104 die mit den Mädchen auf den Tanzboden gehen. Wenn hier ein Fehler der Erziehung vorliegt — und der liegt jedenfalls vor —, ſo trifft dieſer Fehler alle Geſellſchaftsſchichten, nicht beſtimmte Klaſſen. Man ſoll doch nicht verallgemeinern; man ſoll nicht, weil ein Mädchen aus der Heilsarmee ſo etwas er⸗ zählt, nun gleich glauben, daß das bei allen Mädchen vorkommt, die beſtimmten Kreiſen angehören. Ich bedaure, daß Herr Kollege Schwarz ſo wenig Menſchenkenntnis beſitzt und ſich ſelbſt ſo wenig in der Welt umgetan hat, daß er von ſolchen Dingen nichts weiß. Damit glaube ich Herrn Kollegen Schwarz verlaſſen zu können. Ich bitte Sie, ſich nicht von derartigen Er⸗ wägungen leiten zu laſſen, ſondern objektiv zu prüfen, und wenn Sie objektiv prüfen, ſo werden Sie zu der Meinung kommen müſſen, daß nur ſolche Vereine unterſtützt werden dürfen, die ſich von allen religiöſen und politiſchen Beſtrebungen fernhalten. Dann müſſen Sie auch die Garantie verlangen, daß das auch hier bei dieſem Verein der Fall iſt. Sta dtv. Schwarz: Herr Stadtverordneter Hirſch hat ſich auf den Standpunkt des Sittenrichters geſtellt (Widerſpruch des Stadtv. Hirſch) und mir hohnlächelnd geſagt, was hier zu tun und nicht zu tun, was hier am Platze und nicht am Platze wäre. So charakteriſtiſch, wie dieſe Rede von Herrn Stadtv. Hirſch geweſen iſt, habe ich noch keine von ihm gehört. Ich habe Geſchichten erzählt, hat er Ihnen geſagt, die gar nicht zur Sache gehörten. Er hat eben gar nicht ver ſtanden, daß jemand, der Erzieher der Jugend iſt,Ida, wo er große Gefahren für beide Seiten ſieht, für Mödchen und für junge Männer, mit Recht warm eintritt oder nach Herrn Hirſchs Ausdrucksweiſe pathetiſch wird. Denn da handelt es ſich um die moraliſche Geſunoheit, darum, daß nicht in Zukunft Fäulnis unſer Volk ergreift. Wenn da pathetiſcher Ausdruck nicht a Platze iſt, ſo weiß ich nicht, wo er es iſt. (Widerſpruch bei den Sozialdemokraten.) Herr Stadtv. Hirſch glaubt mit Witzeln die Sache abzumachen. Aber er täuſcht ſich vollkommen darüber. Jeder Vater wird begreifen, daß man in Pathos gerät, wenn es ſich um das Heil ſeiner Kinder handelt. Daß der Herr Kollege darüber witzeln kann, darum beneide ich ihn nicht. Stadtv. Zietſch: Die Verwunderung des Herrn Kollegen Schwarz, daß dieſe Angelegenheit, die ſchon im Etatsausſchuß beraten worden iſt, hier im Plenum noch einmal wiederholt wird, iſt ganz unangebracht. Dazu iſt ja die öffentliche Sitzung da, daß das, was im Ausſchuß nicht zur Zufriedenheit der einzelnen Fraktionen erledigt worden iſt, im 14 noch einmal zur Sprache gebracht werden ann. Dann ſteht Herr Kollege Schwarz auch auf einem verkehrten Standpunkt, wenn er ſeine ein⸗ tägigen Erfahrungen (Zuruf) — meinetwegen auch einnächtigen Erfahrungen — zu verallgemeinern ſucht. So ſchlimm, wie Herr Kollege Schwarz ſie malt, ſind die Dinge nicht. Ich gebe Herrn Kollegen Schwarz aber ohne weiteres zu: es könnte in den verſchiedenen Kreiſen der Geſellſchaft noch beſſernd gewirkt werden, nicht bloß in den Kreiſen der Arbeiterinnen. Ich erinnere Sitzung vom 17. März 1909. Herrn Kollegen Schwarz nur daran, daß vor zwei Jahren ein Prozeß ſtattgefunden hat, in welchen u. a. auch ein Charlottenburger Profeſſor und ein hieſiger Fabrikant verwickelt waren. Dieſer Prozeß hatte eine ſchwere Körperverletzung zur Urſache, und es kam in dem Prozeß zur Sprache, daß ſich der Profeſſor und der Fabrikant in ſehr animierter Stimmung Sektflaſchen am Kopfe zerſchlagen haben. Vielleicht glaubt Herr Kollege Schwarz nicht, daß dieſer Profeſſor auch noch der Fürſorge des Lehrlingsheims unterſtellt werden müßte; not⸗ wendig wäre es jedenfalls. Aber die warme Für⸗ ſorge des Herrn Kollegen Schwarz für dieſen Verein gibt mir die Gewißheit, daß dieſer Verein nicht ſo unparteiiſch geleitet wird; ſonſt würde Herr Kollege Schwarz nicht ſo warm für ihn eintreten. Wenn Herr Kollege Schwarz ferner glaubt, argumentieren zu müſſen, daß uns an der Jugend⸗ erziehung nichts liegt, dann iſt er falſch unterrichtet. Ehe die von Ihnen ſo ſehr gerühmten Jugend⸗ vereine errichtet wurden, hat die Arbeiterſchaft ſchon die Wege dafür geebnet, und Ihre Jugend⸗ vereine ſind nur Nachbildungen unſerer Jugend⸗ vereinsbildungen. (Zuruf.) — Ja, wenn wir mit Unterſtützungsanträgen an Sie kommen, werden Sie ſich ſicher wieder auf Ihren bekannten Standpunkt ſtellen, daß Sie „politiſchen“ Vereinen nichts geben, trotzdem bei uns Politit und Religion auch ausgeſchaltet ſind. Nun noch ein Wort gegenüber Herrn DrCrüger 1 Herr Kollege Dr Crüger verzichtet im Intereſſe der guten deutſchen Sprache darauf, unſere Anregung zu unterſtützen. Ich habe nicht geſagt, daß die Worte „tiefſtes Bedauern“ ſchematiſch durch die Worte „energiſchen Proteſt“ erſetzt werden ſollen; dann würde freilich ein noch ſchlechteres Deutſch in den Satz hineinkommen. Mir lag nur daran, aus⸗ zudrücken, daß das „tiefſte Bedauern“ der Stadt mir nicht genügt. (Zurufe.) — Auch das „allertiefſte“ würde mir noch nicht ge⸗ nügen. Zu einem Proteſt ſchwingen Sie ſich aber nicht auf; denn auch das Proteſtieren haben Sie ſchon verlernt. (Ein Antrag des Stadtv. Holz auf Schluß der Beratung wird angenommen.) Stadtv. Hirſch (perſönliche Bemerkung): Meine Herren, Herr Kollege Schwarz irrt, wenn er meint, daß ich mich hier als Sittenrichter aufgeſpielt habe. Erſtens habe ich kein Talent dazu, (Na, na!) und zweitens wird jeder, der meine Ausführungen gehört hat, zugeben, daß es nicht richtig iſt, daß ich als Sittenrichter aufgetreten bin. Herr Kollege Schwarz behauptet ferner, ich hätte darüber gewitzelt, daß er für das gefährdete Seelenheil der Kinder, der Jugend, eingetreten ſei. Darüber zu witzeln, liegt mir fern, da mir das Seelenheil der Jugend ebenſo am Herzen liegt wie Herrn Kollegen Schwarz. Wenn ich über etwas gewitzelt habe, ſo iſt es lediglich über die Art und Weiſe, wie Herr Kollege Schwarz hier aufgetreten iſt. Stadtv. Schwarz (perſönliche Bemerkung): Das iſt ja immer die von Ihnen beliebte Taktik, per⸗ ſönlich zu werden, die wir ablehnen.