Sitzung vom 20. Oktober 1909 und der Lehrer muß einen Teil ſeiner Kraft und Zeit auf dieſe Kinder verwenden, ohne daß die übrigen dabei rechte Förderung erfahren. Habe ich in der Volksſchule Klaſſen ohne derartige Hemmniſſe, ſo muß es doch leichter ſein, vorwärts zu kommen; man müßte demnach hier eigentlich ſchneller vorſchreiten als in der Vorſchule, min⸗ deſtens aber muß es doch möglich ſein, in derſelben Zeit das Ziel der Vorſchule zu erreichen. Von ſeiten des Herrn Stadtverordneten Dr. Borchard iſt die Beſorgnis ausgeſprochen worden, es könnte eine gehobene Mittelſchule durch die Einführung der A⸗Klaſſen entſtehen. Ja, meine Herren, es iſt etwas Richtiges darin; nur überſieht wohl Herr Dr. Borchardt, daß wir die A⸗Klaſſen nicht in einem Hauſe vereinigen und eine beſondere Schule daraus machen wollen, ſondern ſie — ebenſo wie jetzt die B⸗Klaſſen — auf die ganze Stadt verteilen wollen je nach Bedarf, ſo daß ſie ſich in keiner Weiſe äußerlich beſonders vor anderen Klaſſen hervorheben. Heutzutage gehen die be⸗ gabteſten Kinder, wenn die Eltern wohlhabend genug ſind, nach den höheren Lehranſtalten. Iſt es nicht der Fall, ſo bleiben ſie in der Volksſchule und bekommen in den oberen Klaſſen dasſelbe vor⸗ geſetzt, was den übrigen Kindern mit nur normaler oder etwas weniger als normaler Begabung ge⸗ boten wird. Dieſe Kinder werden dann nicht in der Weiſe ausgebildet, wie es bei ihren Kräften möglich und wie es im Intereſſe unſeres Volkes wünſchenswert wäre. Der neue Vorſchlag hat zum Ziele, dieſe Kinder auch ihren geiſtigen Kräften entſprechend auszubilden. Wenn Herr Dr. Borchardt das nun Mittelſchulbildung nennt, ſo habe ich da⸗ gegen kein Bedenken; es kommt uns nur darauf an, daß allen begabten und würdigen Kindern die höhere Bildung gewährt wird. Über den Ausdruck brauchen wir nicht zu rechten. Jedenfalls liegt keine Veranlaſſung vor, anzunehmen, daß infolgedeſſen die Normalklaſſen weniger hoch in ihren Leiſtungen kommen; denn das Ziel dieſer Klaſſen wird ja nicht nach den erheblich über den Durchſchnitt Hinaus⸗ gehenden, ſondern nach dem Durchſchnitt beſtimmt; eher ſoll man ſich dabei nach denjenigen richten, die ein wenig unter dem Durchſchnitt ſtehen. Mit lebhaftem Bedauern habe ich gehört, daß hier Klagen gegen das in den franzöſiſchen Kurſen tätige Lehrermaterial vorgebracht worden ſind. Ich geſtehe, daß zum erſten Male derartige Klagen an mein Ohr gekommen ſind. Ich habe volles Vertrauen zu den dort tätigen Damen und Herren; denn ich habe bisher nur immer das Beſte gehört, habe viele Beiſpiele davon, wie ſie mit größtem Intereſſe, mit Eifer und Liebe für die einzelnen Schüler ihres Amtes gepflegt haben. Der Geiſt, der unter ihnen herrſcht, iſt, ſoweit mir bekannt, durchaus gut. Ich möchte den Herrn Stadtver⸗ ordneten doch bitten, wenn ihm etwas Näheres mitgeteilt worden iſt, das zu ſagen; es wird dann unterſucht werden. Er wird ſelbſt ein Intereſſe daran haben, daß nicht etwa jemand in einem falſchen Verdachte bleibt. Ich hoffe, es wird ſich zeigen, daß hier nur falſche Nachrichten von ſeiten der Kinder an die Eltern gelangt ſind, die ſie ohne weiteres geglaubt und nachher an den Herrn Stadt⸗ verordneten weitergegeben haben. Das kommt ja ſehr leicht vor, daß ein Kind einmal ein falſches Motiv bei einem Lehrer vermutet, auch bei einer ſehr gut gemeinten Handlung. 441 Es iſt von anderer Seite geſagt worden: ſchade, daß nicht alle Normalklaſſen ſogleich zu A⸗Klaſſen gemacht werden. Ich verſtehe das ſo, der Herr bedauert, daß nicht auch in den Normal⸗ klaſſen eine Fremdſprache eingeführt wird und die Ziele derſelben allgemein gehoben werden. Das würde nach meiner Meinung einerſeits zu körper⸗ licher Überanſtrengung führen, anderſeits auch zu Ungründlichkeit und zu Verwirrung in dem Lehr⸗ plan. Das Lehrziel einer jeden Klaſſe muß genau den Kräften des Durchſchnitts angepaßt ſein. Gehen wir darüber hinaus — und das würden wir ja, wenn wir Lehrziele ſtecken, die für die Aller⸗ fähigſten bemeſſen ſind —, ſo würde das ſehr üble Folgen haben. Es iſt ferner von Herrn Stadtverordneten Jaſtrow bedauert worden, daß nicht ſogleich in allen oberen Klaſſen die Befähigſten ausgeſondert werden, alſo auch in den zweiten und in den erſten Klaſſen. Meine Herren, das würde ich auch nicht gutheißen können. Dort ſind ja die Befähigſten gegenwärtig ſchon ausgeleſen, und ſie bekommen franzöſiſchen Nebenunterricht. Wenn wir dem Wunſche entſprechen wollten, müßten wir noch einmal verſuchen, für alle Teilnehmer an den franzöſiſchen Kurſen Dispenſationen von einigen Stunden in anderen Fächern zu erreichen oder noch nachträglich den franzöſiſchen Unterricht organiſch in den Lehrplan aller Klaſſen hineinarbeiten. Ich meine aber, es wird ſich bei einer derartigen tief⸗ eingreifenden Maßnahme immer empfehlen, daß man vorſichtig Schritt für Schritt vorgeht. Die Kinder, die gegenwärtig in Klaſſe I1I und I ſitzen, ſollen, wenn ſie würdig und tüchtig ſind, ruhig die Vorzüge, die ſie gegenwärtig haben, weiter ge⸗ nießen. Sie werden allerdings etwas größere Anſtrengungen machen müſſen, aber ſie werden dafür auch über das Maß der übrigen gefördert. Ich fürchte, wir würden zu vielerlei gleichzeitig unternehmen, und es würden für die Behörden allzu große Schwierigkeiten entſtehen. Von Herrn Dr. Landsberger und von Herrn Stadtverordneten Jaſtrow iſt noch die Frage auf⸗ geworfen worden: wie iſt es möglich, daß die Klaſſen, aus denen man die beſten Schüler heraus⸗ genommen hat, ebenſo ſtark bleiben ſollen wie vorher? Es iſt tatſächlich ſo, wie Herr Sanitätsrat Dr. Landsberger vermutet hat. Die Lücken, welche entſtehen, ſollen wieder ausgefüllt werden durch den Zuzug von auswärts und durch die Schüler überfüllter Klaſſen, alſo durch ausgleichende Ver⸗ ſchiebungen, die immer notwendig ſind, durch ſogenannte Umſchulung. Gewiß, ohne Umſchulung wird es nicht gehen. Es iſt das übrigens lediglich eine Frage finanzieller Natur. Umſchulungen wird der Pädagoge nur vornehmen, wenn es notwendig iſt. Aber wenn ich entſcheiden ſoll, was zweck⸗ mäßiger iſt; einige Umſchulungen vornehmen und dabei die beſten Kinder ihren Kräften entſprechend verſorgen oder beides unterlaſſen — ſo werde ich immer ſagen: das erſtere iſt wichtiger und beſſer. Stadtv. Brode: Ich begrüße natürlich die Vorlage ebenfalls, da ich darin eine weitere Hebung der Volksſchule ſehe. Ich möchte nur noch einen Punkt zur Sprache bringen, und das iſt die Frage, in welcher Fremdſprach e unterrichtet werden ſoll. Die Frage iſt, wie mir ſcheint, nicht genügend entſprechend ihrer Wichtigkeit behandelt worden.