Sitzung vom 9. Juni 1909 255 würden, wie Sie ſelbſt manchmal wünſchen mögen, Sie ſich bei dem Verſuche, meine Ausführungen zu daß ſie gehalten werden. (Zurufe bei den Liberalen.) Wenn Herr Kollege Meyer ferner ſagte, man könne darüber gar nicht ſtreiten, daß, wenn eine Gehaltsaufbeſſerung für alle Beamten und Arbeiter ſtattfindet, wenn alſo dieſe einer Gehaltsauf⸗ beſſerung für würdig erachtet werden, es ungerecht ſei, dieſe Würdigkeit den Magiſtratsmitgliedern abſprechen zu wollen. Herr Kollege Meyer, wer hat von meinen Freunden jemals auf dem Stand⸗ punkt geſtanden, den Magiſtratsmitgliedern die Würdigkeit für die von Ihnen geforderten Gehalts⸗ erhöhungen abſprechen zu wollen? Ich meine, das heißt die Dinge auf den Kopf ſtellen. Es handelt ſich doch bei dem ganzen Normalbeſoldungs⸗ etat überhaupt nicht um eine Frage der Würdig⸗ keit, ſondern der Notwendigkeit und Bedürftigkeit. Und dieſe Notwendigkeit haben wir bei den Beamten und Arbeitern mit Ihnen in umfaſſendſtem Maße anerkannt. Wir können dieſe Bedürftigkeit nur nicht anerkennen für die Magiſtratsmitglieder. Gewiß, man kann darüber ſtreiten; aber Sie können uns keinen Vor⸗ wurf daraus machen. Und ich bitte, für die Zukunft die Würdigkeit und die Notwendigkeit in bezug auf dieſe Dinge ſtreng auseinanderhalten zu wollen. Wenn Herr Kollege Meyer nun auf die Vor⸗ würfe zu ſprechen gekommen iſt, die von mir gegen die Ausſchußanträge für die Familienzulage⸗ beſtimmungen gemacht worden ſind, ſo verſtieg er ſich ſogar zu der Zuſpitzung der Vorwürfe, daß er ſagte: wir (die Liberalen) ſind geradezu zu Verbrechern ſtigmatiſiert worden wir (die Liberalen) brächten falſche Zahlen vor, ergo ſind wir Verbrecher. Selbſt auf Grund der weitherzigſten Aus⸗ legungen des Strafgeſetzbuchs könnte man nicht aus dieſer Aufſtellung unerreichbarer Zahlen ein „Verbrechen“ konſtruieren, wie zu tun Herr Kollege Meyer ſich hier bemüht hat. Ich habe mich doch befleißigt, meine Auffaſſung in ziemlich gemäßigter Weiſe zum Vortrag zu bringen. (Heiterkeit bei den Liberalen. Stadtv. Otto: „Ziem⸗ lich gemäßigt iſt gut!“) — Ja, ich kann auch anders, wenn Sie wollen. (Zuruf bei den Liberalen: Volksverſammlung!) — Da brauche ich nicht in Volksverſammlungen zu gehen. (Stadtv. Dr von Liszt: Bei dieſer Gelegenheit iſt es nicht am Platze!) — Wann es am Platze iſt, darüber muß ja der Redner ſelbſt entſcheiden, Herr Kollege v. Liszt. Ich will hier aber ohne weiteres erklären: wenn Herr Kollege Meyer aus den Ausführungen, die ich gemacht habe, glaubt den Vorwurf für ſich herleiten zu müſſen, daß er ein Verbrecher ſein ſoll, dann hat er weit über das Ziel hinausgeſchoſſen. Meine Herren, ich geſtehe gern zu, daß mir dieſer Vorwurf Herrn Kollegen Meyer gegenüber ſehr fern gelegen hat; ich halte ihn am allerwenigſten für einen Verbrecher. Aber ein ſehr ſchwerer Vorwurf, den Herr Kollege Meyer uns gemacht hat, iſt darin zu finden, daß er ſagt, er müſſe ſeine Ausführungen weſentlich einſchränken in bezug auf das Wettrennen, das nicht ſtattgefunden habe. Jetzt, ſagt Herr Kollege Meyer, findet das Wettrennen ſtatt, ſpeziell wo es ſich um Reden für die Offentlichkeit handelt. Herr Kollege Meyer, ich halte manches Ihrer Erregung zugute, in die entkräftigen, hineingeredet haben. Aber halten Sie ſich vor, was Sie geſagt haben uns gegenüber. Uns machen Sie zum Vorwurf, Effekthaſcherei und Hinausreden zum Fenſter getrieben zu haben, und Sie meinen: im Ausſchuß, wo es ſich um ſtille Arbeit handelt, haben wir nichts geſagt; aber jetzt, wo es ſich um die Offentlichkeit, vor dem großen Forum der Allgemeinheit handelt, da halten die Herren Reden zum Fenſter hinaus. Herr Kollege, Sie ſprechen gegen Ihre beſſere Überzeugung, wenn Sie ſo etwas ſagen und behaupten wollen. (Glocke des Vorſtehers.) Vorſteher Kaufmann (unterbrechend): Herr Kollege Zietſch, es iſt nicht zuläſſig, einem Mit⸗ gliede der Verſammlung vorzuwerfen, daß es gegen beſſere Uberzeugung etwas ſagt. Das iſt gegen die Ordnung des Hauſes. (Pauſe.) Sie haben den Ausdruck nicht zurückgenommen. (Stadtv. Zietſch: Nein, ich kann ihn auch nicht zurücknehmen.) Dann rufe ich Sie hiermit zur Ordnung. Stadtv. Zietſch (fortfahrend): Wir haben hier namentlich unſere Stellungnahme zu den Be⸗ ſtimmungen für die Familienzulage zu begründen geſucht und haben hier nur dieſelben Anträge vor⸗ gelegt und beſprochen, die wir ſchon im Ausſchuß geſtellt und auch eingehend zu begründen ver⸗ ſuchten. Es trifft alſo nicht zu, daß wir hier in der Offentlichkeit ein Scheinwettrennen veranſtalten, während wir bei der ſtillen Arbeit im Ausſchuß ohne Widerſpruch und ohne Forderungen alles ruhig hingenommen hätten. Es kommt auch noch die Redewendung des Herrn Bürgermeiſters in Frage, der geſagt hat, meine Ausführungen hätten in der Tat die Dinge bei faſt allen Poſitionen auf den Kopf geſtellt; in der Tat ſeien bei der Bemeſſung der Familien⸗ zulagen die Arbeiter bedeutend beſſer gefahren als die Beamten. Gewiß, wenn man über ein Beamten⸗ gehalt von 3000 ℳ hinausgeht, dann treten andere Prozentzahlen, als dieſelben für die Familien⸗ zulagen für Arbeiter ſich ergeben, ein. Das iſt auch ohne weiteres von uns zugeſtanden und anerkannt worden. Aber ein ganz großer Kreis der Beamten bezieht unter 3000 ℳ Gehalt. Und da habe ich in der vorigen Plenarſitzung ſchon durch Zwiſchenruf darauf hingewieſen, daß ſich dieſe Beamten weſentlich beſſer ſtehen würden als die Betriebsarbeiter, die ja nur mit ſehr geringen Ausnahmen — und ich bin ſehr begierig, von dem Herrn Bürgermeiſter die Zahl der Arbeiter zu erfahren, welche an eine Lohnhöhe von 3000 ℳ herankommen oder gar darüber hinaus reichen — in den Genuß der Höchſtbeträge der Familien⸗ zulage kommen können. Ich verſtehe auch nicht die Schlußfolgerung des Herrn Bürgermeiſters, daß wir die ganze Vorlage zunichte machen wollten mit unſeren Reden. Und ebenſowenig zu⸗ treffend ſcheinen mir die Ausführungen des Herrn Kollegen Meyer zu ſein, der ſagte, wir hätten die ärgſten Schläge gegen die Freunde der Fa⸗ milienzulage geführt. Wir wollen doch nicht die Gärung durch dieſe Beſtimmungen der Fa⸗ milienzulage in die Kreiſe der Arbeiter hinein⸗ tragen; ſondern ich habe nur konſtatiert, daß dieſe Differenzierung bei der Bemeſſung der Familien⸗