172 ſchließlich beſſer, daß die Gewählten ſich in ihrer Bequemlichkeit eingeengt fühlen, als die Wähler in dem, was ſie als berechtigten Einfluß auf die Vertretung der Wählerſchaft anſehen. Meine Herren, das alles ſind Erwägungen, die gegen die Vorlage ſprechen. Ich will aber nicht verhehlen, daß dieſen Bedenken eine ganze Reihe von ſchwerwiegenden Erwägungen gegenüberſteht, die die ernſteſte Prüfung verdienen. Man kann ſich insbeſondere der Frage nicht verſchließen, ob die grundſätzliche Regelung, wie ſie in der revidierten Städteordnung von 1853 gegeben wurde, bei der gegenwärtigen Entwicklung des Städteweſens in Preußen auf die Dauer durchzuführen ſei, ohne daß weſentliche, vielleicht unleidliche Schwierig⸗ keiten ſchließlich doch einmal zutage treten. Es iſt ziemlich klar, daß der Geſetzgeber von 1853 an die ſprunghafte Entwicklung des deutſchen Städte⸗ weſens — eine Folge des Übergangs vom Agrar⸗ ſtaat zum Induſtrieſtaat — gar nicht gedacht hat. Ich habe aus den ſtenographiſchen Berichten der damaligen Zweiten Kammer feſtſtellen können, daß damals Erwägungen, wie die ſind, die zu der heutigen Beratung geführt haben, offenbar bei niemandem aufgetaucht ſind; iſt doch § 12 der Städteordnung, den wir hier ortsſtatutariſch ab⸗ ändern ſollen — ich glaube —, der einzige Para⸗ graph der revidierten Städteordnung, der, aus⸗ weislich der ſtenographiſchen Berichte, ohne jede Wortmeldung angenommen worden iſt, ſo daß anſcheinend in der 3Zweiten Kammer alle Parteien von der Vortrefflichkeit dieſer Beſtimmung und des darin ausgeſprochenen Prinzips überzeugt waren. Ich glaube: hätten die Geſetzgeber von 1853 an Zuſtände gedacht, wie ſie in Groß⸗Berlin und in anderen raſch aufblühenden Induſtrieſtädten Preußens ſich herausgebildet haben, ſie würden wahrſcheinlich zu einer Begrenzung der Stadt⸗ verordnetenmandate nach oben geſchritten ſein. Wenn nicht inzwiſchen eine grundſätzliche Ab⸗ änderung der Städteordnung von den zuſtändigen Stellen beliebt wird, muß man deshalb am Ende doch einmal in den raſch emporwachſenden Städten dazu ſchreiten, durch Ortsſtatut eine Begrenzung nach oben hin eintreten zu laſſen. Da wird es, wie ein großer Teil meiner Freunde meint, gerecht⸗ fertigt erſcheinen, wenn der Magiſtrat davon aus⸗ geht: es ſei beſſer, eine ſolche Frage in dem Zeit⸗ punkt zu regeln, wo ſie nicht ſchon akut geworden iſt. Man vermeidet vielleicht dadurch für eine ent⸗ fernte Zukunft erbitterte Kämpfe, während heute die Behandlung dieſer Fragen ſich mehr in akade⸗ miſchen und theoretiſchen Bahnen bewegen kann. Nun iſt ja auch, wie ich beſonders betonen möchte, auf die Empfindungen der Wählerſchaft bei einer ſolchen Vorlage Rückſicht zu nehmen. Es läßt ſich kaum beſtreiten, daß, wenn heutzutage etwa auf je 43 000 Bürger ein Stadtverordneter kommt, ſehr leicht ein Teil der Einwohnerſchaft es als eine Einſchränkung ſeiner Rechte, ſeines Ein⸗ fluſſes auf die Bürgerſchaftsvertretung empfinden könnte, wenn allmählich ein Zeitpunkt eintritt, wo erſt 54 000, vielleicht ſpäter einmal ſogar 70 000 oder 100 000 Einwohner erſt einen Stadtver⸗ ordneten zu wählen haben. Gegenüber ſolchen Empfindungen iſt allerdings die Erwägung nicht abzuweiſen, daß nicht notwendig durch eine der⸗ artige Einſchränkung der Einfluß des einzelnen Wählers auf die kommunalpolitiſche Geſtaltung Schaden nehmen muß: wenn 50 000 Wähler Sitzung vom 21. April 1909 einen Stadtverordneten in ein Kollegium von 72 Mitgliedern wählen, ſo iſt der Einfluß des ge⸗ wählten einen Stadtverordneten unter 72 Mit⸗ gliedern bei den Abſtimmungen genau der gleiche, wie der von zwei Stadtverordneten in einem Kollegium von 144 Mitgliedern. Alſo iſt eine rechneriſche Einſchränkung des Wahlrechts des ein⸗ zelnen Bürgers — wie ſie eintritt, wenn man nach den Vorſchlägen des Magiſtrats ohne Rückſicht auf das Anwachſen der Bevölkerung zunächſt die gleiche Stadtverordnetenzahl beibehält — gewiß nicht notwendig die Urſache für eine Minderung des politiſchen Einfluſſes der Wählerſchaft. Sowohl diejenigen meiner Freunde, die grund⸗ ſätzlich gegen eine ortsſtatutariſche Regelung dieſer Frage ſind, als auch diejenigen, welche einer künf⸗ tigen Ordnung der Dinge, wie ſie die Magiſtrats⸗ vorlage vorſchlägt, zuneigen, ſind darin einig, daß auch noch der Inhalt der Vorlage, ihre einzelnen Beſtimmungen einer ſorgfältigen Prüfung unter⸗ zogen werden müſſen. Es drängt ſich zunächſt die Frage auf: welche Gründe liegen eigentlich vor — da doch der Magiſtrat zugibt, daß man ſchließlich auch mit einem Kolle⸗ gium von 90 Mitgliedern ganz gut die Geſchäfte führen kann, und wenn er für die Zeit, wo die Zahl von 400 000 Einwohnern erreicht iſt, ſich mit einer ſolchen Ordnung der Verhältniſſe abgefunden hat, — welche Gründe liegen alſo vor, daß er trotzdem ſchon jetzt für die ganze Übergangszeit, für eine vorläufig nicht überſehbare Zeit einen Strich ziehen will? Warum will er nicht ſo, wie es die Regel des Geſetzes vorſieht, bis zur Anzahl von 90 Mit⸗ gliedern das Anwachſen der Stadtverordneten⸗ mandate andauern laſſen? Anderſeits gibt auch ein anderer Punkt zu Bedenken Veranlaſſung, die ſchon der Herr Vorredner berührt hat. Wir haben doch in Preußen eine Anzahl von Städten, in denen mehr als 90 Mitglieder ganz gut die Geſchäfte der Stadt führen. Weshalb ſoll, ſobald einmal die Einwohnerſchaft über 400 000 geſtiegen iſt und wenn ſie ſelbſt weiter auf 700 000 ſteigen ſollte, — wenn ſie vielleicht durch eine Erweiterung des Weich⸗ bildes noch eine höhere Zahl erreicht, trotz alledem der Strich bei der Zahl 90 gemacht werden? Das ſind praktiſche Bedenken, unabhängig von den grundſätzlichen, die eine eingehende Prüfung durch einen Ausſchuß nötig machen. Ich beantrage daher die Einſetzung eines Aus⸗ ſchuſſes von 15 Mitgliedern. Gerade mit Rückſicht auf die weittragende Bedeutung dieſer Vorlage möchte ich dabei die Hoffnung ausſprechen, daß das Ergebnis ſeiner Beratungen ſowohl den be⸗ rechtigten Anſprüchen der Verwaltung, wie den Intereſſen und Empfindungen der ganzen Wähler⸗ ſchaft gerecht werden möge. (Bravo) Stadtrat Seydel: Meine Herren, ich bin über⸗ raſcht, heute von zwei Seiten Widerſpruch oder wenigſtens mehr augenſcheinliche Abneigung als Zuneigung für die durch die Vorlage beabſichtigte Regelung zu hören; denn die heutige Vor⸗ lage des Magiſtrats beruht ja auf einem Stadtverordnetenbeſchluſſe vom 17. Juni v. I., worin die Stadtverordnetenver⸗ ſammlung ausdrücklich, und zwar mit großer Mehrheit erklärt hat, daß ſie zu einer Ver⸗ mehrung der Stadtverordneten keinen Anlaß fände. (Zuruf: Zur Zeit!) 2 5 1%