Sitzung vom 30. Juni 1909 Mir kommt es darauf an, die Wahrheit zu erforſchen. Deswegen haben wir den Magiſtrat erſucht, Er⸗ hebungen zu veranſtalten. Herr Kollege Wöllmer ſagt: er iſt durch die Antwort des Magiſtratsvertreters befriedigt. Ja, Herr Kollege Wöllmer, daran zweifle ich keinen Augenblick. Wenn der Magiſtrat kein Wort geſagt hätte, hätten Sie auch die bekannte Redensart gebraucht: ich bin durch die Erklärung des Magiſtrats befriedigt. Was hat denn aber der Magiſtrat eigentlich geſagt? Er hat angegeben, was ihm die Unternehmer erzählt haben. Meine Herren, ich weiß ganz poſitiv, daß eine Reihe von Angaben des Vertreters des Magiſtrats unrichtig ſind. Der Herr Stadtrat ſagt, die Arbeiter hätten plötzlich die Arbeit eingeſtellt, hätten gar nicht die Gründe angegeben: die Firma hätte geſagt, ja, hätten die Arbeiter Wünſche geäußert, dann hätte ſich darüber reden laſſen. Meine Herren, die Arbeiter haben Wünſche geäußert, ſie ſind wiederholt bei der Firma vorſtellig geworden. Wir können Ihnen auch Namen nennen, damit Sie nicht glauben, daß ich ins Blaue hinein rede. Der Arbeiter, der mit der Firma unterhandelt hat, heißt Hinrichſen, und der Vertreter der Firma, mit dem der Arbeiter unterhandelt hat, iſt der Leiter dieſer Geſellſchaft mit beſchränkter Haftung; wie mir der Arbeiter ſagte, hätte er den Namen nicht ganz richtig ver⸗ ſtanden, er glaubte, der Name wäre Schumann es ſoll ein Italiener ſein; der Name wird ſich leicht feſtſtellen laſſen. Was hat nun der Leiter des Unternehmens dem Vertreter der Arbeiter geſagt? „Die Arbeiter müßten auf die Knie, der Hunger müßte ſie treiben; wir laſſen uns von niemand in unſeren Betrieb etwas hineinreden! Wem es nicht paßt, was diktiert wird, der fliegt ““% Das iſt bei den Verhandlungen herausgekommen. Wenn ſich das bewahrheitet, Herr Stadtrat Seydel, dann werden Sie Ihre Behauptung, daß die Arbeiter ohne jede Angabe von Gründen die Arbeit ein⸗ geſtellt, daß ſie keine Wünſche geäußert haben, nicht mehr aufrecht erhalten können. Was man auf die Auskünfte zu geben hat, die die Arbeitgeber erteilen, geht ja aus der Anekdote hervor, die der Herr Stadtrat uns erzählt hat, daß der Vertreter der Arbeiterorganiſation zu den Leuten geſagt hätte, er würde abends mit 50 Mann wiederkommen. Halten Sie den Mann wirklich für ſo dumm, daß er, ſelbſt wenn er die Abſicht hat, mit 50 Mann wiederzukommen, das in Gegenwart der beiden Poliere ſagt, die doch alles den Unter⸗ nehmern haarklein hinterbringen? So verrückte Leute gibt es nicht! Und in Wirklichkeit iſt er doch gar nicht mit den 50 Mann wiedergekommen! Mit ſolchen Geſchichten ſoll man uns hier nicht kommen. Was dann die Innehaltung der Tarife betrifft, ſo ſagt der Herr Burgermeiſter: „Die Firma hatte den Tarif nicht inne zu halten, da ſie den Tarif nicht unterſchrieben hatte; aber ſelbſt wenn es der Fall wäre, daß der Neunſtundentag für Spandau zuträfe“ uſw. Meine Herren, hier habe ich den Tarif für Spandau, und darin ſteht ausdrücklich: die normale Arbeitszeit beträgt 9 Stunden. Der Tarif iſt überall zu haben. Der Magiſtrat hätte ſich doch orientieren können. Ich führe dieſen Aus⸗ ſpruch des Bürgermeiſters nur an, um zu zeigen, wie wenig der Magiſtrat in dieſer Frage orien⸗ tiert iſt. 345 Der Herr Bürgermeiſter ſagt, wir hätten für unſere Behauptungen keinen Beweis angetreten. Meine Herren, das können wir gar nicht. Wenn wir es gekonnt hätten, wären wir ganz anders vor⸗ gegangen; dann hätten wir nicht nötig gehabt, den Magiſtrat erſt zu erſuchen, Erhebungen anzuſtellen. Meine Herren, ich will auf die weiteren Einzel⸗ heiten jetzt nicht mehr eingehen. Ich möchte nur bitten, daß die Verſammlung unſerem Antrage zuſtimmt und damit erklärt, daß ihr die jetzigen Erhebungen noch nicht genügen, ſondern daß der Magiſtrat weitere Erhebungen, und zwar objektive Erhebungen, anſtellen ſoll. Sollten dagegen die paar Herren von der Mehrheit, die noch hier ſind, unſeren Antrag ablehnen, dann werden wir zur geeigneten Zeit auf die Materie wieder zurück⸗ kommen. Sie werden dann wahrſcheinlich nur den einen Nachteil haben, daß der Magiſtrat nicht ſo gut unterrichtet iſt, und daß die Debatte etwas länger dauert, als wenn Sie heute den Antrag annehmen. Vorſteher Kaufmann: Ich möchte doch noch das eine von Ihnen feſtgeſtellt ſehen: Sie werfen dem Magiſtrat vor, daß er ſeine Erhebungen nicht objektiv vorgenommen habe. Sie meinen doch da⸗ mit, daß er verabſäumt habe, auch noch andere Leute zu hören? An dem Willen des Magiſtrats, objektiv, unparteiiſch zu ſein, zweifeln Sie doch nicht, daran, daß der Magiſtrat tatſächlich objektiv ſeine Erhebungen anſtellt“ Daß dieſe Ihnen nicht gründlich genug waren, das iſt eine andere Sache. Ich kann aber nicht dulden, daß Sie dem Magiſtrat vorwerfen, er ſei in der Feſtſtellung von Erhebungen nicht objektiv verfahren. Stadtv. Hirſch: Es iſt derſelbe Vorwurf, der mir von anderen Herren gemacht worden iſt. Vorſteher Kaufmann: Ihnen iſt der Vorwurf nicht gemacht worden. Wenn Sie ſich aber äußern, daß der Magiſtrat nicht objektiv handele, ſo werfen Sie dem Magiſtrat damit vor, daß er parteiiſch ſei. Das iſt etwas, was ich dem Magiſtrat nicht vor⸗ werfen laſſen darf. (Stadtv. Hirſch: So war der Vorwurf auch ge⸗ meint!) — Dann, Herr Kollege Hirſch, ſehe ich mich genö⸗ tigt „Sie zur Ordnung zu rufen. Wir kommen zur Abſtimmung über den An⸗ trag, der den Magiſtrat erſucht, Erhebungen an⸗ zuſtellen. (Der Antrag der Stadtv. Hirſch und Gen. wird abgelehnt.) Wir kommen nun zum letzten Punkte der Tagesordnung: Feſtſetzung der Sitzungstage für das II. Halbjahr 1909. Ich ſchlage Ihnen vor, den §. und 22. Sep⸗ tember, den 6. und 20. Oktober, den 10. und 24. No⸗ vember, den §. und 22. Dezember zu nehmen. Stadtv. Dr. Borchardt: Meine Herren, es iſt jetzt bereits Mitternacht, und daß es er ſt Mitternacht iſt oder daß wir ſchonn um Mitternacht bei dem 22. Punkte der Tagesordnung angelangt ſind, verdanken wir nur dem Umſtande, daß die