Sitzung vom 24. November 1909 Meine Herren, ich verſage es mir deswegen, auf Einzelheiten einzugehen, obgleich man beinahe dazu verſucht ſein möchte. Bei der in einzelnen Punkten faſt komiſch wirkenden Gegenüberſtellung der Soll⸗Angaben des Herrn Zietſch und der Iſt⸗Angaben des Herrn Stadtrats Samter könnte man eigentlich ſchon glauben, es wäre daran genug, und die Frage wäre bereits reif, um einen Spruch zu fällen. Aber wir verſagen uns dies. Ich möchte Sie und die Herren, die in den Aus⸗ ſchuß gewählt werden, nur auf zwei Punkte auf⸗ merkſam machen und mich mit zwei Punkten hier beſchäftigen, die beide außerhalb der Kontro⸗ verſe ſtehen und beide eigentlich ſchon als direkt feſtſtehend betrachtet werden dürfen. Der eine Punkt, der wohl als feſtſtehend be⸗ trachtet werden darf — und das war übrigens gar nicht unbekannt, es war dem Kuratorium dieſer Anſtalt ganz bekannt — iſt, daß in der dortigen Anſtalt körperliche Züchtigungen ver⸗ abreicht werden. Ich mache darauf aufmerkſam, daß, wenn dies ſeitens des Anſtaltsleiters ge⸗ ſchehen iſt, er ſich damit vollkommen auf den Grund ſeiner Beſtallung geſtellt hat, und daß er damit — dieſe Züchtigungen ſelbſtverſtändlich in der richtigen Weiſe angewendet — nur im Rahmen ſeiner Befugniſſe geblieben iſt. Wenn der Herr Kollege Zietſch vorhin ſagte, ſchon die Möglichkeit, daß ſo etwas vorgekommen ſei, ver⸗ diente an den Pranger geſtellt zu werden —, wenn alſo jemand glauben ſollte, daß es über⸗ haupt ohne jede körperliche Züchtigung auf dieſer Anſtalt zugehen könnte, ſo hätte er einen großen Teil der Schuld für dieſen Umſtand nicht dem Anſtaltsleiter, ſondern dem Kuratorium zuzu⸗ ſchreiben, dem Kuratorium, deſſen Satzungen Ihnen ja ſchon ſeit Jahren bekannt ſind. Ich möchte diejenigen Herren aber, die ſo denken, darauf hinweiſen, welche ungeheuren Schwierigkeiten und verantwortungsvollen Aufgaben ein Mann zu erfüllen hat, dem 40 und mehr Kinder des ver⸗ ſchiedenſten Lebensalters anvertraut ſind, (ſehr richtig!) 40 und mehr Kinder, die — das iſt auch von Ihnen zugegeben worden — zum Teil unerzogen und verwahrloſt in ſeine Hände gegeben ſind, damit er ſie zu brauchbaren und tüchtigen Menſchen erziehen ſoll. (Stadtv. Zietſch: Das kann er ja nebenbei machen!) Wenn Sie glauben, daß dies ohne eine gewiſſe ſtraffe Diſziplin möglich iſt, dann irren Sie ſich. Ich glaube, in dieſem Punkte werden wir wohl alle einer Meinung ſein, und am wenigſten dem zu widerſprechen Veranlaſſung hätten ei⸗ gentlich die Herren von links, die doch ſo viel auf Diſziplin halten, deren Freunde durch die ſtraffe und erbarmungsloſe Art ſchon die Welt in Erſtaunen geſetzt haben, durch die ſie unbot⸗ mäßige Elemente aus ihrer Mitte zu zwingen ſuchen. (Große Unruhe und lebhafte Zurufe.) Dann aber, meine Herren, möchte ich mich mit einem zweiten Punkt beſchäftigen, und der darf auch als feſtſtehend betrachtet werden; das iſt der Punkt, mit dem ſich Herr Kollege Zietſch zu Anfang ftigt hat: die Form und die Art und Weiſe, wie dieſer Antrag geſtellt iſt, die Faſſung desſelben. Herr Kollege Zietſch hat ſich darüber beſchwert, daß die Zeitungen daraus 521 ſalle möglichen Dinge herausgeleſen haben, die darin nicht liegen ſollen. Nun, Herr Kollege Zietſch, als ich dieſen Antrag geleſen habe, iſt es mir ebenſo ergangen — da lag die Zeitungs⸗ notiz noch nicht vor —, und wie mir, iſt es auch anderen Kollegen ergangen; das werden ſie mir beſtätigen. Ich lege übrigens auf den Zuſatz der „Mädchenklaſſe“ gar keinen Wert, ſondern ich lege nur den Wert auf die Worte: „ſchleunigſt ſeines Amtes als Hausvater enthoben wird“. Aus dieſen Worten mußte man ſchließen, daß dieſer Mann, den Sie mit Namen nennen — eine ganz ungewöhnliche Art des Vorganges — ſich irgend⸗ ein ſchweres Delikt habe zuſchulden kommen laſſen, irgendein Delikt, deſſen er nicht bloß an⸗ geklagt, ſondern bereits in irgendeiner Weiſe überführt wäre, ſei es durch den Spruch des Strafrichters, oder auf irgendeine andere Weiſe, ſo daß uns nichts weiter übrig bliebe, als die Konſequenzen aus einem abſolut einwandfrei feſt⸗ geſtellten Vorgang zu ziehen. So iſt es mir ge⸗ gangen, das habe ich herausgeleſen. Und nun, meine Herren, was haben Sie eigentlich damit getan, indem Sie dieſe Form des Antrages wählten? Damit haben Sie nichts anderes getan, als Sie haben ſich zum Richter hingeſetzt, nicht bloß zum Ankläger, und das in einer Sache, in der Sie den Angeklagten über⸗ haupt noch nicht gehört haben! Ich frage Sie: iſt das recht, iſt das demokratiſch? Das formelle Recht, ſo vorzugehen, haben Sie ohne weiteres; denn wenn das nicht wäre, könnte dieſer Antrag überhaupt nicht auf unſere Tagesordnung geſetzt werden. Aber wo bleibt das innere, das ſittliche Recht, ſo vorzugehen? Haben Sie das Recht, einen ehrenwerten, unbeſcholtenen Mann derart öffentlich an den Pranger zu ſtellen? Es iſt hier von Selbſt⸗ mordgedanken geredet worden; nun, meine Herren, es hätte vielleicht jemand anders durch dieſe Art des Vorgehens auf Selbſtmordgedanken kommen können. (Lachen und Zurufe bei den Sozialdemokraten.) — Sie bezeichnen das als lächerlich; ich bezeichne das als ſehr traurig, und ich hoffe, daß die ganze Verſammlung in dieſer Beurteilung dieſes Vor⸗ gehens einig ſein wird, (ſehr richtig!) dieſes Vorgehens, welches ſo kraß kontraſtiert gegen dasjenige Material, das Sie hier vorge⸗ bracht haben. Haben Sie doch einmal ein bißchen Achtung gegen allgemeine Menſchenrechte auch derjenigen Leute, die nicht Ihrer Partei angehören! (Rufe bei den Sozialdemokraten: Sie auch!) Jeder, der in einer öffentlichen Stellung iſt, der eine öffentliche Gewalt ausübt, wie Sie es tun, hat die Verpflichtung, vor der Ausübung dieſer Gewalt ſich beſonders zu prüfen, ob er es mit Recht oder Unrecht tut. Prüft er das nicht, ſo diskreditiert er das Geſetz und die Grundlagen, auf Grund deren er ſeine Gewalt ausübt; und das wollen wir nicht, und deshalb hoffe ich, daß dieſe Art von Anträgen, die bisher in dieſem Saale ganz unüblich waren, ſich auch in Zukunft nicht einbürgern werden. (Lebhaftes Bravo.) Sie haben dieſe Sorgfalt in einer Weiſe hintan⸗ geſetzt, daß man ſagen muß: es kommt Ihnen nicht darauf an, eine Klarſtellung eines Miß⸗ ſtandes herbeizuführen, ſondern es kam Ihnen