Sitzung vom 24. November 1909 wir kennen uns ſeit 11 Jahren —, daß mit aller Energie von meiner Seite und allen Mitgliedern des Magiſtrats dafür geſorgt worden wäre, daß das Unrecht zutage gefördert und offen und ehrlich geſagt worden wäre, wie die Dinge liegen. Aber, meine Herren, hier fühle ich die tiefſte Ver⸗ anlaſſung, wo ein Ehrenmann in ſeinem Amte zu unrecht angegriffen wird, ihn zu verteidigen und vor der Offentlichkeit zu erklären: das iſt unwahr, was hier gegen ihn vorgebracht wird. (Sehr richtig!) Ich muß dabei auf die Perſon des Herrn Richter näher eingehen. Sein Leumund iſt der allerbeſte. Von allen Leuten, die mit ihm in amtliche oder private Berührung gekommen ſind, ſowohl als Lehrer wie als Hausvater, wird dies beſtätigt. Es ſind die verſchiedenſten Herren, die öfter Gelegenheit haben, im Waiſenhauſe aus⸗ und einzugehen und die über Leute zu urteilen gewöhnt ſind, gehört worden, und ſie finden ſich durchaus in Übereinſtimmung. Der Oberpfarrer Riemann, Kollege Matting, Bauinſpektor Walter, Kommer⸗ zienrat Beringer, Dr Erdmann, der Hausarzt, ſie alle haben übereinſtimmend bekundet, daß der Mann ein ausgezeichneter Hausvater iſt, ein Mann, der mit dem wärmſten Herzen ſeinen Zöglingen gegen⸗ über auftritt und ſich immer bewährt, ein Mann, der die Erziehung ſo leitet, daß die Kinder einen friſchen, fröhlichen Eindruck machen, wie Kinder in einer guten Familie, in einer Familie, in der die Eltern die Kinder verſtändig und gut erziehen. Niemals hat ein Kind ein gedrücktes Betragen, einen gedrückten Eindruck gemacht, man hat ſich immer über die Art gefreut, wie die Kinder in Freiheit leben und ſpielen, wie der Hausvater mit den Kindern zuſammen lebt: wenn er von ſeiner Schule nach Hauſe gekommen iſt, iſt er immer um die Kinder bemüht, beſchäftigt ſich mit ihnen, ſpielt mit ihnen, ſchneeballiert mit ihnen, ſpielt im Sommer im Garten mit ihnen, macht Schnitz⸗ arbeiten mit den Kindern, — kurz, er gibt ſich in geradezu hervorragender Weiſe der Erziehung der ihm anvertrauten jungen Seelen hin, und es unter⸗ ſtützt ihn in demſelben Maße ſeine Frau in ganz hervorragender Art, wie Herr Bürgermeiſter Mat⸗ ting das ſchon geſchildert hat. Intereſſant war mir ein Brief, den ich heute aus Erfurt von einer Dame bekam. Sie ſchreibt mir folgendes: Euer Hochwohlgeboren! Als eifrige Leſerin der Berliner und Charlottenburger Zeitungen erfuhr ich auch den Vorfall im Waiſenhauſe Weſtend. Da ich jahrelang die Gelegenheit hatte, die Pflege und das Gedeihen der Kinder als direkter Nachbar zu beobachten, muß ich mich nur über die große Ungerechtigkeit wundern, und dieſes iſt die Veranlaſſung meines Schreibens. Ich bin weder verwandt noch bekannt mit dem Herrn Richter, ich glaube ſogar kaum, daß Herr Richter mich kennt, ich wollte nur zu ſeiner Entlaſtung beitragen. Ich habe manchmal geſagt: die Kinder haben es doch beſſer als manche Kinder im Familien⸗ leben. Die kleinen Buben und Mädchen hatten immer nur goldene Freiheit gehabt, wie es manche Eltern nicht erlauben würden, und Herr Richter war doch nur der Waiſen⸗ vater. Hochachtungsvoll. 529 Dann folgt der Name, Erfurt und auch die Straße, wo die Dame wohnt. Sie bittet dann höflichſt, ihren Namen in der Offentlichkeit nicht zu nennen. Dieſer Bitte muß ich natürlich nachkommen. — Meine Herren, das iſt ein Beiſpiel dafür, wie Leute, die die Dinge kennen und objektiv beurteilen, auf Grund ihrer täglichen Anſchauung über das Weſen des Hausvaters Richter urteilen. Der Retktor des Herrn Richter iſt aus Anlaß der Zeitungsnachrichten, die er geleſen hatte, zu mir gekommen, um mir zu ſagen: Herr Ober⸗ bürgermeiſter, der Herr Richter iſt ein ſo aus⸗ gezeichneter Lehrer, daß man ſich glücklich ſchätzen muß, den Mann an ſeiner Schule zu haben. Er verſteht mit den Kindern brillant umzugehen, er iſt ein freundlicher, liebenswürdiger Menſch. Ich möchte Ihnen aus meiner langjährigen Kenntnis und genauen Beobachtung dieſes Mannes mit⸗ teilen, daß ich der Anſicht bin: ein Waiſenhaus kann in keinen beſſeren Händen liegen als in denen des Herrn Richter. Meine Herren, demgegenüber nun dieſe Be⸗ ſchuldigungen! Und woher kommen die Beſchuldi⸗ gungen? Das iſt heute noch gar nicht geklärt worden. Der Herr Armenpfleger Wollmann, der übrigens nicht der zuſtändige Armenpfleger des Bezirks iſt, hat dem Herrn Stadtrat Samter mit⸗ geteilt, daß ſein 20jähriger Sohn, von dem ich gehört habe, daß er in Hamburg lebt, ihm erzählt hat, daß er von einer Frau gehört hat, (Heiterkeit) daß dieſe Frau von ihren Kindern gehört hat, (erneute Heiterkeit) daß allerlei Sachen vorgekommen ſeien, wie ſie der Herr Zietſch hier vorgetragen hat. Alſo, meine Herren, eine richtige Klatſchgeſchichte, wie man ſie ſich ſchöner gar nicht denken kann. Und wer iſt dieſe Frau, mit der, wie ich ebenfalls vernommen habe, der 20 jährige Wollmann bei Gelegenheit des Kaufes von Milch an einem Milchhäuschen auf dem Friedrich⸗Karl⸗Platz geplaudert hat? — Das iſt die Frau Maaß, die in dem Milchhäuschen Milch verkauft, die Mutter der Kinder — eine ſchwache Frau, die unfähig iſt, ihre Kinder ſelbſt zu erziehen. Hier iſt ein Vorgang pſychologiſch ſehr intereſſant für die Beurteilung des Herrn Richter und ſeiner Frau. Eines Tages bekommen ſie einen Brief von der Frau Maaß, in dem ſie ungeheuer be⸗ weglich klagt, daß ſie ihre Kinder nicht zu erziehen vermöge, daß die Kinder hungern müßten, ein Brief, der die Frau Richter zu Tränen rührt. Sie läßt ſich die Frau Maaß kommen und veranlaßt, daß die vier Kinder der Frau Maaß täglich in ihr Haus kommen, 14 Tage lang, und die Richterſchen Eheleute reichen dieſen Kindern während dieſer Zeit völlige Nahrung auf ihre eigene Rechnung und ihre Koſten, (hört! hört!) veranlaſſen, daß die Kinder nachher in das Waiſen⸗ haus aufgenommen wurden. Dieſe Herzensgüte, die die Richterſchen Eheleute der Maaßſchen Familie gegenüber betätigt haben, iſt ihnen ſchlecht gelohnt. Die Frau Maaß iſt eine ſchwache Frau. Sie hat z. B. ſelbſt erklärt, als Herr Richter bei einer Gelegenheit ihr geſagt hat: Frau Maaß, nun müſſen Sie doch einſehen, daß der Junge, den ich noch nicht gezüchtigt habe, hier eine Ohr⸗ feige verdient. „Herr Richter, ich kann meine Kinder nicht ſchlagen, ich kann ihnen keine Ohr⸗ feige geben, dann ſchlägt mir das Herz.“ Eine