Sitzung vom 24. November 1909 515 Mutter des Betreffenden — an den Oberpfarrer — Machen Sie etwa, Herr Kollege Harniſch, den Riemann gewendet, und der hatte der Frau geraten, daß ſie zum Herrn Bürgermeiſter gehen ſollte. Willy Schott will mit dem Holzpantoffel übers Kreuz geſchlagen worden ſein; darüber hat er auch ſeiner Mutter und ſeinem Vormund Mitteilung gemacht. Das Mädchen, das im Sommer 1908 — ich weiß nicht, ob von der Frau Richter oder von dem Manne — mit dem Rohrſtock über die kranke Hand geſchlagen worden ſein ſoll, hatte ſich auch be⸗ ſchwerdeführend an ſeine Mutter gewendet, und die Mutter hat ſich damals auch an den Anſtalts⸗ arzt gewendet, eventuell auch an den Herrn Bürger⸗ meiſter, was noch feſtzuſtellen iſt. Das ſind Einzelheiten, die ich Ihnen hier vor⸗ getragen habe, die uns — das werden Sie mir zu⸗ geben — nachdem ſie uns bekannt geworden ſind, ohne weiteres verpflichten mußten, die Angelegen⸗ heit hier zur Sprache zu bringen. Ich gebe ohne weiteres zu, daß nach außen hin der Eindruck er⸗ weckt werden kann oder erweckt werden konnte, daß, nachdem ein Teil dieſer Beſchwerden beim Magiſtrat bekannt geworden war und die Unterſuchung ein⸗ geleitet worden war, die Züchtigungen der Kinder in der Waiſenanſtalt aufgehört bzw. nachgelaſſen haben. Es iſt aber auch bekannt geworden, daß die Kinder nachher einzeln verprügelt worden ſein ſollen, ſo daß ſie natürlich nicht mehr ausſagen können, wer geprügelt worden iſt. Es geht noch weiter. Nachdem eine Unterſuchung eingeleitet worden war, ſoll der Hausvater, der Lehrer Richter, gerade ſein be⸗ ſonderes Augenmerk auf diejenigen Kinder gerichtet haben, von denen er annahm, daß ihre Klagen die Veranlaſſung geweſen ſind, daß dieſe Dinge in die Offentlichkeit gekommen ſind bzw. ſich zu einer Beſchwerde beim Bürgermeiſter verdichtet haben. Die Kinder ſind dann nachher weniger körperlich gezüchtigt worden, als daß man ſie in jeder Art und Weiſe moraliſch zu zwicken und quälen verſucht hat, und ein eklatanter Beweis, wie man gerade dieſe Kinder, die Maaßſchen Kinder behandelt hat, ergibt ſich daraus — ich will die Einzelheiten nicht vor⸗ führen, ſondern nur auf den letzten Fall zurück⸗ gehen —, daß man den Kindern verboten hat, ihre jetzt im Krankenhaus liegende Mutter zu beſuchen, (hört, hört! bei den Sozialdemokraten) da dieſen Kindern jeder Ausgang verboten worden ſei. Wenn auch eine derartige Anweiſung vom Bürgermeiſter ergangen ſein ſollte — ich weiß nicht, ob es zutrifft, daß der Hausvater angewieſen worden iſt, den Kindern jede Vergünſtigung zu unterſagen —, ſo konnte ſich doch das Verbot nicht auf den Beſuch der kranken Mutter erſtrecken. Das nehme ich nicht an. Die Frau hat ſich darüber, daß ihr die Kinder vorenthalten worden wären, daß ſie ſie nicht mehr im Krankenhauſe zu ſehen bekommen hätte, be⸗ ſchwert. Eins dieſer Kinder iſt ſogar ſo weit ge⸗ kommen, daß es ſich mit Selbſtmordgedanken trägt. (Lachen und Ruf: Ach, jetzt noch!) — „Ach! jetzt noch?“ ſagen Sie? Haben Sie ſich denn damals über ſolche Dinge gewundert, als hier die Vorfälle der Selbſtmorde der Gymnaſialſchüler zur Sprache kamen? (Sehr gut! bei den Sozialdemokraten.) Glauben Sie, es paſſiert nur jemand, der die höhere h Lehranſtalt beſucht, das Unglück, daß er aus ver⸗ letztem Ehrgefühl zu irgendeinem verzweifelten Entſchluß kommt? (Wiederholte Zurufe von den Liberalen.) Grad des Ehrgefühls von dem größeren oder kleineren Geldbeutel abhängig? Das ſpielt doch wahrhaftig keine Rolle. (Stadtv. Harniſch: Die Selbſtmordvorfälle haben doch damit nichts zu tun!) Zweifellos mußten uns dieſe Dinge ver⸗ anlaſſen, hier zu verſuchen, der Sache einmal auf den Grund zu gehen. Ich will einmal annehmen, dieſe Dinge ſeien übertrieben, ſie könnten ſich nachher bei der Unterſuchung nicht ſo beweiſen laſſen, wie nach dem ganzen Umfange der Anklage die Wahr⸗ ſcheinlichkeit vorliegt, dann iſt aber doch ſchon die Möglichkeit, daß etwas Derartiges paſſieren kann, für uns ein ausſchlaggebender Grund, dieſer Sache näherzutreten. (Oho! und lebhafte Zurufe. — Große Unruhe.) Vorläufig habe ich die Auffaſſung und ſtehe auf dem Standpunkt, daß dieſe Anklagen durchaus nicht übertriebener Art ſind. Weil dieſe Anklagen von verſchiedenen Seiten gekommen ſind, deshalb liegt ein berechtigter Anlaß zu der Annahme vor, daß das Züchtigungsrecht überſchritten worden iſt. Das rechtfertigt ohne weiteres den erſten Teil unſeres Antrages, darauf zu dringen, daß der betreffende Hausvater ſeines Amtes enthoben wird. 2 Nun komme ich zu dem zweiten Teile unſeres Antrages, der darauf hinausgeht, daß das Amt eines Hausvaters an der Anſtalt nicht im Nebenamt verwaltet werden ſoll. Es kann nicht zu gleicher Zeit von einem Gemeindeſchullehrer mit verwaltet werden aus der einfachen Erwägung heraus, weil, ſelbſt wenn der betreffende Hausvater noch eine größere pädagogiſche Veranlaſſung aufweiſen ſollte, als ſie aller Wahrſcheinlichkeit nach der jetzige ſein eigen nennt, dieſes Amt eben durchaus nicht geeignet iſt, im Nebenamte geführt zu werden, namentlich nicht durch einen Lehrer. Wenn man von der Auffaſſung ausgeht, daß die Arbeit eines Lehrers eine ſchwere, aufregende und abſpannende iſt — das werden doch die Herren nicht beſtreiten wollen —, dann wird man ohne weiteres zugeben müſſen, daß ein Lehrer, der fünf oder ſechs Stunden in der Schule unterrichtet hat, nicht mehr die Friſche und Kraft beſitzt, um noch den ganzen Nachmittag und Abend, vielleicht noch einen Teil der Nacht hindurch, über 30 Kinder zu beaufſichtigen. Sie geben ja ſelbſt zu, daß die Tätigkeit eines Ge⸗ meindeſchullehrers eine ungemein abſpannende iſt; Sie beweiſen das dadurch — und wir unterſtützen Sie in dieſen Beſtrebungen —, daß Sie die Arbeit des Schullehrers, namentlich des Volksſchullehrers, nach Möglichkeit einſchränken wollen. Sie wollen die Pflichtſtundenzahl herabſetzen, ſo weit es möglich iſt, Sie wollen die Klaſſenfrequenz herunterſetzen und haben dafür geſorgt, daß den Gemeindeſchul⸗ lehrern für dieſe ſchwere Arbeit eine entſprechende Entſchädigung in Form eines zulänglicheren Ge⸗ halts gewährt wird. Wir haben dagegen durchaus nichts, daß die Lehrer, die da glauben, mit ihrem Gehalte nicht auskommen zu können, ſich noch irgendeine Nebenbeſchäftigung ſuchen. Wenn ſie eine ſolche Nebenbeſchäftigung an irgendeiner Privatſtelle und derart ausüben, daß dadurch ihre amtliche Arbeit nicht leidet, ſo mögen ſie das immer⸗ in tun. Aber in dieſem Falle, wo die betreffende Nebenbeſchäftigung darin beſteht, über 30 Waiſen⸗ kinder zu wachen, ſcheint uns doch die Ausnutzung dieſer einen Manneskraft viel zu weit zu gehen. Das dürfte die Aufſichtsbehörde, dürfte der Magi⸗