Sitzung vom 30. Juni 1909 auf Annahme. Sollten Sie aber bereit ſein, mit mir den Weg zu beſchreiten, noch einmal im Ausſchuß die Vorlage genau zu prüfen, dann, meine Herren, ſtellen Sie bitte einen ſolchen Antrag; wir würden ihm mit Freude zuſtimmen. Nun noch ein Wort über den Antrag, den wir geſtellt haben, über die Vorlage namentlich ab⸗ zuſtimmen. Herr Stadtv. Frentzel hat unſern Antrag ganz falſch verſtanden. Er meinte, wenn ich mit namentlicher Abſtimmung drohte, ſo ließe das ihn und ſeine Freunde kalt, ſie würden ihre Meinung auch in der namentlichen Abſtimmung kund tun. Ja, meine Herren, gedroht haben wir überhaupt nicht. Wir haben mit der namentlichen Abſtimmung einen ganz anderen Zweck verfolgt. Das wiſſen wir ſehr genau, daß Herr Kollege Frentzel und ſeine Freunde auch in der namentlichen Abſtimmung für die Vorlage des Magiſtrats ſtimmen werden. Früher haben Sie das nicht getan, da mußten Sie noch Rückſicht auf die Wähler nehmen; heute brauchen Sie das nicht, denn die Wähler erſter und zweiter Klaſſe, die Sie in der Hauptſache vertreten, werden wohl niemals das Krankenhaus aufſuchen. (Na, na! bei den Liberalen.) Das iſt uns auch ganz gleichgültig. Wenn wir namentliche Abſtimmung beantragt haben, ſo haben wir es getan, um aktenmäßig feſtzuſtellen, wer für eine ſolche Vorlage iſt, und zwar aus dem Grunde, weil bei den Wahlen erfahrungs⸗ gemäß zugunſten der Liberalen — natürlich nicht von ſeiten der Liberalen, die hier in der Verſamm⸗ lung ſind, aber doch zugunſten der Liberalen — Flugblätter verbreitet werden, die die Wahrheit auf den Kopf ſtellen, (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten; Lachen bei den Liberalen) und da iſt es ſehr ſchwer, wenn das nicht akten⸗ mäßig feſtgeſtellt iſt, demgegenüber den Wahrheits⸗ beweis anzutreten. Ich erinnere Sie an die vorige Wahl, wo zu Ihren Gunſten maſſenhaft Flug⸗ blätter verbreitet worden ſind, in denen Sie hin⸗ geſtellt wurden als die Freunde und Anreger der Wertzuwachsſteuer, während Sie ihr in Wirklichkeit die größte Oppoſition gemacht haben. ( Widerſpruch bei den Liberalen.) — Sie waren damals noch nicht da, Herr Kollege Flatau — — (Glocke des Vorſtehers.) Vorſteher⸗ Stellv. Dr. Hubatſch (unter⸗ brechend): Ich mache darauf aufmerkſam, daß wir bei der Vorlage „Erhöhung der Kurkoſtenſätze“ ſind, und bitte Sie, zur Sache zu ſprechen. Stadtv. Hirſch (fortfahrend): Da ich nun fürchte, daß aus Anlaß dieſer Vorlage wieder eine ſolche politiſche Brunnenvergiftung von irgendeiner Seite inſzeniert wird (Heiterkeit) — nicht von Ihrer Seite, ſondern nur zu Ihren Gunſten —, ſo halte ich es für notwendig, namentliche Abſtimmung zu beantragen, damit wir an der Hand der Akten feſtſtellen können, wer für eine ſolche Vorlage geſtimmt hat und wer nicht. Stadtv. Dr. Frentzel: Meine Herren, Herr Kollege Hirſch hat in der letzten Sitzung die Be⸗ gründung, aus der er die zweite Leſung wünſchte, ganz anders geſtaltet als heute. Er hat damals mir gegenüber den Vorwurf erhoben, ich hätte 327 das mir zuſtehende Schlußwort als Referent in⸗ ſofern mißbraucht, als ich Angriffe gegen ihn vor⸗ gebracht hätte, die er nun zu widerlegen nicht mehr in der Lage wäre. Er hat dieſen Vorwurf heute nicht wiederholt. Ich nehme an, er hat ſich in⸗ zwiſchen aus dem Studium des ſtenographiſchen Berichtes meiner Ausführungen überzeugt, daß das nicht richtig iſt. Ich möchte noch einmal aus⸗ drücklich konſtatieren, daß ich lediglich das getan habe, wozu jeder Referent im Schlußwort befugt iſt, nämlich die Angriffe, die auf ihn und ſeine Freunde geſchleudert werden, zurückzuweiſen. Die ganze Beſtimmung, daß der Referent das Schluß⸗ wort hat, hat doch unter anderem auch den Sinn, daß ihm unter allen Umſtänden, auch bei einem frühzeitigen Schluß der Debatte, ermöglicht werden ſoll, eventuelle Angriffe zurückzuweiſen. Meine Herren, wenn ich auf der einen Seite angenommen habe, daß Herr Kollege Hirſch den ſtenographiſchen Bericht meiner Ausführungen geleſen hat, ſo werde ich daran doch wieder irre, nachdem er hier zitiert hat, was ich über die Ab⸗ wälzung des Krankengeldes von den Arbeitgebern auf die Arbeitnehmer geſagt haben ſoll. Ich habe nämlich folgendes geſagt: Endlich hat Herr Kollege Hirſch gemeint, die Beiträge der Arbeitgeber bezahlten eigent⸗ lich auch die Arbeitnehmer. Dieſe Logik iſt ſo falſch, daß ich auch ſagen könnte: die Bei⸗ träge der Arbeitnehmer bezahlen die Arbeit⸗ geber; denn ſie bezahlen ſie von dem Lohn, den ſie erhalten. Das wäre genau ebenſo falſch. Das iſt mein Standpunkt auch heute noch. Meine Herren, mit demſelben Recht, wie Sie deduziert haben: ſchließlich bezahlen das Kranken⸗ geld die Arbeitnehmer, könnte ich deduzieren: es bezahlen die Arbeitgeber. Ich halte aber beide Auffaſſungen für falſch. Selbſtverſtändlich haben die Arbeitgeber die Möglichkeit, event. Lohn⸗ kürzungen vorzunehmen. Aber die Arbeitnehmer haben dagegen denn doch auch andere Mittel, die Sie alle kennen, und die auch angewendet worden ſind. Ich glaube aber, wegen Krankenkaſſenbeiträge hat ſich wohl noch niemals ernſtlich ein Lohnſtreit ent⸗ ſponnen. Deswegen halte ich beide Ausführungen, wie ich nach wie vor betone, für falſch und unberech⸗ tigt. Herr Kollege Hirſch hat mir dadurch, daß er eine zweite Leſung beantragt hat, Gelegenheit gegeben, auf eine Außerung von ihm zurückzu⸗ kommen, die ich namentlich deswegen noch eimnal beleuchten möchte, weil er auch hier im Zuſammen⸗ hang von „politiſcher Brunnenvergiftung“ ge⸗ ſprochen hat, und weil ich befürchte, es könnte auch aus dieſer Außerung des Herrn Kollegen Hirſch, falls ſie unwiderſprochen bliebe, eine gewiſſe Legendenbildung entſtehen. Er hat geſagt: wir — damit meint er doch jedenfalls die Stadt⸗ verordnetenverſammlung — ſind ſchlimmer als die Agrarier, wir nehmen das Geld nicht nur von den Geſunden, ſondern auch von den Kranken. Ich möchte den Herrn Kollegen Hirſch darauf aufmerk⸗ ſam machen, daß hier von Nehmen nicht die Rede iſt. Erſtens fehlt der Stadtverordnetenverſammlung als ſolcher das Organ zum Nehmen; das Organ befitzt nur der Magiſtrat als Ausführungsbehörde. Zweitens kann von Nehmen überhaupt nicht die Rede ſein, ſondern es handelt ſich nur darum, wieviel wir uns von dem, was wir bezahlt haben,