein Wunder, wenn ein ſo gewaltiges Anſteigen herausgerechnet wird. Es wäre wirklich ſehr wichtig, wenn im Etatsausſchuß einmal ſpe⸗ zielle Daten darüber gegeben würden. Bei dieſer Gelegenheit möchte ich auf einen Zwiſchenruf des Herrn Vorſtehers kurz erwidern. Der Herr Vorſteher ſagte auf eine Außerung meines Freundes Zietſch — er rühmte den großen Wohltätigkeitsſinn gewiſſer Kreiſe der Bevölterung und ſagte: wenn es ſich darum handelt, Notleidende zu unterſtützen, ſo hätten wir niemals vergeblich an die Türen anderer Bevölkerungskreiſe geklopft. Meine Herren, das iſt durchaus richtig, aber man muß doch unterſcheiden zwiſchen dem Begriff wohltätig und dem Begriff ſoziales Empfinden. Ich kenne eine ganze Reihe von Leuten, die auch nicht das geringſte ſoziale Empfinden beſitzen, reiche Leute, die aber trotzdem, wenn irgendeiner kommt und ſagt: es handelt ſich darum, eine arme Familie zu retten—, ohne weiteres eine größere Summe dafür hergeben. (Zuruf bei den Liberalen.) — Das iſt kein ſoziales Empfinden, das iſt etwas ganz anderes; das iſt eine gewiſſe Gutmütigkeit. (Erneute Zurufe.) — Meine Herren, wir wollen doch hier nicht mit Begriffen ſpielen. Es iſt ein ganz gewaltiger Unterſchied, ob ich eine ſoziale Aufgabe erfülle oder ob ich die Armen mit Wohltaten abſpeiſe. Wenn Sie dieſen Unterſchied nicht gelten laſſen wollen, dann kommen Sie ſchließlich dahin, zu ſagen: was die Armen auf Grund der Armen⸗ geſetzgebung bekommen, ſind auch Ausgaben für ſoziale Zwecke. Ich hätte nicht gedacht, daß es heute noch einen Menſchen gibt, der das unter dem Begriff ſoziale Aufgaben verſteht. Wenn Sie das tun, dann werden die Ausgaben noch weit, weit höher geſtiegen ſein. Es iſt von dem koloſſalen Tempo geſprochen worden, in dem unſere ſozialen Aufgaben gelöſt worden ſeien. Das ſind ja alles Märchen aus vergangener Zeit! Es hat gewiß mal eine Zeit gegeben, wo Charlottenburg in bezug auf kommu⸗ nale Sozialpolitik allen anderen Städten weit voraus war. Aber das Tempo iſt inzwiſchen ſo verlangſamt worden, daß wir von einer großen Reihe von Gemeinden längſt überholt worden ſind, und nicht nur von Gemeinden in Süddeutſchland, ſondern auch von Gemeinden ſelbſt in der Nähr von Berlin. Sehen Sie ſich doch einmal Schöneberg an! Wir haben eine ganze Reihe von ſozialen Gebieten, auf denen Schöneberg heute Charlotten⸗ burg weit voraus iſt. Man darf nicht darüber klagen, daß das Tempo in den letzten Jahren ſo ſchnell geweſen iſt, ſondern man muß ſagen: das Tempo iſt in den letzten Jahren in Charlotte nburg furchtbar langſam geweſen. (Zuruf bei den Liberalen.) — Meine Herren, Sie ſagen: was iſt in Schöneberg geſchehen“ Kann es einen größeren Unterſchied geben als einen Vergleich zwiſchen dem Verhalten, das die ſtädtiſchen Körperſchaften von Charlottenburg in bezug auf die Unterſtützung der Arbeitsloſen an den Tag gelegt haben, und dem Verhalten, das Magiſtrat und Stadtverordnetenverſammlung