Sitzung vom 3. November 1909 erklärt hätte: „Unter Zurückziehung unſerer Vorlage vom 27. Oktober unterbreiten wir der Stadtver⸗ ordnetenverſammlung folgende neue Vorlage.“ Meine Herren, was die Sache ſelbſt anbetrifft, ſo habe ich und haben mit mir alle meine Freunde ebenſo, wie die beiden Herren Vorredner, ſchwere Bedenken gegen die Vorlage. Ich glaube, daß wir von vornherein vor dem Vorwurfe bewahrt ſind, daß wir etwa verkehrsfeindliche Tendenzen ver⸗ folgen. Wir haben nicht nur durch unſere Tätigkeit hier in der Stadtverordnetenverſammlung, ſondern auch ſonſt ſtets bewieſen, daß wir alles das, was für die Förderung des Verkehrs notwendig iſt, freu⸗ digen Herzens bewilligen, ſelbſt wenn unſere Finanzen dadurch in Anſpruch genommen werden. Aber, meine Herren, wir ſagen nicht, daß wir nun jede Verkehrsvorlage ohne weiteres bewilligen müſſen. Es können doch ſehr wohl Vorlagen kommen, die ſcheinbar Vorlagen für den Verkehr ſind, in Wirklichkeit aber zur Hebung des Verkehrs gar nichts beitragen, und mit einer ſolchen Vorlage haben wir es meiner Überzeugung nach hier zu tun. Wundern muß ich mich über die vollkommene Sinnesänderung, die ſich bei dem Magiſtrat im Laufe ganz kurzer Zeit vollzogen hat. In ſeinen früheren Vorlagen hat der Magiſtrat nachgewieſen und hat ſtets dieſen Standpunkt vertreten, daß eine Bahn durch den Kurfürſtendamm, die keinen An⸗ ſchluß an die Wilmersdorfer Bahn durch die Uhland⸗ ſtraße hat, völlig unrentabel iſt und unrentabel bleiben muß. Hier aber empfiehlt er uns eine Bahn, gegen die er ſich in ſeinen früheren Vorlagen prinzipiell ſelbſt gewendet hat, und er verlangt ſogar, daß wir noch die beträchtliche Summe von 2,3 Millionen zahlen, damit überhaupt die Bahn gebaut wird. Aus der Begründung der Magiſtratsvorlage ſelbſt geht nicht zur Genüge hervor, worauf die Sinnesänderung des Magiſtrats zurückzuführen iſt, ob er nur unter einem Zwange gehandelt hat, oder ob tatſächlich inzwiſchen Momente eingetreten ſind, die ihn davon überzeugt haben, daß ſeine frühere Auffaſſung falſch geweſen iſt. Es wäre erwünſcht, wenn der Magiſtrat darüber noch nähere Auskunft geben würde. Überhaupt muß ſich, wenn man die Magiſtrats⸗ vorlagen lieſt, die wir in den letzten Wochen und Monaten auf dieſem Gebiete bekommen haben, einem die Uberzeugung aufdrängen, daß der Magi⸗ ſtrat Schritt für Schritt zurückgewichen iſt, während anderſeits Wilmersdorf ganz konſequent und energiſch ſeine früheren Projekte verfolgt und auch jetzt wieder ſeinen Willen durchgeſetzt hat. (Sehr richtig!) Nun fragt es ſich, ob auch die Stadtverordneten⸗ verſammlung zurückweichen ſoll. Dieſe Frage kann ich namens meiner Freunde nur mit einem klaren Nein beantworten. Der Magiſtrat ſpricht davon, daß Charlotten⸗ burg durch die neue Vorlage große Vorteile hat. Ich habe vergebens nach den Vorteilen geſucht. Was zunächſt den Verkehr ſelbſt betrifft, ſo entſteht zweifellos ein großer Nachteil dadurch, daß wir, wenn wir vom Kurfürſtendamm kommen und nach der Stammlinie wollen, den Umſteigeverkehr be⸗ kommen, und anderſeits daß wir auf der alten Strecke nach dem Oſten den Umſteigeverkehr be⸗ kommen. Schon jetzt ſind die Verkehrsverhältniſſe der Untergrundbahn von hier nach dem Oſten nicht gerade glänzend zu nennen. Die Paſſagiere, 459 die z. B. vom Sophie⸗Charlotte⸗Platz nach dem Oſten fahren wollen, haben ſchon jetzt zweimal das Vergnügen, umſteigen zu müſſen; aber ſie bleiben doch wenigſtens auf demſelben Bahnſteig, brauchen nicht Treppen hinauf und hinunter zu klettern. In Zukunft wird das anders werden, und wenn der Herr Berichterſtatter meint: das Publitum wird ſich an das Herumklettern gewöhnen — ja, der Menſch gewöhnt ſich ſchließlich an alles; aber angenehm iſt es nicht, wenn man dann 5 Minuten warten ſoll, bis der neue Zug ankommt. Ganz unbeantwortet gelaſſen iſt die Frage, wie die Bahn ſpäter über den Kurfürſtendamm ſelbſt geführt werden ſoll. Weder aus der Vorlage noch aus den Plänen, die uns zugegangen ſind, iſt darüber etwas zu entnehmen. Wir würden alſo, wenn wir dazu kommen, den jetzigen Torſo zu einer wirklichen Bahn auszugeſtalten, wieder vor eine ſehr ſchwierige Frage geſtellt werden. Es würde dann nicht bei 2,3 Millionen nur bleiben, die wir heute bewilligen ſollen, ſondern wir würden Millionen opfern müſſen für Projekte, auf die unſere Stadt einen Anſpruch hat. Wir wiſſen gar nicht, was aus der Bahn ſonſt wird. Vollkommen offen gelaſſen iſt ja auch die Frage, inwiefern etwa die Fortführung der hier projektierten Bahn ſpäter einmal den Exerzierplatz erſchließen ſoll — zweifellos ein ſehr wichtiges Problem. Wenn wir an die Löſung dieſes Problems herantreten, werden wieder neue Opfer von der Stadt verlangt, Opfer, die doch vielleicht zu koſtſpielig ſind. Der Magiſtrat ſagt in ſeiner Vorlage, daß die Verkehrsverhältniſſe am Kurfürſtendamm ſo ſchlecht ſind, daß man Maßnahmen ergreifen muß, um den Abzug der ſteuerkräftigen Bevölkerung vom Kur⸗ fürſtendamm zu verhindern. Meine Herren, zu⸗ nächſt beſtreite ich, daß die Verkehrsverhältniſſe am Kurfürſtendamm ſo ſchlecht ſind, wie der Magiſtrat es ſchildert. (Zurufe: Sehr ſchlecht!) Meine Herren, Sie haben dort eine ganze Reihe von Linien, die in das Innere von Berlin hinein⸗ führen, und ſchließlich wird es auch den Ein⸗ wohnern des Kurfürſtendamms nicht ſchaden, (Zuruf: Auto!) — meine Herren, das mute ich den Herren nicht zu — wenn ſie mal 5 Minuten zum Zoologiſchen Garten gehen; da haben ſie den Anſchluß. Meine Herren, ich möchte nicht, daß die übrigen Einwohner Charlottenburgs zugunſten dieſer wenigen Reichen belaſtet werden ſollen. Wenn geſagt wird, daß die ſteuerkräftigen Bewohner des Kurfürſtendamms, wenn die Bahn nicht gebaut wird, vom Kurfürſtendamm fortziehen, ſo behaupte ich: bedingt wird der Fortzug durch ganz andere Momente; er wird bedingt durch die Pläne des Fiskus bezüglich der Aufteilung der Domäne Dahlem. Das iſt der ſpringende Punkt. Seien wir doch ganz offen: es unterliegt gar keinem Zweifel, daß wir in die ſchwierige Lage hineingeraten ſind, weil der Fiskus als Terrainſpekulant aufgetreten iſt. (Sehr richtig!) Dem Fiskus liegt alles daran, Dahlem zu erſchließen; er will günſtige Verkehrsverbindungen dorthin haben, Dahlem ſoll ein Millionärviertel werden, es ſollen nur Leute dorthin ziehen, die, weil keine Armenlaſten da ſind, ſo wenig Steuern bezahlen, daß die Differenz gegenüber den Steuern, die ſie in Berlin, Charlottenburg und anderen Vororten