Sitzung vom 30. Juni 1909 durch die Erhöhung der Krankenpflegeſätze die Volksgeſundheit gefährdet würde. Der Herr Ver⸗ treter des Magiſtrats ſteht alſo auf dem entgegen⸗ geſetzten Standpunkte. Er meint, wenn wir nicht die Gebührenſätze erhöhten, dann würden alle Leute von außerhalb unſer Krankenhaus aufſuchen, und wir würden dann eine Gefährdung der Volks⸗ geſundheit erleben. Herr Kollege Vogel hat bereits darauf hin⸗ gewieſen, daß das tatſächlich nicht zutrifft, und in der vorigen Sitzung iſt auch von meinen Freunden ausdrücklich betont worden, daß das ein ſehr be⸗ liebter Einwand iſt, der bei jeder Gelegenheit er⸗ hoben wird, wenn Forderungen geſtellt werden, die in dieſer oder jener Richtung einen Fortſchritt bedeuten. Es ſcheint, daß man im Magiſtrat nach dem Schema F arbeitet. Wenn Sie ſich der De⸗ batten über die Wohnungsfrage erinnern, da wurde von Gegnern der Wohnungsfürſorge geſagt: wir dürfen unmöglich in Charlottenburg zu weit gehen, denn ſonſt würde die ganze Bevölkerung von Groß⸗ Berlin nach Charlottenburg ziehen. Dasſelbe Argument wurde von anderer Seite angeführt. Wie wenig das zutrifft, meine Herren, das beweiſen die früheren Vorgänge. Wir haben im Jahre 1900, als Berlin und andere Gemeinden die Gebühren⸗ ſätze für die Verpflegung in den Krankenhäuſern erhöhten, von dieſer Maßnahme Abſtand genommen. Wäre das, was der Herr Stadtrat befürchtet, richtig, dann wären wir ja damals von allen Kranten aus der Umgegend von Berlin überſchwemmt worden, und dann hätte damals dieſe große Ge⸗ fährdung der Volksgeſundheit für Charlottenburg eintreten müſſen. Ich glaube, daß nicht einmal aus den Akten des Magiſtrats hervorgeht, daß in irgend⸗ einer Weiſe eine Gefahr für die Volksgeſundheit durch die im Jahre 1900 getroffene Maßnahme ent⸗ ſtanden iſt. Weil ich gerade bei der Vorlage von 1900 bin, halte ich es für notwendig, mit einigen Worten darauf einzugehen, um an der Hand eines Ver⸗ gleichs zwiſchen der Vorlage von 1900 und der jetzigen Vorlage zu zeigen, wie rückſchrittlich wir allmählich in Charlottenburg geworden ſind. Im Jahre 1900 hat der Magiſtrat ſich auf den Stand⸗ punkt geſtellt, man dürfe die Gebührenſätze für die Verpflegung in den Krankenhäuſern nicht erhöhen. Die damalige Vorlage wollte nur vermeiden, daß zugunſten von Kranken aus auswärtigen Gemein⸗ den Aufwendungen aus ſtädtiſchen Mitteln gemacht werden — ein an und für ſich durchaus richtiger Grundſatz, der aber für dieſe Vorlage nicht zutrifft. Damals hat der Magiſtrat ſich mit aller Energie dafür ins Zeug gelegt, daß die Gebührenſätze für die Verpflegung im allgemeinen nicht erhöht werden. In der Begründung der Vorlage iſt namentlich auf die Kaſſen Rückſicht genommen worden. Es heißt da: 2 , Würden die Kaſſen gezwungen ſein, für die dem Krankenhauſe überwieſenen Mit⸗ glieder höhere Pflegeſätze zu zahlen, ſo müßten ſie auch faſt allgemein zu einer Erhöhung der Beiträge ſchreiten, was eine Erſchwerung ihrer Exiſtenzfähigkeit bedeuten würde. Hier⸗ gegen ſprechen ſpeziell bei der allgemeinen Ortskrankenkaſſe erhebliche Bedenken. Dieſe Kaſſe zählt nämlich zu ihren Mitgliedern meiſt nur unſtändige Tagearbeiter, die aus einer häufig nur vorübergehenden Beſchäftigung weitergehende Anſprüche gegen die Kaſſe er⸗ werben. Die Zugehörigkeit zur Kaſſe, welche 325 ihnen freie Kur und Krankengeld gewährt, kommt der Stadtgemeinde unmittelbar inſo⸗ fern zugute, als die betreffenden Perſonen dann nicht der Armenpflege zur Laſt fallen. Das ſind Grundſätze, die durchaus vernünftig ſind, und die gerade deshalb, weil ſie ſo vernünftig ſind, von der heutigen Majorität der Stadtverordneten⸗ verſammlung und von dem Magiſtrat über Bord geworfen werden. (Oho!) Intereſſant iſt es auch, daß damals, obwohl ſich der Ausſchuß im Gegenſatz zum Magiſtrat für eine Er⸗ höhung der Pflegeſätze ausſprach, doch die Stadt⸗ verordnetenverſammlung im Plenum mit großer Mehrheit die vom Ausſchuß beantragte Erhöhung der Pflegeſätze verwarf, und zwar unter Führung der Herren Liberalen. Allerdings bildeten die Liberalen damals noch eine kleine Minderheit, ſie waren kleiner an Zahl, als wir heute ſind, ſie waren glücklicherweiſe noch nicht die ausſchlaggebende Par⸗ tei; ſonſt wären ſie damals ſchon für eine ſo volks⸗ feindliche Maßnahme eingetreten. Heute gehen Sie im Gegenſatz zum Jahre 1900 nicht nur über die Intereſſen der Kranken, ſondern auch über die Intereſſen der Krankenkaſſen leichten Herzens hin⸗ weg. Denn alles das, was für das Jahr 1900 als zutreffend vom Magiſtrat angeführt wurde, das gilt — meine Herren, das werden Sie nicht zu beſtreiten wagen — auch heute noch. Ich ſagte eben, daß im Jahre 1900 die Vorlage des Magiſtrats namentlich Rückſicht genommen hat auf die Lage der Krankentaſſen. Heute berückſichtigt man die Verhältniſſe in den Krankenkaſſen über⸗ haupt nicht; im Gegenteil, die Herren ſtellen ſich auf den Standpunkt, daß, wenn die Beiträge für die Krankenkaſſen erhöht werden, die Arbeiter dadurch nicht geſchädigt werden. Herr Kollege Frentzel kann als Berichterſtatter für ſich in An⸗ ſpruch nehmen, daß er bei dieſer Gelegenheit eine ganz neue Theorie aufgeſtellt hat, die, wenn ſie auch nicht gerade — ich will mich milde ausdrücken — ſehr vernünftig iſt, ſo doch den Vorzug der Origina⸗ lität beſitzt. Bisher hat man immer angenommen, und zwar nicht nur von unſerer Seite, ſondern von allen Sozialpolitikern, die ſich überhaupt mit der Frage der Verſicherungsbeiträge beſchäftigt haben, daß die Beiträge, die die Arbeitgeber zahlen, in letzter Linie auch von den Arbeitnehmern gezahlt werden, weil die Arbeitgeber es verſtehen, den Arbeitnehmern dieſe Beiträge durch Lohnredu⸗ zierung abzunehmen. Als wir das in der vorigen Sitzung ausführten, erklärte Herr Kollege Frentzel, das träfe nicht zu, man könnte umgekehrt ſagen: die Beiträge der Arbeitnehmer bezahlen die Arbeit⸗ geber, denn ſie bezahlen ſie von dem Lohn, den ſie erhalten. (Stadtv. Dr Frentzel: Und habe iſt falſch!) — Ja, dann ſagen Sie es doch nicht. Alſo gut, ich verzichte, darauf weiter einzugehen; wenn Sie ſelbſt ſchon zugeben, daß das, was Sie vortragen, falſch iſt, dann will ich auf weitere Ausführungen darüber verzichten. — Ich kann aber nicht erklären, daß das, was ich vorgetragen habe, falſch iſt, ſondern muß ſagen, daß es durchaus richtig iſt, und daß es auch nicht dadurch etwa falſch wird, daß die gegen⸗ teiligen Anſchauungen des Herrn Kollegen Frentzel falſch ſind. Meine Herren, charakteriſtiſch iſt es auch, daß im Jahre 1904, als wir wieder einmal über die hinzugefügt: das