330 Nun iſt aber die Kirchhofsnot in Charlottenburg zu einer derartigen Kalamität angewachſen un wird vorausſichtlich in ſehr naher Zeit noch ärger werden, daß es wohl anzunehmen iſt, daß der Widerſtand der Regierung jetzt ein erheblich ge⸗ ringerer ſein wird. Die Bevölterung konn daher mit Fug und Recht vom Magiſtrat verlangen, daß er dieſer Frage ſeine unausgeſetzte Auf⸗ mertſamkeit widmet, und daß er vielleicht ſchon in der Lage iſt, eine befriedigende Antwort dahin zu geben, daß die notwendigen Schritte ſo weit eingeleitet ſind, daß die Anlegung eines Gemeinde⸗ friedhofs in allernächſter Zeit zu erwarten iſt. Die Notwendigkeit ſtellt ſich noch verſtärkt heraus nach einer Notiz, die ich in der heutigen Nummer des „Vorwärts“ gefunden habe. Es wird dort mitgeteilt, daß hieſige Kirchengemeinden dieſe Friedhofsnot benutzen, um auf eine Reihe unſerer Mitbürger einen Gewiſſenszwang aus⸗ zuüben. Wer aus einer Kirchengemeinde aus⸗ treten will, muß ja bekanntlich dieſen Austritt beim Amtsgericht anmelden. Es wird nun mit⸗ geteilt, daß an ſolche, die ihren Austritt aus der Kirchengemeinde beim Amtsgericht anmelden, ſeitens der Luiſengemeinde ein Schreiben gerichtet wird, worin die Betreffenden darauf aufmerkſam gemacht werden, daß ſie mit dieſem Austritt auch äußere Nachteile auf ſich nehmen, daß ſie das Anrecht, auf den Kirchhöfen der kirchlichen Ge⸗ meinden beerdigt zu werden oder ihre Toten be⸗ erdigen zu laſſen, verlieren oder doch nur gegen weſentlich höhere Gebühren erhalten können. Ja, in naher Zukunft werden ſogar dieſe Gemeinden auch gegen weſentlich höhere Gebühren, wie ſie mitteilen, nicht mehr in der Lage ſein, den be⸗ treffenden Toten auf ihren Kirchhöfen eine Ruhe⸗ ſtatt zu gewähren. So ſehr ich es begreifen kann bei der Eigenartigkeit der Kirchhofsverhälntiſſe in Charlottenburg, daß gerade Charlottenburger Kirchengemeinden ſich auf einen abweiſenden Standpunkt gegenüber Nichtangehörigen ihrer Ge⸗ meinde ſtellen, ſo außerordentlich verwerflich iſt es doch, einen derartigen Umſtand nun zu benutzen, um auf ſolche Leute, die innerlich mit der Kirche gebrochen haben, einen Gewiſſenszwang aus⸗ zuüben, daß ſie äußerlich dieſen Bruch nicht voll⸗ ziehen, ſondern äußerlich eine Gemeinſchaft aufrecht erhalten ſollen, von der ſie innerlich nichts wiſſen wollen. Alle dieſe Umſtände, auch der letztere nicht zum wenigſten mit, ſollten wohl geeignet ſein, den Magiſtrat zu veranlaſſen, die Frage des Ge⸗ meindefriedhofs mit aller Energie zu betreiben. Ich hoffe, daß wir von ſeiten des Magiſtratstiſches — ich will meine Hoffnung etwas einſchränken — (Heiterkeit) eine doch wenigſtens einigermaßen befriedigende Antwort erhalten. Bürgermeiſter Matting: Meine Herren, ich werde mich zu meinem lebhaften Bedauern nicht ſo kurz faſſen können wie der Herr Frageſteller, weil ich auf einige allgemeine Fragen werde ein⸗ gehen und in dieſem Sinne den Verlauf der An⸗ gelegenheit werde darlegen müſſen. Was den Gegenſtand der Anfrage betrifft, ſo kann ich mich allerdings noch kürzer faſſen als der Herr Frageſteller. In eine Kritik des Verhaltens der Kirche Andersgläubigen gegenüber, ſei es Lebendigen, ſei es Toten, will ich mich hier nicht“ Beſchleunigung und Sitzung vom 30. Juni 1909 einlaſſen. Dagegen kann ich feſtſtellen, daß akten⸗ d mäßig mir allerdings nur ein Fall bekannt geworden iſt, wo eine neun⸗ oder zehntägige Friſt verlaufen iſt, bis ein Kind einer andersgläubigen Familie endlich durch Vermittlung des Regierungspräſiden⸗ ten zur Beſtattung gebracht werden konnte. Offen⸗ bar iſt dieſer Vorgang oder ſind dieſe Vorgänge — in den Zeitungen habe ich noch von einigen anderen geleſen — die Veranlaſſung geweſen, daß ſich das Königliche Konſiſtorium der Provinz Brandenburg entſchloſſen hat, uns durch Verfügung vom 24. April dieſes Jahres mitzuteilen, daß der geſchäftsführende Ausſchuß der Berliner Stadt⸗ ſynode auf Grund des Beſchluſſes dieſer Synode vom 26. März 1909 beſchloſſen habe, auf dem Südweſttirchhof der Synode bei Stahnsdorf einen Beerdigungsblock für die Nichtevangeliſchen aus der Stadtgemeinde Charlottenburg herrichten zu laſſen, auf dem vom 1. Mai 1909 ab Beerdigungen ausgeführt werden können. Dieſer Beerdigungs⸗ block — ſo heißt es weiter — liegt nordöſtlich von der am 28. März 1909 eingeweihten Kirchhofs⸗ kapelle und unterſcheidet ſich in ſeiner landſchaft⸗ lichen Lage von den anderen Beerdigungsblocks nicht. Damit könnte die Friedhofsfrage, ſoweit es ſich lediglich um die von Herrn Stadtv. Dr Borchardt angeſchnittene Frage handelt, eigentlich erledigt ſein; denn derartige Mißſtände, wie ſie hier ſich zugetragen haben, werden in Zukunft verhindert ſein, es ſei denn, daß Sie es aus allgemeinen Ge⸗ ſichtspunkten nicht für zweckmäßig halten, daß ebenſo wie die Evangeliſchen auch die Nichtevangeliſchen nunmehr nach dem Stahnsdorfer Friedhof ge⸗ drängt werden, d. h. in eine Entfernung, wo die Pflege der Gräber und die Abhaltung einer größeren und troſtvollen Leichenfeier faſt zur Unmöglichkeit gehört. (Sehr richtig!) Das ſind allerdings die Geſichtspunkte, die, ehe dieſe Frage wegen der Beerdigung Andersgläubiger akut wurde, die Bürgerſchaft, den Magiſtrat und die Stadtverordnetenverſammlung ſchon vor vielen Jahren veranlaßt haben, ſich mit der Friedhofsfrage zu beſchäftigen. Meine Herren, damit die Tätigkeit, die der Magiſtrat in dieſer Angelegenheit entwickelt hat, vor Ihnen und auch vor der Bürgerſchaft in das richtige Licht geſetzt wird, ſehe ich mich doch genötigt, den Werdegang dieſer ganzen Frage hier eingehend aus den Akten darzulegen. Unſere Arbeiten für die Errichtung eines Gemeindefriedhofs liegen über 5 Jahre zurück. Wir ſind an die Aufſichtsbehörde zum erſtenmal am 8. Oktober 1904 durch eine Eingabe an den Herrn Regierungspräſidenten herangetreten, worin er um eine grundſätzliche Stellungnahme zu der Frage der Errichtung eines kommunalen Friedhofs und event. um Einleitung kommiſſariſcher Ver⸗ handlungen gebeten wurde mit Rückſicht auf die früher der Stadtſynode gegenüber von dem Ver⸗ treter des Regierungs⸗ bzw. Oberpräſidenten ab⸗ gegebenen Erklärungen, welche vermuten ließen, daß eine Geneigtheit der Aufſichtsbehörde, die Stadt Charlottenburg dabei zu unterſtützen, nicht vorhanden ſein würde. Am 26. November wurde, nachdem inzwiſchen ein Beſcheid nicht ergangen war, der Herr Regierungspräſident auf die Dring⸗ lichkeit der Verhältniſſe verwieſen. Am 1. De⸗ zember 1904 wandte ſich der Magiſtrat an den Herrn Oberpräſidenten mit der Bitte um möglichſte Entſcheidung. Der Ober⸗