Sitzung vom hat bei Ihnen immer Unwillen hervorgerufen; Sie haben ſich gegen dieſe Vorwürfe gewehrt und geſagt, wir verdächtigten Sie ungerechtfertigter⸗ weiſe. Ja, meine Herren, ſehen Sie ſich jetzt nach den Ausſchußberatungen und beſchlüſſen die Be⸗ ſtimmungen der Familienzulage an und behaupten Sie einmal, daß hier Beamte und Arbeiter noch gleich behandelt werden! Es iſt eine ſo ſtark in die Erſcheinung tretende Ungleichheit in die Familien⸗ zulagenvorlage hineingekommen, daß dieſelbe die in der urſprunglichen Vorlage des Magiſtrats vor⸗ handen geweſene Differenzierung zwiſchen Be⸗ amten⸗ und Arbeiter⸗Familienzulagen noch über⸗ trifft. In der Begründungsſchrift des Magiſtrats zu dem Normalbeſoldungsetat heißt es an einer Stelle in bezug auf die Familienzulagen: Wir halten es für gerecht und billig, die Wohltat der Familienzulage nicht zu be⸗ ſchränken auf eine Klaſſe des ſtädtiſchen Per⸗ ſonals, ſondern ſie allen, und zwar unter zweckentſprechender Berückſichtigung der wirt⸗ ſchaftlichen und ſozialen Geſichtspunkte, doch nach im weſentlichen gleichen Grund⸗ ſätzen zuteil werden zu laſſen. Worin liegt nun hier die anſcheinende Gleichheit? Ich muß offen geſtehen, als ich in der letzten Plenar⸗ ſitzung meine Ausführungen über die Familien⸗ zulage machte, habe ich auch den Satz ausſprechen können und müſſen, daß man bei dem erſten Durch⸗ leſen der Vorlage zu der Auffaſſung kommen konnte, daß tatſächlich Arbeiter und Beamte gleichgeſtellt würden, weil ja die Höchſtgrenze der Familien⸗ zulage genau dieſelbe Ziffer für die Arbeiter nor⸗ mierte, als ſie für die Beamten vorgeſehen war. Aber in der Tat iſt doch eine ganz klaffende Un⸗ gleichheit, eine ſtart differenzierende Behandlung der Arbeiter und Beamten vorhanden. Es geht wie ein roter Faden durch die Beſtimmungen der Familienzulage und zum Teil auch durch den Normalbeſoldungsetat, dadurch erkennbar, daß die Beamten gegenuber der Arbeiterſchaft ſtark bevor⸗ zugt werden. In der Rede des Herrn Bürger⸗ meiſters in der letzten Plenarverſammlung iſt ja auch geſagt worden: die Familienzulagen für die Beamten müßten wir deswegen haben, weil ſie in allererſter Linie dazu beitragen könnten, ein Element in der Bevölkerung zu ſtärken, das für die Stärkung und Entwicklung der Nation und des Volkes von ganz beſonderer Bedeutung und Wert⸗ ſchätzung iſt. Und es wurde weiter geſagt: dadurch, daß wir den Beamten Familienzulagen geben, „ver⸗ richteten wir eine große nationale Tat“; „damit erfüllten wir eine nationale Verpflichtung, weil aus dieſer Beſchäftigung heraus“ — der Herr Bürgermeiſter ſtellte das ausdrücklich feſt — „namentlich in der letzten Zeit die Kräfte zur Er⸗ neuerung des Volkes geſproſſen ſeien, auf die wir jetzt mit Stolz blickten“. Wenn Sie dieſe Fürſorge für die Beamten als eine nationale Tat anerkennen und als eine nationale Verpfichtung betrachten, dann iſt es auch notwendig, daß Sie dieſe nationale Tat und dieſe nationale Verpflichtung auch auf die Arbeiterſchaft ausdehnen. Die Grundlage der Entwicklung des Volkes und des Staates iſt nicht in letzter Linie auf der Beamtenſchaft aufgebaut — das iſt ja die unſerer Auffaſſung nach ſo ungemein bornierte Auffaſſung verſchiedener Kreiſe, die glauben, daß ſich Staat und Volt aufbaut auf der Beamtenſchaft—; ſondern das Volt baut ſich in 9. Juni 1909 245 ſeinen breiteſten Schichten auf der Arbeiterſchaft auf. Und wenn Sie eine nationale Tat tun und eine nationale Verpflichtung erfüllen wollen, dann müſſen Sie vor allen Dingen darauf Bedacht nehmen, daß ſolche Beweiſe nationaler Betätigung auf die Arbeiterſchaft und die Beamtenſchaft in gleichmäßiger Anwendung ausgedehnt werden. Da wundert mich aber vor allen Dingen die Haltung der Liberalen zur Familienzulage. Sie haben durch Ihre Stellung und durch Ihre Be⸗ ſchlußfaſſung im Ausſchuß, die ja im weſentlichen hier die gleiche bleiben wird, die Magiſtratsvorlage meiner Auffaſſung nach noch verſchlechtert. Dem Magiſtrat können wir es ja nicht beſonders übel nehmen, wenn in ſeinem Kreiſe eine unſerer Anſicht nach ſehr einſeitige und beſchränkte Auffaſſung über den Wert der Beamtenſchaft als die Grundlage der Volksentwicklung beſteht. Den Magiſtrat ver⸗ pflichtet kein Programm zu einer liberalen An⸗ ſchauung. Aber die Herren Liberalen, die Herren Freiſinnigen ſollten doch weſentlich anderer Auf⸗ faſſung darüber ſein; für ſie ſollte ſich doch ein be⸗ deutend anderer Geſichtskreis in der Bewertung der untern Schichten des Volkes ergeben, und für ſie ſollte ſich doch der Staat nicht auf der Beamten⸗ ſchaft, ſondern auf der Beamtenſchaft und Ar⸗ beiterſchaft aufbauen. Ich führe Ihnen da nur Ihre frühere Forderung der Einführung der Einheitsſchule an: Sie wollen, daß die Schüler der höheren und minderbemittelten Klaſſen eine und dieſelbe Schulbank beſetzen können. Wenn Sie aber eine Familienzulage einführen wollen, die, wie es hier der Fall iſt, in verſchärftem Maße die Arbeiter hinter die Beamten zurückſetzt, dann verhindern Sie ja, daß auch die Kinder aus Arbeiter⸗ familien in die Lage kommen könnten, mit den Kindern von Beamten oder mit den Kindern von beſſer bemittelten Leuten eine höhere Schule be⸗ ſuchen zu können. Unſern Antrag, die Differenzie⸗ rung zu beſeitigen, lehnten Sie im Ausſchuß ab. Aber es iſt als ein erfreuliches Moment von mir begrüßt worden, daß einige Herren der liberalen Fraktion im Ausſchuß für die Aufhebung der Differenzierung geſtimmt haben. Doch ich glaube, die Herren werden in einer ganz geringen Minder⸗ heit in Ihrer Fraktion geblieben ſein. (Widerſpruch bei den Liberalen.) — Wenn das nicht der Fall iſt, Sie werden ja Gelegenheit haben, für unſeren wieder einge⸗ brachten Antrag ſtimmen zu können; dann nehme ich ſelbſtverſtändlich gern alles zurück, was ich gegen Sie in bezug darauf geſagt habe. Die Haltung der Liberalen hat mich aber auch inſofern ſehr gewundert, als ſie eine Schwen⸗ kung mit ihren Anſichten vollzogen haben in bezug auf die Sicherſtellung des Rechtsanſpruchs der Beamten und Arbeiter auf die Familienzulage. Dieſer Wechſel der Anſichten überraſchte uns um ſo mehr, als ja auch der Herr Referent in ſeinem Referat in der letzten Sitzung mit Nachdruck darauf hingewieſen hatte, daß es erforderlich ſein würde, den Beamten und Arbeitern einen Rechtsanſpruch auf die Familienzulage zu gewähren. Sehen Sie ſich aber nun die Ausſchußanträge an, und Sie werden finden, daß man es aufgegeben hat, dieſe Forderung durchzudrücken; wir ſtanden allein im Ausſchuß da. Selbſtverſtändlich werden wir Ge⸗ legenheit nehmen, zu verſuchen, den Rechtsanſpruch in die Vorlage hineinzubringen; wir werden Ihnen einen entſprechenden Antrag unterbreiten.