362 Sitzung vom 8. Meine Herren, ich kann nicht unterlaſſen, noch hinzuzufügen, daß ich am vergangenen Frei⸗ tag, als ich die Gelegenheit hatte, als Patronats⸗ vertreter der Abiturientenprüfung im Realgym⸗ naſium beizuwohnen, ehe noch die neueren Er⸗ örterungen in den Zeitungen erſchienen waren, Veranlaſſung genommen habe, mit einigen jener Herren, deren Namen damals noch gar nicht durch die Preſſe gegangen waren, den Fall in teilweiſe längeren Erörterungen zu beſprechen, und daß ich damals ſchon den Eindruck gewonnen habe, daß ſich die Schule und insbeſondere dieſe Herren voll⸗ ſtändig unberührt fühlen durch dieſen Vorgang, daß ſie, ſo leid ihnen natürlich menſchlich die Sache tut, dienſtlich und amtlich in keiner Weiſe intereſſiert an dem Vorgange ſind. Infolgedeſſen hatte ich auch keinerlei Grund, als Vertreter des Magiſtrats irgendwelche weiteren Schritte zur Unterſuchung der Sache zu ergreifen. Meine Herren, es tritt jetzt oft in die Er⸗ ſcheinung, daß man die Schule für alles Mögliche verantwortlich macht, was vielleicht an ganz anderer Stelle geſündigt wird. (Lebhaftes Sehr richtig.) Man denkt niemals daran, daß neben der Ver⸗ antwortung und den Pflichten der Schule in erſter Linie doch auch diejenigen des Hauſes in Frage kommen und Rechenſchaft zu geben haben, nicht an die vielen Beziehungen, die ſonſt außerhalb von Schule und Haus zwiſchen der Welt und den jungen Leuten beſtehen. Wenn das traurige Wort „Schülerſelbſtmord“ gewiſſermaßen als Schlag⸗ wort genannt wird, iſt das erſte, was geſagt wird: die Schule muß an allem ſchuld ſein. Ich wäre der letzte, der die Schule in Schutz nähme, wenn wirklich berechtigte Veranlaſſung dazu wäre, ihre Schuld auch nur andeutungsweiſe zu vermuten. Aber anderſeits muß man auch zugeben, daß es ein ungeheuer ſchweres und verantwortungsvolles Amt iſt, das die Herren an unſerer Jugend aus⸗ üben, im Verhältnis vielfach über das Maß deſſen hinaus, was das Haus leiſtet, (Stadtv. Otto: Sehr richtig!) und ich glaube, wir haben alle Veranlaſſung, ihnen die Ausubung dieſes ſchweren Amtes zu erleichtern, indem wir ſie gegen unberechtigte Angriffe in Schutz nehmen. Ich hoffe, daß die weitere Erörterung dazu Veranlaſſung geben wird. (Der Antrag des Stadtv. Otto auf Beſprechung der Anfrage wird genügend unterſtützt.) Stadtv. Dr. Hubatſch: Ich bin den Herren, die den Antrag eingebracht haben, dankbar dafür, daß Sie mir die Gelegenheit gegeben haben, hier vor den Vertretern der Bürgerſchaft dieſe An⸗ gelegenheit, die ſo vieles Aufſehen gemacht hat, und die mit Recht ſo viel Erſchütterung in allen Herzen hervorgerufen hat, zu beſprechen. Wenn ich etwas ausführlich werden ſollte, ſo nehmen Sie mir das nicht übel; es dient aber vielleicht gerade dazu, Sie vollſtändig in jeder Beziehung aufzuklären. Ich bin überhaupt bereit, alles zu ſagen, was Sie wiſſen wollen, alles zu beant⸗ worten, was Sie mich fragen wollen. Als die Nachricht, die wie ein Blitz aus heiterem Himmel herunterkam, von dieſem Doppelſelbſt⸗ morde mich erreichte, habe ich ſelbſtverſtändlich unverzüglich alle Schritte getan, die erforderlich waren, um Klarheit in die Sache zu bringen. September 1909 Durch eingehende Unterſuchungen iſt feſtgeſtellt worden, daß kein Vorgang, der im Zuſammen⸗ hange mit der Schule ſteht, vorhanden war, der geeignet wäre, die Schule für dieſe beiden Selbſt⸗ morde verantwortlich zu machen. Zunächſt hat man immer den Gedanken: das Geſpenſt der Verſetzung iſt gefährlich und treibt zuweilen einen Schüler in den Tod. Nun lag hier die Sache ſo, daß das bei den beiden Schülern gar nicht mitſpielen konnte, trotz allem dem, was die Zeitungen darüber ſagen. Die wiſſen es nicht; wir Lehrer müſſen es aber wiſſen! Scalla, der in der Unterprima ſaß, war ein vollſtändig genügender Schüler, befriedigte durch ſeine Leiſtungen ſo, daß ſeine Verſetzung, die übrigens erſt zu Oſtern in Ausſicht war, ſchon jetzt als geſichert angenommen werden konnte. Und das wußte auch Scalla; ſein eigener Vater hat mir mitgeteilt, daß er niemals in Sorge deshalb geweſen wäre. Der andere Schüler iſt ein paarmal hängen geblieben; er iſt nicht ſo gut vorwärts gekommen wie der erſte. Er ſaß nunmehr zwei Jahre in der Oberſekunda, und dieſe lange Zeit hat ausgereicht, ihn in allen Gegenſtänden ſo weit zu fördern, daß er ſicher war, die Verſetzung zu erreichen. Und er hat das auch gewußt. Denn wir haben die Ein⸗ richtung, daß, wenn Zweifel an der Verſetzbarkeit vorhanden ſind, wir in einer Konferenz vor den großen Ferien dies feſtſtellen und den Eltern früh⸗ zeitig Nachricht geben, in welchen Fächern der Betreffende während der Ferien oder ſonſtwie noch Lücken auszufüllen hat. Und das wird auch den Schülern geſagt, und es iſt auch Brück, dem zweiten, der ſich das Leben genommen hat, mit⸗ geteilt worden, daß dem Vater keine Nachricht zugehen werde. Er hat alſo vor der Verſetzung gar keine Angſt haben können; das iſt vollſtändig ausgeſchloſſen. Dann wäre ein anderer Beweggrund anzu⸗ nehmen: eine zu ſchroffe Behandlung durch einen Lehrer, die den Schüler zum Selbſtmordgedanken gereizt hätte. Ich habe feſtgeſtellt, daß — ich will mich zunächſt auf die letzte Zeit beſchränken; auf die kommt es doch beſonders an — keine Strafe ihnen zuerteilt worden iſt, daß kein etwa tätliches Vergreifen eines Lehrers ſie in Aufregung gebracht haben kann; ja, es iſt in den letzten Wochen nicht einmal ein Tadel gegen ſie ausgeſprochen worden, und ſie hatten keine Strafe für die Zukunft zu be⸗ fürchten. Alſo auch darin konnte der Grund abſolut nicht geſucht werden. Nun natürlich, als dieſe unglückſelige Tat ge⸗ ſchehen war, waren die Reporter bei der Hand; der eine hörte hier etwas, der andere hörte dort etwas, und jeder reimte ſich das zuſammen nach ſeiner Phantaſie und machte ſich ein Bild zurecht, und ſo ſind ſo verſchiedene Nachrichten in die Zeitungen gekommen. Bei mir ſind auch ungefähr zehn Herren geweſen. Ich hatte mir wohl überlegt, wie ich mich verhalten ſolle. Ich hatte erſt gedacht, es wäre das geſcheiteſte, ich erklärte einfach, es habe mit der Schule abſolut nichts zu tun; aber ich ſagte mir: wenn ich mich ſo ablehnend verhalte, glauben die Herren, ich hätte etwas zu vertuſchen, zu verheimlichen, zu verdecken. Darum habe ich mit der größten Offenheit mit den Herren ge⸗ ſprochen und habe ihnen alles geſagt, was ſie hören wollten. Sie haben aber vieles falſch verſtanden, ſie haben mir manche Worte geradezu im Munde