Sitzung vom 3. November 1909 455 Denn, meine Herren, wenn wir heute ſofort Sehen Sie die Vorlage des Magiſtrats an, meine einen Ausſchuß zuſammentreten laſſen bei einem Projekte, das in Jahren erſt reifen ſoll, dann ſagen wir damit indirekt: jawohl, die Sache iſt uns ſo wichtig, ſie iſt ſo günſtig für uns, daß wir ſo⸗ fort verhandeln müſſen. (Bewegung.) Nein, meine Herren, ſo günſtig iſt ſie nicht für uns. Sie iſt durchaus nicht günſtig für uns; das frühere Projekt des Magiſtrats war für uns weſent⸗ lich günſtiger. (Andauernde Unruhe. Glocke des Vorſtehers.) Vorſteher⸗Stellvertr. Dr. Hubatſch: Meine Herren, ich bitte Sie um Ruhe! Stadtv. Dr. Stadthagen (fortfahrend): Meine Herren, ich möchte Sie dringend bitten, dem An⸗ trage auf Wahl eines Ausſchuſſes zuzuſtimmen, dagegen nicht dem Antrage zuzuſtimmen, daß dieſer Ausſchuß ſchon heute abend zuſammen⸗ treten ſoll, ſondern ich möchte Sie bitten, ihn in der üblichen Weiſe zuſammentreten zu laſſen, damit auch der Magiſtrat die ganze Sache in aller Ruhe noch weiter prüfen kann, wie es ſcheinbar der Wilmersdorfer Magiſtrat wiederum in den 24 Stunden, die vergangen ſind, getan hat. Meine Herren, keine Überſtürzung in derartigen Sachen! Wenn auch Herr Kollege Frentzel von friſchem Wagemut geredet, — wir haben mit friſchem Wagemut ſeinerzeit 20 Millionen bewilligt, und davon ſprechen wir ſchon gar nicht mehr. Seien wir hier doch etwas vorſichtiger! Es iſt meines Erachtens nicht zu befürchten, daß wir dadurch einen weſentlichen Nachteil erleiden. Stadtv. Holz: Meine Herren, nachdem wir uns länger als drei Vierteljahre mit der Sache be⸗ ſchäftigt und mit der Gemeinde Wilmersdorf herumgeſchlagen haben, iſt es bedauerlich, daß wir vor einer Tatſache ſtehen, die eigentlich kaum eine Tatſache iſt, vor einer Vorlage, die keine Vorlage iſt, vor Mitteilungen, die uns eben erſt gemacht werden, über die wir kaum in der Lage ſind, irgend⸗ eine beſtimmte, rechtlich wirkſame Erklärung ab⸗ zugeben. Wir wären ja gewiß alle froh, wenn es möglich wäre, über die ganze Sache endlich zur Tagesordnung überzugehen. Aber, meine Herren, auf eine ſolche Weiſe, wie es hier von uns verlangt wird, mit einem Salto mortale, wie er uns zu⸗ gemutet wird, kann ich nicht zur Tagesordnung übergehen. Aus dem, was der Herr Referent geſagt hat, was Herr Kollege Stadthagen unterſtrichen hat, aus dieſer Sinnesänderung des Magiſtrats haben wir gar keine Veranlaſſung, auf unſern Weg in dieſer Frage Weihrauch zu ſtreuen. Meine Herren, der Weg iſt von Herrn Kollegen Frentzel mit Recht als ein Dornenweg bezeichnet worden, als ein Leidensweg, und wenn wir uns vergegenwärtigen, mit wie großer Begeiſterung wir am 17. März 1909 jene wunderſchöne Vorlage beraten und an⸗ genommen haben, wenn wir die ganze hiſtoriſche Entwicklung der Sache verfolgen, ſo werden Sie mit dem großen Dichter ſagen: In den Ozean ſchifft mit tauſend Maſten der Jüngling; Schwer, auf gerettetem Boot, treibt in den Hafen der Greis. (Rufe: Schwer? Still, nicht ſchwer! — Große Heiterkeit. ) Herren, und vergleichen Sie dieſe mit jener be⸗ rühmten Vorlage vom 17. März 1909, und Sie werden ſagen: ja, können wir denn überhaupt noch die Augen aufſchlagen der Offentlichteit gegenüber, (Sehr richtig!) wenn wir nach dieſen Vorgängen hier einfach zu Kreuze kriechen und etwas annehmen ſollen, was wir noch vor wenigen Wochen für unmöglich ge⸗ halten hätten? Meine Herren, wenn Sie den Ver⸗ gleich ziehen zwiſchen der erſten Vorlage und dem, was wir hier jetzt vor uns haben, ſo könnte ich Ihnen mit einem zweiten Zitat dienen: Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus — es iſt nichts ge⸗ boren als ein kleines Mäuschen — das werden Sie ſich alle gefallen laſſen, meine Herren, Sie können mir nichts anderes bieten als dieſe ſogenannte Vor⸗ lage des Magiſtrats. Ja noch mehr: hier wird uns eine Bahn empfohlen, gegen die ſich der Magiſtrat früher nicht energiſch genug wenden konnte! Aus der ganzen hiſtoriſchen Entwicklung, die wir alle erlebt haben, wiſſen wir, welche Rolle Wilmersdorf ſpielt. Wir wiſſen, daß Wilmersdorf ſchon längſt, ſchon im Jahre 1907, mit ſeinen Plänen hervorgetreten iſt, daß die Hochbahngeſellſchaft ſchon 1907 oder Anfang 1908 einen Antrag auf landespolizeiliche Genehmigung geſtellt hat, und wir wiſſen, daß dann am 17. März 1909 jene von mir bereits wiederholt genannte Vorlage ge⸗ kommen iſt, und, meine Herren, wenn hier von irgendeiner Seite davon geſprochen worden iſt, daß Charlottenburg früher hätte aufſtehen müſſen, ich ſage auch: mea culpa, meine Herren, mich trifft das ebenſo wie den Magiſtrat, wir hätten viel früher aufſtehen müſſen, wir hätten viel früher, mindeſtens ebenſo früh wie Wilmersdorf, aufſtehen müſſen, um unſere Intereſſen, wenn wir ſolche Intereſſen haben, zu wahren, um ſo mehr, meine Herren, als Ihnen aus den Akten bekannt ſein wird, daß ſchon ſeit Jahren Petitionen an den Magiſtrat wegen Auf⸗ ſchließung des jenſeits der Uhlandſtraße gekommen ſind! Meine Herren, bei dieſer Sachlage muß ich hinzufügen: ich beneide die Freunde der Vorlage, ich beneide den Kollegen Frentzel, daß er auch noch dieſem Torſo gegenüber mit einem Optimismus, den er ja von Anfang an bis zum heutigen Tage ſich bewahrt hat, gegenüberſteht, daß er nach wie vor der Überzeugung iſt: wir müſſen Ja ſagen. Nun, meine Herren, müſſen wir dieſe Vorlage annehmen und Millionen — ich ſage nicht bloß: 2 Millionen — opfern, ohne zu wiſſen, was wir dagegen eintauſchen? (Sehr richtig!) Ich werde darauf noch mit einigen Worten ein⸗ gehen, wenn ich die eigentliche Vorlage vom 1. No⸗ vember dieſes Jahres zu beſprechen haben werde. Nur darauf möchte ich jetzt hinweiſen, meine Herren: der Magiſtrat mutet uns hier etwas zu — er iſt ja ſelbſtverſtändlich unſchuldig daran, die Verhältniſſe drängen ihn —, was geradezu außergewöhnlich iſt, wir ſollen zu einem Vertrage Stellung nehmen, zu einem Vertrage mit ſo vielen Verklauſulierungen, mit ſo vielen Paragraphen, die man erſt nach wiederholtem ſorgfältigen Leſen und Studieren überhaupt begreifen kann, ſollen wir Stellung nehmen in Zeitraum von 24 Stunden oder noch kürzer, ja einer halben Stunde! Meine Herren, ich werde, ohne eine Obſtruktionspolitik zu treiben