Sitzung vom 8. September 1909 3 Arbeiten waren völlig genügend, 4 konnten noch im ganzen genügend genannt werden, und nur 3 mangelhafte Arbeiten waren da; bei der zweiten Arbeit waren 6 Arbeiten genügend — darunter Scalla —, 3 waren im ganzen genügend, wieder 3 ſind mangelhaft ausgefallen; bei der dritten Arbeit war eine gut, 3 genügend, 3 zum Teil genügend und 3 mangelhaft — allerdings war hier Scalla auch unter den mangelhaften —; von den letzten Arbeiten war eine gut, 4 genügend, 2 zum Teil genügend und 4 mangelhaft — aber bei Scalla hat der Lehrer zu dem „mangelhaft“ hinzugeſetzt: „Einzelnes beſſer“, ſo daß die Arbeit nicht ganz verworfen war. Nun fährt der Artikelſchreiber weiter fort über die Aufſatzthemata: „Die Gnade als Er⸗ gänzung der Gerechtigkeit“ und „Klopſtock als religiöſer Dichter“: ſie ſeien geſtellt worden, ohne daß die Unterlagen mit ihnen durchgeſprochen wurden. Hierüber ſei von dem Vater eines Schülers folgende Bemerkung eingegangen: „Die Gnade als Ergänzung der Gerechtigkeit“ lautete ein Klaſſenaufſatz, der in der Unter⸗ prima des ſtädtiſchen Realgymnaſiums zu Charlottenburg den Schülern zugemutet wur⸗ de. Es braucht nicht erſt geſagt zu werden, daß ein Schüler nicht imſtande iſt, ein ſolches Thema, das im weſentlichen eine fachwiſſen⸗ ſchaftliche Erörterung enthält, ſachgemäß zu bearbeiten . . Mit Fragen des Strafrechts pflegt ſich ein Schüler nicht zu beſchäftigen. Ja, meine Herren, wer ſagt denn, daß es eine ſtrafrechtliche Frage iſt? Der Verfaſſer des Artikels hat es ſo verſtanden: die Begnadigung als Er⸗ gänzung des richterlichen Urteils. Man kann es dem Thema nicht anſehen, wie es beſprochen worden iſt. Es kann ebenſo gut einen religiöſen Inhalt haben; es kann heißen: die Gnade Gottes als Ergänzung der Gerechtigkeit Gottes. Es kann auch einen rein menſchlichen Inhalt haben. Ich bitte an Shakeſpeare's Kaufmann von Venedig zu denken, wo im 4. Akt Porzia in der Verkleidung als Rechtsgelehrter einen wundervollen Vortrag über die Gnade hält. „Die Gnade träufelt wie des Himmels milder Regen zur Erde nieder“ — fängt die Stelle an. Es konnte alſo auch ein Dichterwort zur Unterlage dienen. Der Lehrer hat aber in der erſten Stunde nach den Ferien das Thema „Suum cuique“ beſprochen, in der zweiten das Durchgenommene wiederholt und zwei verwandte Unterſuchungen beleuchtet: „Gerechtig⸗ keit und Gnade, zwei Schweſtern“ und „die Gnade als Ergänzung der Gerechtigkeit“, und dann erſt das Thema zur Bearbeitung gegeben. Ferner ſteht hier: „Klopſtock als religiöſer Dichter“, ohne daß die Schüler vorher in der Schule irgendeine religiöſe Dichtung von Klopſtock geleſen hatten, und ohne daß das Thema mit ihnen durch⸗ geſprochen war. Tatſache iſt, daß ſie die Klopſtockſchen Oden in einem Auszuge in der Hand hatten, daß über Klopſtocks Leben und Werke ausführlich geſprochen war, daß die betreffenden Oden in der Klaſſe geleſen waren. Außerdem hat der Lehrer ihnen 6 Oden angegeben, die ſie ſich anſtreichen ſollten, um nach dieſen das Thema zu behandeln. So war es gründlich vorbereitet; man könnte faſt ſagen: es iſt für Prima allzu gründlich vorbereitet, man könnte den Primanern etwas mehr zu trauen. 365 Alſo gerade das Gegenteil von dem, was hier ſteht, iſt richtig. Ich habe, als dieſer Artikel im Berliner Tage⸗ blatt erſchienen war, ſofort an das Königl. Pro⸗ vinzialſchulkollegium berichtet und den Tatbeſtand zur Kenntnis der vorgeſetzten Behörde gebracht. Nun kommt noch der Berliner Lokalanzeiger vom 7. September. Er greift mehrere Lehrer in empfindlicher Weiſe an. Ich habe auch hier von jedem Lehrer einen amtlichen Bericht eingefordert und habe ſelbſt an das Provinzialſchulkollegium berichtet und habe noch heute zufällig, kurz ehe ich zur Sitzung kam, von dem Herrn Provinzialſchulrat Klatt, der das Dezernat für das Realgymnaſium in Charlottenburg hat, folgende Nachricht be⸗ kommen: Ihren Bericht nebſt Anlagen von geſtern ſchicken wir heute dem Herrn Miniſter zu. Wir fügen hinzu, daß nach unſern Ermitte⸗ lungen ſämtliche Anſchuldigungen gegen die Lehrer Ihrer Anſtalt ganz ungerechtfertigt ſind. Daß dies unſere Auffaſſung — d. h. die des Provinzialſchulkollegiums — iſt, können Sie allen Beteiligten mündlich er⸗ klären. Über einige Punkte habe ich vorhin ſchon geſprochen; auf ein paar andere möchte ich aber doch noch eingehen. Da iſt der Lehrer der Chemie in einer ich finde keinen rechten Ausdruck — unerhörten Weiſe angegriffen worden: es iſt der Zweifel an ſeiner Nüchternheit ausgedrückt, es iſt ihm ferner vor⸗ geworfen worden, daß er in prahleriſcher Weiſe, wenn ein Schulrat zur Reviſion da ſei, die Ge⸗ rätſchaften zu den Experimenten aufmarſchieren laſſe, daß er aber ſonſt keine Experimente mache, daß er die Jungen vollpfropfe mit Formeln und von ihnen das Unmöglichſte verlangte, daß er ſogar während des Unterrichts rauche. Der angegriffene Lehrer iſt in der Redaktion des Lokalanzeigers geweſen, und ich habe eben noch von ihm eine Nachricht erhalten, daß der Redakteur, der für dieſen Artikel verantwortlich iſt, bedauere, den Artikel aufgenommen zu haben, und bereit ſei, eine Berichtigung zu bringen. (Heiterkeit.) Was das Experimentieren betrifft, ſo habe ich oft genug den Unterricht des betreffenden Lehrers beſucht, und ich habe immer gefunden, daß er — im Experimentieren begriffen war! und Hunderte von Formeln haben die Schüler auch nicht auswendig gelernt. Das iſt nicht richtig; die Prüfungen haben gezeigt, daß ſie nur eine ge⸗ ringe Anzahl von Formeln ſich einprägen mußten. Außerdem will ich bemerken, daß Scalla in der Klaſſe der beſte Schüler in der Chemie war. Ferner wird dieſem Lehrer nachgeſagt, er rauche in der Klaſſe. Das klingt ganz fürchterlich, wenn man das lieſt. Die Sache liegt ſo. Für die Chemie ſind drei Zimmer vorhanden. Das Ar⸗ beiten der Schüler geſchieht im Laboratorium⸗ zimmer, das andere große Zimmer iſt das Unter⸗ richtszimmer, und das mittlere kleinere Zimmer iſt das Arbeitszimmer des Lehrers; daß er hier in den Pauſen zuweilen raucht, beſonders wenn üble Dünſte vorhanden ſind, wird ihm niemand übel nehmen. Chemiſche Arbeiten verbreiten nicht immer gute Gerüche. Aber daß er das Rauchen nicht in den Unterrichtsſtunden vorgenommen hat, das möchte ich hier ausdrücklich betonen.