Sitzung vom 3. November 1909 Zunächſt muß ich betonen, daß ein poſitiver Beweis für die Nürnbergerſtraßenlinie in dieſer Hinſicht überhaupt nicht verurſacht worden iſt. Wie be⸗ kämpft man nun die Uhlandſtraßenlinie von dieſem Standpunkt aus? Man entdeckt plötzlich, ganz im Widerſpruch zu dem, was man zwei Seiten vorher geſagt hat, ſein Herz für den Kurfürſtendamm. Ich kann mir das nur damit erklären, daß in⸗ zwiſchen der Herr Miniſter eine ſehr wohlwollende Erklärung für die dem Kurfürſtendamm zu ge⸗ währende Linie abgegeben hat und man mit dieſer Erklärung möglichſt konform gehen wollte. Was führt mann dann aber aus? Die Bahn durch die Uhlandſtraße mache die weitere Entwicklung auf dem Kurfürſtendamm unmöglich! Als ob die Herren nicht wüßten, daß in unſerm Projekt ein gemeinſamer Bahnhof an der Ecke Kurfürſten⸗ damm⸗Uhlandſtraße vorgeſehen war, der doch nur einen Zweck und Sinn hat, wenn die Bahn weiter hinaus fortgeführt wird. Es iſt nicht nur von mir, es iſt in allen Verhandlungen ausgeſprochen worden, daß wir uns mit dieſem Uhlandſtraßen⸗ projekt und auch mit dem, das wir heute beſchließen werden, natürlich nur einſtweilen zufrieden geben können, und daß dieſes Projekt nur die erſte Stufe ſein ſoll, um die Pläne, die wir leider haben zu⸗ ru c ſt e 1en müſſen, weiler zu ver⸗ folge n. Das haben die Herren aber nicht an⸗ geführt, daß dieſe Zurückſtellung lediglich erfolgt iſt, um dem Projekt Wilmersdorfs entgegenzukommen, daß wir urſprünglich viel weiter, nämlich bis zur Leibnizſtraße, den Kurfürſtendamm befahren woll⸗ ten. Dann wird auch die andere Frage voll⸗ kommen übergangen, daß das Nürnbergerſtraßen⸗ projekt nur einen einzigen Gemeinſchaftsbahnhof vorſieht, nämlich am Wittenbergplatz, während unſer Projekt drei Gemeinſchaftsbahnhöfe vorſieht: Uhlandſtraße, Wittenbergplatz und Nollendorfplatz, und daß ſich für die Allgemeinheit viel beſſer in dieſen drei Bahnhöfen der Vielköpfigkeit und Viel⸗ geſtaltigteit des Verkehrs Rechnung tragen läßt. Der eine Bahnhof Wittenbergplatz wird noch dazu ein ſehr großer, unüberſichtlicher Bahnhof werden. Das Publikum wird, wenigſtens im Anfang, nicht recht wiſſen, wo es ſich hinzuwenden hat. Man kann alſo nicht mit einem Schimmer von Recht ausſprechen, daß das Uhlandſtraßenprojekt nur einen geringen Vorteil für Groß⸗Berlin bedeute. Ganz vergeſſen aber die Herren in Wilmers⸗ dorf weiter, daß ſie auch auf der rechten Seite noch Nachbarn wohnen haben, und daß dieſe auch ſich mit einem gewiſſen Recht zu Groß⸗Berlin rechnen dürfen, nämlich die Gemeinde Schöneberg, die bei Verfolgung der einſeitigen Wilmersdorfer Pläne am allerſchwerſten benachteiligt werden würde. Deswegen iſt es auch vollkommen er⸗ klärlich, daß die Gemeinde Schöneberg ebenfalls nun die Flucht in die Offentlichkeit in breiteſtem Maße antritt. Das hat ſie getan in einer Schrift, die Ihnen wohl zugegangen iſt, und die ich nicht anſtehe als ein kleines Meiſterwerk zu bezeichnen. Alles, was in dieſer Schrift enthalten iſt, können wir Wort für Wort unterſchreiben. Sie finden darin kaum einen Satz, der nicht, ſei es in unſeren Magiſtratsvorlagen, ſei es in unſeren Verhand⸗ lungen oder in meinem Referat, irgendwie ſchon vorher betont worden iſt. Sie unterſcheidet ſich wohltuend von dem Elaborat Wilmersdorfs da⸗ durch, da ß ſie ſich vollkommen auf 451 den Standpunkt von Groß⸗Berlin ſtellt und den eigentlichen Schö⸗ neberger Standpunkt nur in ſo⸗ fern hervorfkehrt, als er mit dem Groß⸗ Berliner Standpunkt nicht in Konflikt kommt. Ich möchte Ihnen doch ein paar Zeilen daraus vorleſen. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß ſich Schöneberg zunächſt an den Oſtverkehr hält, alſo den Verkehr, von dem es abgeſchnitten werden ſoll, und der in dieſem Moment, wo die Gemeinde Schöneberg ihn ver⸗ lieren ſoll, den doppelten Wert für ſie gewinnt. In bezug darauf ſchreibt Schöneberg: Dieſe Einſchränkung des Weſt⸗Oſt⸗Verkehrs würde eine weſentliche Verſchlechterung der Verkehrsverhältniſſe gegenüber dem bisheri⸗ gen Zuſtande ergeben. Das iſt vollkommen richtig. Wenn die Abzweigung nach dem Oſten bereits von dem Wittenbergplatz ſtatt am Nollendorfplatz geſchehen würde, ſo wäre natürlich die ganze Zwiſchenſtrecke ausgeſchaltet und vor allen Dingen der ganze dort zugebrachte Schöneberger Verkehr ausgeſchaltet. Weiter heißt es in bezug auf dieſen Oſtverkehr: Herr Baurat Witting ſagt in der genannten Schrift wörtlich: „Der nach dem Potsdamer Platz gerichtete Verkehr der weſtlichen Stadt⸗ teile iſt etwa halb ſo groß wie der durch⸗ gehende Weſt⸗Oſt⸗Verkehr.“ Meine Herren, ein Wort, das wir auch bei unſerer heutigen Vorlage durchaus im Auge zu behalten haben! — Und Schöneberg ſchließt ſeine Aus⸗ führungen auf Seite 15 mit den Worten: An der Wahl des Nollendorfplatzes anſtatt der Kurfürſtenſtraße haben alle Parteien ein gleichmäßiges Intereſſe. Und endlich: Um ſo mehr bedauern wir es, daß die ſtäd⸗ tiſchen Körperſchaften Wilmersdorfs ſoeben dem Projekt Uhlandſtraße ihr „Niemals!“ entgegengeſetzt und dadurch Einigungsver⸗ handlungen für die Gegenwart unmöglich gemacht haben. Meine Herren, ich glaube, dem können Sie alle zuſtimmen und werden das auch tun. Und wenn Sie das tun, dann wäre es eigentlich bis zu einem gewiſſen Grade moraliſch richtig, daß wir genau wie Wilmersdorf vorgingen und einfach beſchlöſſen: an unſerm Uhlandſtraßenprojekt wird nicht mehr gerührt, Verhandlungen werden nicht weiter ge⸗ führt, dabei bleibt es. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) — Sie rufen: Sehr richtig! und Sie haben bis zu einem gewiſſen Grade ſehr recht. Aber, meine Herren, die Folgen! Was wäre dann geſchehen? Der Magiſtrat iſt dieſen Weg nicht gegangen, er hat uns vielmehr dieſe Vorlage unterbreitet. Was wäre geſchehen, wenn er dies nicht getan hätte? Wir wären in den Verhandlungen auf dem toten Punkt angekommen, von dem es für Char⸗ lottenburg ein Wiedererwecken leider nicht mehr gibt. (Na, na! bei den Sozialdemokraten.) Dann wäre bei dem Ergänzungsverfahren — man mag es nun für recht halten oder, wie ich, für unrecht, aber kommen wird es ganz gewiß — gewiſſermaßen ein Schein der Berechtigung dafür gegeben worden, daß Charlottenburg weſentlichen allgemeinen Inter⸗ eſſen ſeine Genehmigung verſagte. (Widerſpruch.)