502 Ehe der Magiſtrat die Stundenpläne feſtſetzte, hat er beteiligte Kreiſe aus der Bürgerſchaft ge⸗ hört, Kaufleute, Handwerksmeiſter und Arbeit⸗ nehmer. Dieſe beteiligten Kreiſe haben einer Ein⸗ ladung des Magiſtrats Folge geleiſtet, von den Kaufleuten freilich von 10 Eingeladenen nur 4, von den Handwerksmeiſtern — es war der Innungs⸗ ausſchuß eingeladen — von 14 Eingeladenen ſämtliche 14 und von den Arbeitnehmern, von denen auch 14 eingeladen waren, 13 und der 14. nur des⸗ halb nicht, weil er verzogen war. Dieſe überaus rege Teilnahme einmal der Handwerksmeiſter und zum zweiten der Arbeitnehmer beweiſt, daß in den beteiligten Kreiſen unſerer Bürgerſchaft an den Angelegenheiten der Fortbildungsſchule das regſte Intereſſe genommen wird. Wir können uns dieſes Intereſſes nur freuen. Aber es muß bei dieſer Gelegenheit doch ausgeſprochen werden, daß in letzter Zeit gerade zwiſchen den beteiligten Kreiſen der Bürgerſchaft und der Fortbildungsſchule ſelbſt gewiſſe Unſtimmigkeiten entſtanden waren, die zu allerlei Erörterungen auch in der Preſſe geführt haben. Ich habe es deshalb mit beſonderer Freude begrüßt, als ich in den Akten einen Vermerk des Herrn Stadtſchulrats fand, daß er auf den aus⸗ geſprochenen Wunſch des Innungsausſchuſſes bereit ſei, den Innungsausſchuß auch noch einmal zu empfangen, um die Wünſche, die dieſer Ausſchuß habe, bezüglich der Anderung des Ortsſtatuts für die männliche Fortbildungsſchule entgegenzunehmen. Dieſe Unterredung zwiſchen dem Stadtſchulrat und dem Innungsausſchuß hat am letzten Montag ſtatt⸗ gefunden. Sie finden in der heutigen Nummer der „Neuen Zeit“ darüber einen Bericht. Dieſer Bericht iſt inſofern etwas irreführend, als er nur die⸗ jenigen Wünſche zuſammenſtellt, die der Innungs⸗ ausſchuß bezüglich der Anderung des Ortsſtatuts hat. Es ſind nicht alle dieſe Wünſche in der Unterredung erörtert worden, ſondern die Wünſche 3, 4 und 5 ſind von der Erörterung ausgeſchloſſen worden. Über die übrigen Wünſche hat man ſich unterhalten, und ich habe nach privater Information bei dem Herrn Stadtſchulrat erfahren, daß man im großen und ganzen zu einer gemeinſamen Baſis und zu dem verheißungsvollen Anfang einer Verſtändigung gekommen iſt. Ich muß ausdrücklich erklären, daß ich mich über dieſes Ergebnis außerordentlich freue. Ich meine, es muß das Ziel ſein, wenn unſere Fortbildungsſchule den Segen wirken ſoll, den wir von ihr erwarten, daß ſie nach Möglichkeit Hand in Hand mit den beteiligten Kreiſen, vor allem mit den Handwerksmeiſtern arbeitet. Durch dieſe Unterredung iſt dazu ein Anfang geſchaffen worden, und ich hoffe, daß in recht baldiger Zukunft die ganze Angelegenheit eine Löſung finden wird, die den berechtigten Wünſchen unſerer Handwerks⸗ meiſter entſpricht, ohne daß dadurch pädagogiſche Grundſätze, die aufrecht erhalten werden müſſen, irgendwie berührt werden. Der Zuſtand, der durch die Entſcheidung des Kammergerichts geſchaffen iſt, iſt ein höchſt uner⸗ wünſchter und kann nicht gut dauernd gelten. Deshalb bringe ich noch zu Ihrer Kenntnis, daß in der Deputation für das ſtädtiſche Fortbildungs⸗ ſchulweſen der Antrag angenommen worden iſt, der Preußiſche Städtetag möge bei der Staatsregierung Abänderungen der Reichsgewerbeordnung beantra⸗ gen, die dieſen Zuſtand beſeitigen. Bis dahin müſſen wir uns dem Urteil fügen, und aus dieſem Grunde bitte ich Sie, der Magiſtratsvorlage zuzuſtimmen. Sitzung vom 24. November 1909 Stadtv. Zander: Meine Herren, im Gegenſatz zu dem Herrn Referenten bin ich der Überzeugung, daß das Kammergerichtsurteil durchaus erwünſcht gekommen iſt, erwünſcht wenigſtens für die Ge⸗ werbetreibenden Charlottenburgs, und daß dadurch anerkannt iſt, daß dieſe Gewerbetreibenden nebenbei auch exiſtenzberechtigt ſind und daß nicht von dem Leiter der Fortbildungsſchule ohne weiteres ein Stundenplan feſtgelegt werden kann, der die Handwerker und Gewerbetreibenden in ihren In⸗ tereſſen ſchädigt, auch daß es nicht in der Hand des Herrn Fortbildungsſchuldirektors liegen darf, im Laufe eines halben Jahres willkürlich Stunden zu verändern und ganz einfach von einem zum andern Tage oder von zwei zu drei Tagen die Jungen ohne Rückſichtnahme auf ihre Arbeitgeber hinzubeſtellen. Die Entſcheidung des Kammer⸗ gerichts hat ja nun vorgeſchrieben, daß intereſſierte Kreiſe über dieſes Ortsſtatut gehört werden ſollen. Es ſteht auch in der Vorlage, daß dieſe Kreiſe gehört worden ſind, und wir haben das auch vom Herrn Referenten gehört. Aber aus dem Kreiſe meiner Fachgenoſſen iſt niemand gehört worden, und ſo iſt es denn auch gekommen, daß z. B. die Färber⸗ und Detacheurlehrlinge mit den Schneidern zu⸗ ſammengebracht worden ſind. Das iſt ungefähr genau dasſelbe, als ob ein Juriſt oder ein Mediziner bei einem Theologen Vorleſungen hört. Die Fort⸗ bildungsſchule zerfällt in eine Pflichtfortbildungs⸗ ſchule und in eine Fachſchule, wenn ich mich ſo ausdrücken ſoll. Die Fortbildungsſchule iſt nicht bloß dazu da, die Jungen im Deutſchen, im Rechnen, im Zeichnen auszubilden — das fällt bei meiner Kategorie vollſtändig weg —, ſondern beſchäftigt ſich auch mit Kalkulation und anderen Sachen. Wie denken ſich das nun die Herren von der Fort⸗ bildungsſchule, wenn ein Färber oder Detacheur in der Kalkulation der Schneider unterrichtet werden ſoll? Meine Herren, ich glaube Ihnen ja gern, daß mein Fach hier in Charlottenburg nur gering vertreten iſt und daß es ſehr ſchwer ſein wird, es irgendwo einzureihen. Aber dann ſollte man lieber die Jungen von dieſen Stunden vollſtändig dispenſieren und ſie nicht derartig für ihr ſpäteres Leben ſchädigen, daß ſie falſche Sachen lernen, die ſie dann nachher von dem Lehrherrn zu Hauſe redreſſieren laſſen müſſen, damit ſie andere An⸗ ſichten für das ſpätere Leben bekommen, wie es in der Fachſchule gelehrt wird. Außerdem wird in der Pflichtfortbildungsſchule derart auf die Jungen, die in ihrem dummen Verſtande noch nicht das ver⸗ ſtehen, was gelehrt wird, eingewirkt, daß ganz merkwürdige Ideen im Kopfe dieſer Jungen ent⸗ ſtehen. So exiſtieren dort gedruckte Formulare, worin die Jungen darauf aufmerkſam gemacht und hingewieſen werden, wie ſie ihre Lehrchefs verklagen ſollen. Meine Herren, ich weiß nicht, ob das richtig iſt — es exiſtiert ſogar ein gedrucktes Formu⸗ lar darüber —, daß man dieſen unreifen Jungen derartige Sachen in den Kopf ſetzt. Es mag ja ſehr gut gemeint ſein, es mag davon ausgegangen werden, daß mal ein Schubiak unter den betreffen⸗ den Prinzipalen ſein kann, der ihnen den Lohn vorenthält. Aber dazu gibt es doch Rechtsſtellen. Wir haben eine Rechtsſchutzſtelle beim Magiſtrat, man braucht doch nicht dieſen unreifen Jungen ſo etwas in den Kopf zu ſetzen und in ihnen die Idee feſtigen, daß ſie auf jede Art und Weiſe alle Augen⸗ blicke gegen ihre Lehrherren klagen können. So faſſen dieſe Jungen es auf. 4