Sitzung vom 5. Mai 1909 185 oder eine andere Linienführung der Bahn empfohlen hat? Frageſteller Stadtv. Zietſch: Meine Herren, wenn ich daran denke, mit welchem Enthuſiasmus am 24. März von der Mehrheit der Stadtverord⸗ netenverſammlung die Vorlage des Magiſtrats angenommen worden iſt, nach der eine Unter⸗ grundbahn, eine Schnellbahn, von der Neuen Kantſtraße bis nach dem Nollendorfplatz gebaut werden ſollte, dann erſcheint es mir um ſo not⸗ wendiger, hier einmal darüber zu ſprechen, welche Hemmniſſe ſich jetzt der Ausführung des Projektes entgegengeſtellt haben. Dieſe Hinderniſſe kamen denen ja nicht unerwartet, die ſich vorher ſchon eingehender mit der Sache beſchäftigt hatten; die wußten, welche Streitigkeiten, welche verſchiedenen Intereſſen zwiſchen den Gemeinden Schöneberg, Wilmersdorf und Charlottenburg in bezug auf den Bau einer Schnellbahn, die dieſe Vororte mit dem Zentrum von Groß⸗Berlin verbinden ſoll, beſtanden. Nachdem die Magiſtratsvorlage am 24. März von der Stadtverordnetenverſammlung angenom⸗ men war, fand im Miniſterium der öffentlichen Arbeiten eine Konferenz ſtatt, von der Sie ja auch Kenntnis haben, ſoweit die Blätter darüber be⸗ richtet haben. An jener Konferenz haben, außer den Vertretern des Miniſteriums, Vertreter der Gemeinden Charlottenburg, Schöneberg, Wilmers⸗ dorf und auch der Hochbahngeſellſchaft teil⸗ genommen. Sie werden im großen und ganzen über das Reſultat der Konferenz unterrichtet ſein; es lief in erſter Linie darauf hinaus, daß die Regie⸗ rung reſp. der Herr Miniſter ſich nicht ſehr freundlich dem Projekt Charlottenburgs gegenüber verhalten hat. Auf welche Informationen dieſe Haltung des Miniſters zurückzuführen iſt, wodurch ſie zu erklären ſein könnte, das möchte ich hier ununter⸗ ſucht laſſen. Man iſt da ſehr viel auf Vermutungen angewieſen, und Vermutungen in dieſer Sache, die für die Intereſſen Charlottenburgs eine ſo große Bedeutung hat, nur unbegründet ausſprechen zu können, darauf möchte ich verzichten. Weitere Konferenzen fanden dann im Anſchluß an dieſe Konferenz im Miniſterium zwiſchen den Gemeinden Schöneberg, Wilmersdorf und Char⸗ lottenburg ſtatt. Dieſe Konferenzen waren eine Folge der im Miniſterium abgehaltenen Konferenz. Der Miniſter beauftragte den Vertreter von Charlottenburg, den Vorſitz in dieſen ſpäteren Konferenzen zu führen. Es ſollte in erſter Linie dabei feſtgeſtellt werden, welche ſtreitigen Punkte zwiſchen den einzelnen Gemeinden vorhanden ſind, und in welcher Art und Weiſe ſie zur Zufriedenheit der drei reſp. vier beteiligten Parteien — wenn man die Hochbahngeſellſchaft dazu rechnet — bei⸗ gelegt werden könnten. Nun wiſſen Sie auch aus den Zeitungsnotizen, die darüber erſchienen ſind, daß die Konferenzen inbezug auf das von Char⸗ lottenburg beabſichtigte Bahnprojekt ergebnislos ver⸗ laufen ſind. Schöneberg ſcheidet ja überhaupt nach der Lage der Dinge jetzt aus dem Streit aus. Schöneberg iſt in der glücklichen Lage, ſich inſofern als die gerettete Partei zu fühlen, als es ſeine Bahn ohne weiteres glattweg zum Nollendorfplatz und von dort nach den bis jetzt gegebenen Zuſagen — ſoweit wenigſtens der Magiſtrat in Berlin zu Worte gekommen iſt weiter führen kann bis in das Herz von Berlin hinein. Der Streit der jetzt noch beſteht, dreht ſich in erſter Linie um die Intereſſenwahrnehmung Charlottenburgs einerſeits, Wilmersdorfs und der Hochbahn anderſeits. Nun kommt hinzu, daß die Zeitungsnachrichten ſchon anfänglich, als die Konferenz im Miniſterium ſtattgefunden hatte, behaupteten, das Miniſterium habe Charlottenburg die Ausführung des vor⸗ geſehenen Projekts verboten. Selbſtverſtändlich fann von einem derart ſtrikten Verbot des Mini⸗ ſteriums gegenüber dem Projekt von Charlotten⸗ burg meiner Auffaſſung nach nicht die Rede ſein. Meines Wiſſens hat die Stadtverwaltung von Charlottenburg dem Miniſterium bisher überhaupt noch nicht ein Genehmigungsgeſuch unterbreitet, auf Grund deſſen die Bahn gebaut werden ſollte, und ſolange ein derartiges Geſuch an das Mini⸗ ſterium nicht ergangen iſt, kann logiſcherweiſe ein Verbot des Bahnbaues vom Miniſterium nicht erfolgt ſein. Aber wenn dieſe Notiz in der Preſſe verbreitet wird und namentlich in einem Teil der Preſſe, der auf die Bildung der öffentlichen Meinung und auch auf die Beunruhigung in der öffentlichen Meinung einen großen Einfluß aus⸗ üben kann, dann muß doch von authentiſcher Seite feſtgeſtellt werden, daß von einem Verbot unſeres Bahnprojekts bis jetzt nicht die Rede ſein kann. Wenn aber das Miniſterium auch kein direktes Verbot gegen das Charlottenburger Projekt er⸗ laſſen haben kann, ſo ſteht doch feſt, daß die Neigung des Miniſteriums gegen das Charlottenburger Projekt gerichtet war, und daß ferner durchſickerte, daß das Miniſterium der Charlottenburger Stadt⸗ verwaltung eine andere Linienführung, als ſie vom Charlottenburger Magiſtrat vorgeſehen war, vorgeſchlagen hat. Danach ſollte Charlottenburg den Endpunkt ſeiner Bahn nicht auf den Nollendorf⸗ platz verlegen, ſondern die Bahn am Wittenbergplatz enden laſſen. Und ferner ſollte der Beginn der Bahn nicht in der Neuen Kantſtraße, ſondern nach einem neueren Vorſchiage des Miniſteriums, der ja auch nur in unverbindlicher Form durch die Zeitung bekannt geworden iſt, an dem Halenſeer Bahnhof liegen. Die Stellung der Regierung zu dem Vor⸗ ſchlage, den wir hier genommen haben, wird in allererſter Linie auf Gründe zurückgeführt, die ihre Unterlage in einer gewiſſen Wahrnehmung der Intereſſen der Hochbahngeſellſchaft haben. Die Regierung ſoll geſagt haben, daß, weil die Hochbahngeſellſchaft verpflichtet ſei, die unſicheren Zuſtände beim Gleisdreieck zu beſeitigen, das Gleisdreieck aufzulöſen, ſie — die Geſellſchaft — dadurch in ſehr ſchwierige Verhältniſſe und Ver⸗ pflichtungen hineingedrängt werde, die in ent⸗ ſprechender Weiſe zu löſen ihr nur möglich ſein könnte, wenn ſie die dafür aufgewendeten Kapitalien wieder ſich rentieren laſſen könnte durch die Er⸗ ſchließung neuer Gegenden für ihr Bahnnetz, die entſprechenden Gewinn für die Geſellſchaft bringen würden. Man hat geſagt, daß die Auflöſung des Gleisdreiecks ungefähr 20 Millionen koſten würde. Um die Verzinſung dieſer 20 Millionen wieder herausbekommen zu können, ſollten der Hochbahngeſellſchaft andere Strecken eröffnet werden. Die Regierung ſteht aber auf dem Standpunkt, daß das von Charlottenburg projektierte Unternehmen ein Konkurrenzunternehmen gegen die Linie der Hochbahngeſellſchaft nach dem Reichs⸗ kanzlerplatz iſt.