Sitzung vom 24. — Ganz gewiß, „ſchrecklich!“ So werden ſich mit Ihnen auch andere geſagt haben, als ſie dieſeſ Notiz geleſen haben; und ſie werden zu gleicher Zeit geſagt haben: wenn weiter nichts vorliegt, dann iſt doch ſoviel Geſchrei um die Sache gar nicht notwendig. Dasſelbe würden wir auch geſagt haben. Wir drehen aber die Frage um und fragen: wie hat denn die amtliche Unter⸗ ſuchung ausgeſehen, die nichts weiter zutage gefördert hat, als dieſe Lächerlichkeiten? Sie (zu den Liberalen) bezeichnen es ja als „Lächerlich⸗ keit“. Und da dieſe Frage geſtellt worden iſt, müſſen wir darauf dringen — und der Magiſtrat wird ja zweifellos auch genügende Antwort geben können —, zu erfahren: wie iſt die Unterſuchung geführt worden, wer iſt an der Unterſuchung beteiligt geweſen, und auf welchen Perſonenkreis hat ſich die Unterſuchung erſtreckt? Wenn es ſich um nichts weiter handelte als um das, was hier angegeben iſt, und das feſtgeſtellt ſein ſoll, dann hätten wir unſern Antrag gewiß nicht eingebracht. Glauben Sie, wir haben ſo wenig praktiſche Er⸗ fahrung, daß wir dazu übergehen, den Mann mit ſeinem Renommee in die Offentlichkeit zu zerren? Es heißt in den Mitteilungen, es ſei nur einmal eine Waiſe von dem Lehrer Richter ge⸗ züchtigt worden, weil ſie das Publikum durch Werfen von Schneebällen beläſtigt habe. Darüber hätte ſich kein Menſch aufgeregt, wenn es ſich um dieſe eine Sache handelte. Richter ſoll ſich auch nur den „Scherz“ geleiſtet haben, zu ſagen: er werde den Jungen die Ohren abſchneiden. Gewiß, das kann auch einem Vater paſſieren, daß er ſeinem Jungen ſagt: wenn du nicht parierſt, oder du legſt das Ohr an die Tür, dann werde ich dir mal die Ohren abſchneiden. Dann iſt aber darin ein gewiſſes Wohlwollen enthalten; denn Sie werden ja als Vater im Ernſt nicht Ihrem Kinde die Ohren abſchneiden wollen. (Stadtv. Dr Frentzel: Hat er auch nicht getan!) — Warten Sie nur ab, Herr Kollege Frentzel! Wir kommen ſonſt nicht zu Ende. (Erneute Zurufe.) — Ich will gleich dazu kommen. Es iſt nicht bloß mit Ohrenabſchneiden gedroht worden, ſon⸗ dern es ſoll fünf Knaben mit der Gartenſchere in die Ohren ge⸗ zwickt worden ſein, (oh!) ein Knabe ſoll mit dem Rohrſtock bis zur Ohnmacht geprügelt worden ſein; (Stadtv. Otto: Soll!) — ja gewiß, ich kann überhaupt nur ſagen: ſoll; die amtliche Unterſuchung hat doch ſelbſt nichts feſtgeſtellt, und Sie, Herr Kollege Otto, werden mir doch nicht zumuten, daß ich, der ich ganz außerhalb des amtlichen Apparats ſtehe, eine gründliche Unterſuchung führen ſoll — ein Knabe ſoll mit dem Rohrſtock geprügelt worden ſein, bis er ohnmächtig wurde. Das Kind wurde dann ins Bett geſchafft und mit Kampfer eingerieben. Derſelbe Knabe ſoll bei einer andern Gelegenheit mit dem Ausklopfer derart geſchlagen worden ſein, daß er tagelang auf dem Rücken und auf den Schulterblättern blaue Flecken gehabt haben ſoll. Zwei andere Knaben ſollen mit den Köpfen in der Weiſe zuſammengeſtoßen worden ſein, daß der eine Knabe ſein Kopfleiden, das er heute noch hat er befindet ſich bereits in der Lehre — auf dieſen Vorgang zurückführt. Zwei Geſchwiſter — ein November 1909 513 Knabe und ein Mädchen — ſollen geprügelt worden ein — aus welchem Grunde, das habe ich noch nicht feſtſtellen können — jedenfalls wurden die beiden derart geprügelt, daß die andern Kinder ſich darüber erregt haben; einige Kinder wollen bis zu 35 Schläge gezählt haben. Andere Kinder ſollen mit dem Holzpantoffel, Beſenſtiel und Hobel geſchlagen worden ſein. Ein Mädchen wurde auf die kranken Hände geſchlagen — die Hände ſollen entzündet und an Knochentuberkuloſe oder Skrofuloſe erkrankt geweſen ſein. — Sie dürfen dabei auch das eine nicht vergeſſen: uns werden nur einzelne Fälle durch andere bekannt; wir können Ihnen hier nicht vor⸗ tragen, was Tag um Tag in dieſer Waiſenanſtalt vor ſich gegangen ſein mag. Aber wenn nur einer dieſer Fälle nachgewieſen wird, dann iſt es an⸗ gezeigt, daß man dagegen Front macht. Und nun die amtliche Unterſuchung! Was hat ſie ergeben, und wie iſt ſie geführt worden? Ich gebe ohne weiteres zu, daß die amtliche Unter⸗ ſuchung in dieſer Frage nicht ſo leicht geweſen ſein mag. Aber es hat mich doch befremdet, hören zu müſſen, daß die amtliche Unterſuchung ſich nicht ausgedehnt hat auf einen Teil derjenigen Leute, die nicht Kinder ſind, ſondern deren Kinder in der Waiſenanſtalt ſelbſt ſind, die vielleicht die Veranlaſſung dazu geweſen ſind, daß dieſe Be⸗ ſchwerden über den Kreis der Waiſenkinder hinaus⸗ gedrungen ſind. Der Beſchwerdeführer, der dieſe Sache dem Magiſtrat bzw. dem Dezernenten des Armenweſens, dem Herrn Stadtrat Samter, unterbreitet hat, iſt ebenfalls nicht zu dieſen Unter⸗ ſuchungen mit hinzugezogen worden; man hat ihn überhaupt nicht wieder vorgeladen, er iſt nur geſtern vorgeladen worden, als ihm das Reſultat der Unterſuchungen mitgeteilt worden iſt; man hatte ſonſt überhaupt nicht auf ſeine Feſtſtellungen und ſeine Angaben zurückgegriffen dadurch, daß man ihn perſönlich geladen hätte. Dieſe amtlichen Feſtſtellungen haben nun ergeben, daß nichts paſſiert ſei, was irgendwie zu irgendwelchem Einſchreiten gegenüber dem Waiſenvater Anlaß gegeben hätte. Ich glaube auch, daß dieſe amtlichen Feſtſtellungen — ich nehme an, ſie ſind in voller Objektivität von der⸗ jenigen Behörde geführt worden, die mit der näheren Unterſuchung dieſer Angelegenheit be⸗ traut worden war — zu keinem anderen Reſultat führen konnten, als es Ihnen nachher auch von ſeiten des Magiſtrats vorgetragen werden wird. Das führe ich aber zum großen Teil darauf zurück, daß man ſich in erſter Linie auf die alleinigen Zeugenausſagen der Waiſenkinder berufen wird, und da wird man Ihnen auch nachher wieder ſagen: gerade die Ausſagen der Kinder, die eventuell belaſtender Natur ſein können, müßten dadurch angezweifelt werden, daß man dieſe Kinder als lügneriſch veranlagt, als Taugenichtſe uſw., als geiſtig minderwertig bezeichnen muß. ((Widerſpruch.) — Dann irre ich mich vielleicht. Mir iſt aber bereits geſagt worden, daß man die als Belaſtungszeugen in Frage kommenden Kinder in bezug auf ihre geiſtigen Fähigkeiten anzweifelt. Im übrigen gebe ich gern zu, die Ausſagen der Kinder haben alle eine gewiſſe Unzuverläſſigkeit an ſich; es iſt eine gerichtsnotoriſche Tatſache, daß Kinder nie⸗ mals präziſe und zuverläſſig ausſagen werden, und ich betrachte mit Rückſicht auf dieſe große Unzu⸗