Sitzung vom 17. März 1909. 83 gewöhnlichen Straßenreinigungsarbeiten weiter be⸗“Stadt auch Mittel haben und die Verpflichtung ſchäftigt werden könnten, ſo blieben immer noch über 2300 Arbeitsloſe von Charlottenburg übrig, die von der Stadt mit Notſtandsarbeiten nicht beſchäftigt werden können. Nun wurde in einer der letzten Sitzungen des vergangenen Jahres auch hier angeführt, daß außer dieſen Notſtandsarbeiten auch verfrühte Arbeiten durch die Tiefbauverwaltung vorgenommen werden ſollten. Wieweit dieſe Arbeiten bisher vorge⸗ ſchritten ſind, und in welchem Umfange dabei Char⸗ lottenburger Arbeitsloſe beſchäftigt worden ſind, darüber fehlt uns bis heute noch jeder Nachweis. Dazu kommt auch noch, daß die Witterungsverhält⸗ niſſe das zeitigere Inangriffnehmen der Tiefbau⸗ arbeiten, namentlich den Bau einer Kaimauer — (andauernde Unruhe; Glocke des Vorſtehers) Vorſteher Kaufmann: Ich bitte um Ruhe, meine Herren! Antragſteller Stadtv. Zietſch (fortfahrend) — hinausgeſchoben haben. Es muß aber, wenn auch dieſe Arbeiten jetzt in Angriff genommen werden könnten und auch ein Teil der Arbeitsloſen dabei be⸗ ſchäftigt würde, doch weiteres für die Arbeitsloſen getan werden, und wir kommen Ihnen nun mit dem Antrage, den Arbeitsloſen in Charlottenburg, ſoweit ie nicht bei Notſtandsarbeiten oder verfrühten Arbeiten der Stadt beſchäftigt werden können, eine Barunterſtützung zu gewähren, und zwar ſetzen wir den Betrag zunächſt auf 10 000 ℳ feſt, über⸗ laſſen es Ihnen ſelbſtverſtändlich, dieſe Summe noch zu erhöhen. Sie betreten mit der Annahme dieſes Antrages durchaus keine Wege, die ganz unbeſchritten wären ſondern dieſer Antrag kann Bezug nehmen auf Einrichtungen, die ſchon in anderen Gemeinden eingeführt wurden. Ich habe daran zu erinnern, daß ſchon lange vor Weihnachten die Rixdorfer Gemeinde den Arbeitsloſen Weihnachtsgratifi⸗ kationen, das heißt Barunterſtützungen, gegeben hat in Höhe von 10 000 ℳ. (Stadtv. Hirſch: Hört! hört!) Auch in der Stadt Mainz in Süddeutſchland iſt eine Summe von 10 000 ℳ zur Unterſtützung der Arbeitsloſen ausgeworfen worden. Karlsruhe hat in der letzten Zeit 15 000 ℳ oder gar 20 000 ℳ als Barunterſtützung für die Arbeitsloſen gegeben. In anderen deutſchen Städten folgt man dieſem Bei⸗ ſpiele. Wenn Charlottenburg — das ja nun einmal „ſo ſtolz iſt auf den Ruhm, den es ſich zum guten Teile ſelbſt bereitete, die erſte Stadt zu ſein in der ſozialen Fürſorge, namentlich gegenüber den Ar⸗ beitern — dieſen Ruf wahren will, dann hat es unſerer Auffaſſung nach keine dringendere Ver⸗ pflichtung, als unſerem Antrage ſtattzugeben. Daß mit dem Antrag, daß von dem Dispoſitionsfonds 10 000 ℳ abgetrennt und für ſoziale Zwecke ver⸗ wendet werden ſollen, nichts neues geſchaffen werden wird, und daß aus dem Stadtſäckel ſchon für ähnliche Unterſtützungen beträchtliche Summen gegeben worden ſind, beweiſen Ihnen die Über⸗ ſichten, die im Etat und auch teilweiſe im Verwal⸗ tungsbericht des letzten Jahres enthalten ſind. Wenn die Stadt Mittel gehabt hat, am 17. Juni v. I. für Arbeiterkolonien 500 ℳ zu geben und am 18. März für den Aſylverein für Obdachloſe 2000 ℳ zu bewilligen, am 8. Dezember aber für den Paſtor von Bodelſchwingh 10 000 ℳ, dann müßte die fühlen, nach unſerem Antrag 10 000 ℳ für die am Ort anſäſſigen Arbeitsloſen auszuwerfen. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Damals, als 10 000 ℳ für den Paſtor von Bodel⸗ ſchwingh bewilligt wurden, wurde von dem Magiſtrat mit Nachdruck darauf hingewieſen, daß in dieſen 10 000 ℳ eine gewiſſe Fürſorge für die Ar⸗ beitsloſen läge, weil dadurch die Stadt die Armen⸗ laſten und die Koſten, welche die vielleicht durch Charlottenburg ziehenden Handwerksburſchen ver⸗ urſachen könnten, zu verringern in der Lage ſein würde. Wenn man dem Paſtor von Bodelſchwingh 10 000 ℳ gegeben hat zur Unterſtützung von armen Leuten, die es ſicher gebrauchten, welche aber unſerem Gemeinwe en ſehr fern ſtehen, ſo muß man auch 10 000 ℳ übrig haben für die Charlottenburger Arbeiter und Arbeitsloſen, die hier in Charlotten⸗ burg als Steuerzahler in Betracht kommen, und welche ihre Verpflichtungen gegenüber der Ge⸗ meinde Jahre hindurch erfüllt haben. Ich habe damals ſchon bei der Beſprechung der Reſultate der Arbeitsloſenzählung vom 17. No⸗ vember 1908 darauf hingewieſen, daß in Char⸗ lottenburg nicht nur vorübergehend Anſäſſige ar⸗ beitslos ſind, ſondern daß die überwiegende Zahl der am 17. November 1908 durch die Stadt gezählten Arbeitsloſen ſeit Jahren anſäſſige Bürger von Charlottenburg ſind, die mit ihren Familien Jahr für Jahr und Tag für Tag ihre Verpflichtungen gegenüber der Gemeinde erfüllt haben. Und wenn der Zuſtand ſich ſo verſchärft hat, daß innerhalb einiger Monate die Zahl der Arbeitsloſen um 650 geſtiegen iſt, unſerer Zählung nach ſogar um viel mehr, dann ergibt ſich ohne weiteres die Verpflich⸗ tung für die Stadt, für dieſe Gemeindebürger etwas zu ſchaffen. Unſer Antrag ſtellt dazu noch die be⸗ ſcheidenſte Form dar. Wir haben angenommen, daß in erſter Linie verheiratete Ortsanſäſſige bei der Gewährung einer Unterſtützung berückſichtigt werden ſollen, die nach den beſonderen Verhält⸗ niſſen und nach der Lebenslage der zu Unterſtützen⸗ den bemeſſen werden kann. Wir wünſchen auch, daß dieſen Unterſtützungen, auf die unſerer Auf⸗ faſſung nach die Arbeitsloſen einen berechtigten Anſpruch haben, nicht der Charakter der Armenunterſtützung angehängt wird, daß durch dieſe Notlage, in die viele Arbeiter wider allen Willen hineingedrängt worden ſind, dieſen Arbeitern nicht irgendwelches entrechtende Merk⸗ mal in politiſcher Beziehung aufgedrückt wird. Nun geſtatten Sie mir, auf den Punkt 5 der Tagesordnung noch kurz einzugehen. Die Magiſtrats⸗ vorlage deutet darauf hin, daß bereits 30 000 ℳ für ſogenannte Notſtandsarbeiten aufgewendet worden ſind. Ich muß geſtehen, ich habe die Be⸗ gründung dieſer Vorlage nicht nur flüchtig geleſen, ſondern mehrere Male durchgeleſen, es kommt mir aber doch ein gewiſſes Bedenken. Es heißt nämlich in der Vorlage: Nach den vorliegenden Lohnrechnungen ſind, außer den bereits zur Verfügung geſtellten ℳ 3361,91 ℳ, bis einſchließlich den 6. d. — ſoll doch wohl heißen 6. März? — für die Notſtandsarbeiten noch weitere 26 303,52 ℳ, ſowie für Anſchaffung von Beſen uſw. 560 ℳ verausgabt worden. Da eine Nachbewilligung von 30 000 ℳ verlangt wird und 26 303,52 ℳ ſchon ausgegeben worden