Sitzung vom 24. Die Laufjungen werden im Schreiben von An⸗ und Abmeldeformularen unterrichtet! Ja, meine Herren, An⸗ und Abmeldeformulare müſſen im Preußiſchen Staate die Hausbeſitzer ſchreiben. Ich glaube, daß die Laufjungen von Charlottenburg bei den hohen Steuern, die die Hausbeſitzer bezahlen müſſen, niemals Hausbeſitzer in Charlottenburg werden wollen. Über Kruppſche Kanonen ſind die Laufjungen neulich unterrichtet worden! Meine Herren, das ſind Sachen, die man in der Fortbildungsſchule vorträgt! Alle dieſe Dinge haben eine tiefe Erbitterung ſowohl im Handwerkerſtande wie im Kaufmanns⸗ ſtande hervorgerufen. Wenn von den 10 Kauf⸗ leuten, die eingeladen ſind, 6 nicht erſchienen ſind, ſo bin ich davon feſt überzeugt, daß ſie nur deswegen nicht erſchienen ſind, weil ſie ſich geſagt haben: wir haben ja doch keine Macht; wir müſſen das tun, was in der Deputation der Fortbildungsſchule und vom Leiter der Schule beſchloſſen wird. Ich halte es ja für vollkommen richtig, wenn man unſere Jungen, die heute noch unreif aus der Schule kommen, für ihr ſpäteres Leben weiter fortbildet, wenn man ſie im Leſen, Schreiben, im Deutſchen, in der Geſchichte und Fachwiſſenſchaften unter⸗ richtet. Aber die Art und Weiſe, wie dort Fach⸗ bildung gelehrt wird, iſt nicht die richtige. Wir ſehen es an den großen Werftunterſchlagungen in Kiel, allgemein wird danach geſchrieen, es muß eine kaufmänniſche Buchführung eingeſetzt werden, kaufmänniſche Leute müſſen hineinkommen. Überall ruft man nach dem Kaufmann. In der Kolonial⸗ verwaltung haben wir einen kaufmänniſchen Mi⸗ niſter bekommen. Bei uns in der Fortbildungsſchule wird die von den Handwerkern aufgeſtellte Forde⸗ rung, daß nämlich der kaufmänniſche Unterricht und die kaufmänniſche Bildung den Lehrlingen von Kaufleuten beigebracht werden ſoll, nicht erfüllt, ſondern es werden nach wie vor Lehrer, entweder Mittelſchullehrer oder Volksſchullehrer dazu ge⸗ nommen, die die Jungen im kaufmänniſchen Weſen unterrichten. Jeder, der Kaufmann iſt, weiß, daß dieſe Art und Weiſe des Unterrichts einem Kauf⸗ mann ſpäter nichts nützen kann und auch einem Handwerker nicht. Jeder hat in ſeinem Geſchäft oder in ſeinem Handwerk eine beſonders zuge⸗ ſchnittene Buchführung. Das ſind Sachen, die viel⸗ leicht den Geſellen⸗ oder Meiſterkurſen vorbehalten bleiben ſollten, wo die Herren Volksſchullehrer dies lehren könnten. Wenn aber ein ſolcher Unter⸗ richt als obligatoriſcher Unterricht aufgenommen und geführt werden ſoll, ſo iſt es doch wohl richtiger, daß kaufmänniſche Handelslehrer, Bücherreviſoren uſw. dieſen Unterricht leiten. Meine Herren, wir haben z. B. einen Volksſchullehrer in Charlotten⸗ burg, der ſchon die Schloſſerei, die Schneiderei und die Tapeziererei erlernt hat. Wie denken ſich denn das die Herren: ſollen wirklich die Lehrer das in einem Vierteljahr lernen, wozu andere viele Jahre gebrauchen, und ſollen dann auch in dieſen Gegen⸗ ſtänden unterrichten können? Mancher Konflikt wird zwiſchen einem Lehr⸗ ling, der noch nicht reif iſt, und ſeinem Lehrmeiſter entſtehen, wenn der Lehrling eine ganz andere Darſtellung der Dinge in der Fortbildungsſchule empfängt, als er ſie zu Hauſe von ſeinem Lehr⸗ meiſter hören muß. Iſt es richtig, meine Herren, um auf etwas anderes einzugehen, daß man in der Fortbildungsſchule alle möglichen Fragen an November 1909 5 03 die Lehrjungen ſtellt, ob ſie auch gut zu Mittag zu eſſen bekommen, in was für einem Zimmer ſie ſchlafen, was für Kartenſpiele ſie treiben? Das ſind keine Sachen, die in die Fortbildungsſchule ge⸗ hören. Darüber machen ſich ja die Jungen nachher zu Hauſe luſtig. Das gehört genau ſo wenig in die Fortbildungsſchule, wie die Kruppſchen Ka⸗ nonen hineingehören. Das mag zu ſtatiſtiſchen Zwecken ganz gut ſein! Hierzu kann man einen Fragebogen an die Lehrherren ſchicken. Aber die Jungen danach zu fragen, die ſich nachher darüber amüſieren, das halte ich für durchaus unnötig und geeignet, das gute Verhältnis, das zwiſchen Lehr⸗ ling und Meiſter heute noch exiſtiert, zu unter⸗ graben. Meine Herren, in unſerer Stadtverordneten⸗ verſammlung ſind ſehr wenig Herren, die Lehrlinge haben, ſo daß Sie die ganze Art und Weiſe der Fortbildungsſchule nur vom ſozialen Standpunkt anſehen; Sie ſagen ſich: es iſt gut, daß der Junge weiter fortgebildet wird. Auf dieſem Standpunkt ſtehen auch alle die Handwerksmeiſter und Kauf⸗ leute, die Lehrlinge haben. Nur über die Art, wie es geſchieht, über die Rückſichten, die dabei auf die⸗ jenigen zu nehmen ſind, die durch die Fort⸗ bildungsſchule in Mitleidenſchaft gezogen werden, iſt man verſchiedener Anſicht. Ich will Ihnen ein⸗ mal ein Beiſpiel zum beſten geben. Ich habe einen Lehrling auf der Fortbildungsſchule gehabt. Zweimal im Vierteljahr waren die Stunden ge⸗ andert worden. Ich habe mich beſchwert, habe alles gemacht und getan — man hat die Achſeln gezuckt, es iſt nichts daraus geworden. Der Junge iſt Färber und wird jetzt ſtändig mit den Schneidern zuſammen unterrichtet; er hat keine Ahnung, hat nichts ge⸗ lernt; ich habe alles mögliche verſucht, er kann nichts. Er hat Kalkulationen machen müſſen, wie ein Anzug gefertigt wird, er hat Briefe nach Kottbus geſchrieben und Stoffe beſtellt — die Zeit iſt vollſtändig vertrödelt worden. Ich habe ihn damals — er iſt jetzt ſchon ein halbes Jahr Ge⸗ ſelle — auf die Bitten des Unterſtützungsvereins genommen, trotzdem der Junge ein halber Idiot iſt, und habe mir redliche Mühe mit ihm gegeben, daß er etwas lerne. Nachdem er jetzt ein halbes Jahr Geſelle iſt, kommt mit einem Male die Ver⸗ ordnung, daß er von jetzt ab zweimal von 10 bis 2 Uhr in die Fortbildungsſchule gehen ſoll. Meine Herren, in meinem Gewerbe wird im Winter morgens um 9 Uhr an zu arbeiten gefangen und nachmittags um 4, ½5 Uhr aufgehört, da man bei Licht die Farben nicht ſehen kann. Darauf nimmt die Fortbildungsſchule keine Rückſicht; es wird ein⸗ fach feſtgeſetzt! Er fehlt alſo jetzt einen ganzen Tag. Wie ſich die Herren das nur denken! Ich habe darauf an die Fortbildungsſchule geſchrieben: ich bitte, entweder den Geſellen zweimal in der Woche von 6 bis 8 Uhr zu unterrichten oder ihn ganz aus der Fortbildungsſchulpflicht zu entlaſſen, da er bereits 3½ Jahre in der Fortbildungsſchule iſt und nach meiner Überzeugung gar nicht ſo unter⸗ richtet wird, wie es ſich gehört, da er mit den Schneidern zuſammen unterrichtet wird; oder ich ſei gezwungen, ihn zu entlaſſen. — Meine Herren, alle, die mich kennen, wiſſen, daß ich meine Arbeiter bis auf das äußerſte zu behalten pflege. Wenn ich aber gezwungen werde — ich kann doch einen Menſchen nicht den ganzen Tag in die Fort⸗ bildungsſchule gehen laſſen, in der er nach meiner UÜberzeugung doch nichts lernen kann, und ihm