360 Sitzung vom 8. Bürgermeiſter Matting: Mit Rückſicht auf die Dringlichkeit der Anfrage bin ich bereit, ſie ſofort zu beantworten. Vorſteher ⸗Stellv. Dr. Hubatſch: Dann bitte ich den Herrn Alterspräſidenten, den Vorſitz zu übernehmen, weil ich mich an der Beſprechung beteiligen möchte. Altersvorſteher Barnewitz (den Vorſitz über⸗ nehmend): Anfrage der Stadtv. Otto und Gen. betr. Schüler⸗ ſelbſtmorde am Realgymnaſium. Frageſteller Stadtv. Otto: Meine Herren, die beiden beklagenswerten Selbſtmorde, die am ſtädtiſchen Realgymnaſium in der Schillerſtraße vorgekommen ſind, haben in den weiteſten Kreiſen nicht nur unſerer Bürgerſchaft, ſondern auch über Charlottenburg hinaus tiefgehendes Aufſehen her⸗ vorgerufen. So menſchlich begreiflich es iſt, wenn die Eltern, die durch dieſe Tragödie ſo hart betroffen worden ſind, wünſchen, daß die Angelegenheit bald nicht mehr zum Gegenſtande der öffent⸗ lichen Erörterung gemacht werden möchte, ſo er⸗ ſcheint es doch anderſeits der Bedeutung des Falles gegenüber nötig, daß in breiteſter Offent⸗ lichteit darüber verhandelt wird. Deshalb haben alle Gruppen dieſer hohen Verſammlung durch einen Vertreter die Anfrage mit unterſchrieben, und ſie hoffen, damit im Intereſſe der Bürgerſchaft zu handeln, die einen Anſpruch darauf hat, vollſte Klarheit, ſoweit ſie überhaupt zurzeit gegeben wer⸗ den kann, über dieſe Angelegenheit zu erhalten. Auch die Preſſe hat ſich der Angelegenheit angenommen, und ich denke viel zu hoch von der Bedeutung der Preſſe, als daß ich ihr das im geringſten verübeln wollte; ſie hat nicht nur ein Recht, ſondern ſie hat nach meiner Meinung ſogar die Pflicht, derartigen Angelegenheiten nachzu⸗ gehen. Ob freilich bei den Preſſeäußerungen, die ſich zu dieſer Angelegenheit von Tag zu Tag ja mehren, in allen Einzelheiten das richtige Maß innegehalten worden iſt, ob man nicht häufig nur mit einſeitigen Darſtellungen vorgegangen iſt, das wird hoffentlich durch die weitere Beſprechung der Angelegenheit klargeſtellt werden. Worauf es für uns hier ankommt, das iſt in der Anfrage ſcharf bezeichnet worden: es handelt ſich für uns nur um die Beantwortung der Frage, ob Vorgänge oder Verhältniſſe an dem ſtädtiſchen Realgymnaſium irgendwie für die beklagenswerten Ereigniſſe verantwortlich gemacht werden können. Wir hoffen, auf dieſe Frage eine klare und beſtimmte Antwort zu erhalten. Wir mußten formell unſere Anfrage an den Magiſtrat richten. Dabei iſt uns wohl bekannt, daß dem Magiſtrat ein eigentliches Aufſichtsrecht über die höheren Lehranſtalten und damit die Unterſuchung derartiger Vorgänge nicht zuſteht. Wir nehmen aber an, daß die Aufſichtsbehörde in dieſem Falle es für richtig erachtet hat, auch den Magiſtrat über das Ergebnis ihrer Unterſuchungen, wenn ein ſolches ſchon vorliegt, in Kenntnis zu ſetzen, wie wir anderſeits nicht daran zweifeln, daß der Magiſtrat es ſeinerſeits nicht an Bemühun⸗ gen hat fehlen laſſen, ſich dieſe Kenntnis zu ver⸗ chaffen. September 1909 Im Zuſammenhange mit der Kernfrage: ſind Vorgänge und Einrichtungen an der Anſtalt ver⸗ antwortlich zu machen? läuft eine andere, die durch die Preſſeerörterungen in den letzten Tagen beinahe in den Vordergrund gerückt iſt, obgleich ſie mit der Angelegenheit an ſich nichts zu tun hat. Ich meine jene Angriffe unter Namennennung, die ſich gegen einzelne Lehrer an der genannten Anſtalt richten. (Sehr richtig!) Da wir in der Lage ſind, unter unſeren Mitgliedern den Leiter der betreffenden Anſtalt zu ſehen, ſo darf ich wohl die Hoffnung ausſprechen, daß in der Beſprechung der Anfrage, die gewiß von der Ver⸗ ſammlung einmütig beſchloſſen werden wird, auch auf dieſe Vorgänge ein Licht geworfen wird, damit auch dieſen Angriffen gegenüber die Bürgerſchaft in der Lage iſt, ihrerſeits zu entſcheiden, inwieweit ſie berechtigt oder unberechtigt ſind. Ich hoffe, daß die Ausſprache zu dem Ergebnis führen wird, daß Klarheit über die Verhältniſſe und durch dieſe Klarheit auch Beruhigung in der Bürgerſchaft geſchaffen wird. (Bravo!) Bürgermeiſter Matting: Meine Herren, Herr Stadtv. Otto hat ja bereits angedeutet, daß, ſoweit es ſich um die Eruierung amtlichen Materials handelt, ich lediglich darauf angewieſen bin, Bezug zu nehmen auf diejenigen Ermittlungen, die die amtlich zuſtändige Stelle, nämlich das Königliche Provinzialſchulkollegium in Berlin, anzuſtellen Ver⸗ anlaſſung gehabt hat. Herr Stadtv. Otto hat richtig vermutet, daß inzwiſchen bereits ein Beſcheid des Königlichen Provinzialſchulkollegiums in dieſer An⸗ gelegenheit an den Magiſtrat gelangt iſt; er iſt in die Mitteilung der Abſchrift einer Verfügung an den Herrn Direktor des Realgymnaſiums in Charlottenburg gefaßt, die folgendermaßen lautet: Auf den Bericht vom 2. dieſes Monats in betreff des Selbſtmordes zweier Schüler Ihrer Anſtalt teilen wir Euer Hochwohl⸗ geboren mit, daß auch nach unſerer Auffaſſung die Schule für das beklagenswerte Ereignis in keiner Weiſe verantwortlich gemacht werden kann. (Hört, hört!) Die in der Offentlichkeit verbreitete Dar⸗ ſtellung von Vorgängen, aus denen man ein gewiſſes Verſchulden der Schule herleiten könnte, hat ſich bei erneuter Prüfung in allen Punkten als völlig unzutreffend erwieſen. (Hört, hört!) Wir legen Wert darauf, das hiermit aus⸗ drücklich feſtzuſtellen, und haben nichts da⸗ gegen einzuwenden, daß Sie den Beteiligten hiervon Kenntnis geben. Dem Magiſtrat haben wir eine Abſchrift dieſer Verfügung zugehen laſſen. Für den Fall, daß irgendetwas darüber feſt⸗ geſtellt wird, was die beiden Selbſtmörder zu der verhängnisvollen Tat veranlaßt hat, ſehen wir einem ſofortigen Bericht entgegen. Meine Herren, dieſe Verfügung iſt datiert vom 6. September und am 8. September — heute morgen — hier eingegangen. Sie nimmt Bezug auf einen Bericht vom 2. dieſes Monats. In der Zwiſchenzeit ſind ja nun die bereits vom Herrn Stadtv. Otto gekennzeichneten weiteren Erörte⸗ rungen in der Preſſe bekannt geworden, die ſich