Sitzung vom 21. April 1909 — Nun ia, zur Zeit. Was heißt: zur Zeit? Dieſe Einſchränkung würde dem Magiſtrat doch heute nur dann entgegengehalten werden können, wenn die Verhältniſſe ſeit jenem Beſchluſſe weſentlich anders geworden wären; nun ſind ſeitdem nur / Jahre veeſe gan- Aße Wachstum Charlottenburgs iſt in dieſer Zei eblich fortgeſchritten. Die Verhält⸗ niſſe ſin d alſo heute kaum andere als vor ¼ Jahren. Der Magiſtrat durfte daher damit rechnen, daß er heute nücht auf grundſätzlichen Wider⸗ ſpruch ſtoßen würde, und er hätte daher wohl glauben können, daß er ſich auf eine noch viel kürzere Vorlage beſchränken dürfte, als die iſt, die Ihnen vorgelegt iſt. Sie iſt trotzdem verhältnis⸗ mäßig ausführlich geſtaltet worden, weil die Materie doch immerhin ſehr wichtig iſt. Übrigens wüßte ich nicht, welche weſentlichen Gründe noch für die Vorlage hätten angeführt werden können. Selbſtverſtändlich wird jeder glauben, noch die eine oder die andere Erwägung anſtellen zu müſſen — Erwägungen teils praktiſcher, teils theoretiſcher Art. Große theoreti ſche Aus⸗ führungen paſſen nun aber in eine Stadtverord⸗ netenvorlage ſchlecht hinein. Die werden am beſten in kleinerem Kreiſe erörtert. Die praktiſchen Erwägungen ſind dagegen in der Vorlage wohl kaum zu kurz gekommen. Man hätte vielleicht noch gerade das, was hier von den großen Parla⸗ menten geſagt worden iſt, für die Vorlage an⸗ führen können, denn die Zahl der Wähler, die auf einen Abgeordneten entfällt, iſt z. B. im Deutſchen Reich und im preußiſchen Staate verhältnismäßig viel größer als bei uns, obgleich die großen Parlamente viel größere Aufgaben und ein viel umfangreicheres Arbeitsgebiet zu bewältigen haben, als die Stadtverordnetenverſammlung. Gerade dieſe Erwägungen müßten zu dem Schluſſe führen: wenn das Reich und der Staat mit einigen hundert Abgeordneten auskomm en, dann müßte die Stadt⸗ verordnetenverſammlung bei einer Einwohner⸗ zahl von 200 bis 400 000 mit 72 Stadtverordneten erſt recht auskommen können. Daß die rheiniſchen Städte eine andere Ver⸗ faſſung haben, Herr Stadtv. Stein, das war mir wohl betannt, als ich ſie in die Reihe der übrigen Städte hineinordnete. Ihre Hineinbeziehung iſt aber mit gutem Grunde geſchehen: ſie wäre nur dann unberechtigt, wenn die Stadtverordneten in jenen rheiniſchen Städten viel weniger zu leiſten hätten als in unſeren öſtlichen Städten, daß infolge⸗ deſſen auch auf den einzelnen Stadtverord⸗ neten ein geringeres Maß von Arbeit entfiele und daher dort eine geringere Zahl von Stadtverordneten ausreichte. Das iſt aber nich t der Fall: im Gegen⸗ teil, ich glaube behaupten zu können, da die rhei⸗ niſchen Städte keinen Magiſtrat haben, vielmehr die Stadtverordneten zuſammen mit dem Oberbürger⸗ meiſter die weſentlichen Träger der Verwaltung ſind, daß die Stadtverordneten dort eher mehr zu tun haben als in den öſtlichen Städten, und daß es ſich daher wohl eher rechtfertigen ließe, die Zahl dort größer zu bemeſſen als bei uns. Tat⸗ ſächlich iſt ſie aber viel tleiner, zum Teil um die Hälfte tleiner als in den größeren Städten des Oſtens. Aus der Aufſtellung des Magiſtrats iſt alſo zu entnehmen, daß es ſich ſogar mit einer weſentlich kleineren Zahl von Mit⸗ gliedern, als wir ſie ſchon jetzt haben, bei dem⸗ ſelben Aufgabenkreiſe vortrefflich arbeiten läßt; 173 denn daß die rheiniſchen Städte vorzüglich ver⸗ waltet werden, iſt ja bekannt. Ich möchte auf die aufgeworfenen Fragen nicht weiter eingehen; wir werden uns ja im Aus⸗ ſchuß über alles, was diskutiert worden iſt, aus⸗ führlich unterhalten; nur auf eine Frage des Herrn Stadtverordneten Flatau möchte ich noch antworten: warum der Magiſtrat beſchloſſen hat, jetzt auf der Zahl 72 ſtehen zu bleiben und bis zur Erreichung von 400000 Einwohnern eine Pauſe zu machen, um dann erſt auf 90 zu gehen. Das hat ſeinen Grund in der allgemeinen Erwägung (die ſich aus der Vorlage übrigens auch ergibt), daß die ewige Unruhe vermieden werden ſoll, die bei dem ſchnellen Wachstum unſerer Stadt aus einer ſich ſchnell wiederholenden Vermehrung der Zahl der Stadtverordneten in den verſchiedenſten Rich⸗ tungen erwächſt. Dieſe Unruhe und Unſicherheit wollte der Magiſtrat vermeiden, er wollte endlich einmal dahin kommen, eine Zeitlang mit be⸗ ſtimmten, feſten Verhältniſſen auch hinſichtlich der Stärte des Stadtverordnetentollegiums rechnen zu fönnen. Der Grund iſt, meine ich, ziemlich ein⸗ leuchtend. — Nebenbei möchte ich noch bemerken: die Zahl, die Herr Stadtv. Flatau über Berlin an⸗ gegeben hat, kann nicht ſtimmen. Unſere Angaben beruhen auf einer Auskunft, die wir noch vor wenigen Tagen — wir haben extra noch einmal darum nach Berlin ſchreiben laſſen — von Berlin bekommen haben. Wir hatten Grund, an der Richtigteit der Berliner Mitteilungen, die wir früher erhalten hatten, zu zweifeln und haben Berlin dieſe Zweifel dargelegt; darauf hat uns Berlin durch den zuſtändigen Dezernenten ge⸗ ſchrieben, daß die Zahl der Stadtverordneten zu⸗ letzt im Jahre 1897 vermehrt worden wäre und daß eine ſpäter aufgetretene Abſicht einer weiteren Vermehrung nicht ausgeführt worden ſei. Im übrigen, glaube ich, iſt es nicht ratſam, da wir doch im Ausſchuß noch zu einer ausführlichen Behandlung der Materie kommen, heute allzulange über die einzelnen ſtreitigen Fragen zu ſprechen. Ich möchte mich daher mit dieſen Ausführungen begnügen. Stadtv. Zietſch: Da der Herr Vertreter des Magiſtrats ſchon darüber erſtaunt geweſen iſt, daß meine beiden Vorredner aus der Stadtverordneten⸗ verſammlung gegen die Vorlage geſprochen haben, ſo wird ja ſein Erſtaunen nicht mehr wachſen, wenn auch ich gegen die Vorlage ſprechen werde. (Heiterkeit.) Die Tatſache, daß bereits die Begründung der Vorlage als äußerſt lückenhaft bezeichnet worden iſt, enthebt mich ſelbſt der Mühe, die Begründung hier noch ſo zu charatteriſieren; ich würde event. wieder ein Wort gebrauchen müſſen, das dem Herrn Oberbürgermeiſter wieder Anlaß gäbe, ſehr erregt gegen mich zu polemiſieren. Auch uns befriedigt die Vorlage im großen und ganzen nicht. Die Gründe, die der Magiſtrat dafür vorgebracht hat, ſchließen in allererſter Reihe eine ganz bedeutende Inkonſequenz des Handelns gegenüber dem Vor⸗ gehen des Magiſtrats im Jahre 1901 in ſich. Der Streit drehte ſich auch bei der anfänglichen Beratung des Antrags, der von meinen Fraktionsfreunden am 12. Februar 1908 geſtellt worden war, darum: tritt die Vermehrung der Stadtverordnetenzahl um 6 automatiſch ein, wenn die weiteren 50 000 der Bevölkerungszahl der Stadt angefangen haben