Sitzung vom 24. November 1909 den aus dem Jahre 1906, als er noch nicht in der Anſtalt war, ein Atteſt unſeres Stadtarztes vorliegt, in dem er ſagt: es handelt ſich um einen imbezillen Knaben, der an ſtändiger Unruhe leidet und früher an Krämpfen gelitten hat. Wenn man den Jungen geſtern geſehen hat neben ſeinen netten, hübſchen Geſchwiſtern, dann erkennt man ſofort, ohne ihn geſprochen zu haben, daß es ein geiſtig minder⸗ wertiger Junge ſein muß, auf deſſen Ausſage nichts zu geben iſt. Ich habe geſtern den Eindruck gehabt, daß man, wenn man es geſchickt anfängt, dem Jungen jede Antwort in den Mund legen kann; er antwortet, was man haben will. Er iſt eben ein geiſtig ſchwacher Junge. Der ältere Bruder ſagte ſelbſt: er weiß nicht, wos er redet, er gibt immer verkehrte Antworten. Das iſt alſo der Junge, der ausgeſagt hat, er ſei mit der Roſenſchere in das Ohr geſchnitten worden. In Wirklichkeit hat ſich die Sache folgendermaßen zugetragen: Als er bei Tiſch ein bißchen ſchwatzte — das haben die anderen Jungen, auch ſein Bruder, der dabei war, beſtätigt —, ſagte der Hausvater, der gerade die Roſenſchere in der Hand hatte: „Komm mal her, ich will dir die Ohren abſchneiden“ — wie das ſo mancher Vater auch einmal ſagt. Der Junge kam heran, der Hausvater legte ihm die Schere an das Ohr und fragte: „Tut es ſchon weh?“ — „Nein.“ Donn ging der Junge weg. Die Frau ſagte dann noch zu ihrem Manne: „Mach doch keinen Unſinn mit den Jungen, die halten es noch für Ernſt.“ — Die Jungen haben das beſtätigt, die dabei waren. Meine Herren, der Junge behauptete mir gegenüber, daß er mit ſeiner Mutter bei Dr Roſen⸗ thal geweſen ſei und daß er dort gegen die Schnitt⸗ wunde am Ohr eine Salbe bekommen habe. Der Junge leidet an ſkrofulöſen Ausſchlägen, er hat noch heute ein blutendes Ohr. Ich habe das Ohr genau unterſucht, habe aber nicht die geringſte Narbe gefunden. Wenn man in das Ohr hinein⸗ geſchnitten hätte, ſo müßte doch eine Art Narbe zu ſehen ſein. Er hat an dieſer Stelle einen blutigen, ſkrofulöſen Ausſchlag. Wahrſcheinlich hat ihm ſeine Phantaſie die Sache mit der Schnittwunde ſugge⸗ riert. Vielleicht hat ihn auch ſeine Mutter beein⸗ flußt und ihn ſo auf den Gedanken gebracht, dieſe Mordsgeſchichte zu erzählen. Ich habe mich auch an Herrn Dr Roſenthal gewandt und habe die Auskunft erhalten, daß der Junge wegen einer Schnittwunde nicht von ihm behandelt worden iſt. (Hört! hört!) Meine Herren, wenn Sie einen noch ſchlüſſigeren Beweis dafür, daß dieſe Sache offenbar von dem geiſtesſchwachen Jungen, durch Suggeſtion, viel⸗ leicht von ſeiten der Mutter, ausgedacht worden iſt, haben wollen — ich wüßte nicht, wie ich ihn er⸗ bringen ſollte. Dann iſt von zwei Knaben erzählt worden, die mit den Köpfen zuſammengeſtoßen worden ſein ſollen, ſo daß noch jetzt der eine, Willy Schott, daran zu leiden hätte. Dieſen Knaben habe ich nicht vernehmen können, er iſt ſchon entlaſſen. Der Hausvater ſagt über den Vorfall folgendes aus: Eines Tages traf ich Willy Schott mit einem anderen Knaben im Putzraum an der Erde liegend bei einer Prügelei. Die Kämpfer hatten ſich derartig verbiſſen, daß ſie längere Zeit meine Anweſenheit nicht bemerkten. Ich nahm jeden von ihnen mit einer Hand am Kragen und ſchüttelte ſie. Ob ſie mit den 519 Köpfen zuſammengeſtoßen ſind, kann ich beim beſten Willen nicht ſagen. Erinnerlich iſt mir nur, daß Schott krank wurde und zu Bette ging. Dasſelbe iſt ihm auch ein anderes Mal paſſiert: als ihm ein Finger kribbelte, wurde er bewußtlos. Es iſt alſo ein Junge, der ſchwächlich iſt und leicht Ohnmachtsanfälle bekommt. Wie geſagt, vernehmen konnte ich ihn nicht, er iſt nicht mehr in der Anſtalt. Ich habe aber das feſte Zutrauen, daß die Sache ſich ſo zugetragen hat, wie ſie der Hausvater ge⸗ ſchildert hat. Dann, meine Herren, iſt von einem Mädchen, Herta Schulz, erzählt worden, die tuberkulöſe Hände hat und mit einem Stock auf dieſe Hände geſchlagen ſein ſoll. Ich habe mir das Mädchen kommen laſſen, es iſt ein 15 Jahre altes, ſchon ſchulentlaſſenes, ſeh rſtändig ausſchauendes Mäd⸗ chen, das allerdings no.) auf den Händen an der Oberſeite Spuren einer ſkrofulöſen oder tuber⸗ kulöſen Hautentzündung hat. Ich habe gefragt, was für Prügel ſie bekommen hätte, und da er⸗ zählte ſie: „Wir waren vor drei Jahren“ — ſo lange iſt der Vorfall ſchon her — (Zuruf bei den Liberalen: Ach, um Gotteswillen! — Stadtv. Zietſch: Was ſpielt das für eine Rolle!) — „Wir waren vor drei Jahren in der Kirche, und da haben eine Anzahl von Jungen und Mädchen ge⸗ lacht. Als wir nach Hauſe kamen, nahm der Haus⸗ vater die Kinder, die gelacht hatten, vor, die dabei beteiligt waren.“ Das Mädchen behauptet zwar, die Jungen hätten ſie zu Unrecht bezichtigt. Der Hausvater mußte aber annehmen, daß ſie mit dabei ſchuldig war. Er gab ihr nun einige Schläge auf die untere Handſeite, die ich mir aus⸗ drücklich zeigen ließ und die keinerlei Verletzung zeigt, mit einem Rohrſtock zwei oder drei Hiebe, wie in der Schule. Ich habe das Mädchen gefragt: „Hat das weh getan, war es ſchlimm?“ — „Nein, es war nicht ſchlimmer, als wir in der Schule alle Tage bekommen.“ (Heiterkeit.) — „Alle Tage“ iſt vielleicht ein bißchen zu weit ge⸗ gangen. Jedenfalls war es nicht ſo, daß man ſagen könnte, daß eine abſichtliche oder fahrläſſige Schädi⸗ gung ſtattgefunden hätte. Im übrigen war das Mädchen ſehr aufgeweckt und vergnügt. Ich glaube nicht, daß ſie irgendwelche Folgen davon ge⸗ habt hat. Es ſind dann noch einige Namen genannt worden. Ich brauche wohl auf die Fälle alle nicht einzugehen. Ich habe die Kinder geſtern ver⸗ nommen — es waren immer dieſelben Wider⸗ legungen. Dann iſt noch vorgebracht worden, daß die Maaßſchen Kinder ſchikaniert worden ſeien, daß ſie nicht ihre Mutter im Krankenhauſe hätten beſuchen dürfen. Das erklärt ſich ganz einfach. Als Willy Maaß ſeinerzeit die wohlverdienten Prügel be⸗ kommen hatte, kam einmal eine Dame, die nicht bekannt war, nach der Anſtalt und ſagte, eine Tante der Geſchwiſter Maaß, oder wer es war, käme zu Beſuch, die Mutter könnte nicht fort, Willy Maaß möchte doch zum Bahnhof gehen, um ſie zu empfangen. Das Ganze war erlogen. Die Frau, eine Schwägerin oder wer es war, hat den Jungen mitgenommen und ihn zu Dr Roſenthal gebracht, um da konſtatieren zu laſſen, ob er Prügel bekommen hätte. Man kann es dem Hausvater, nachdem das einmal paſſiert iſt, nicht verdenken,