534 Fell vorauszuſetzen, daß ſie erſt blaue Striemen haben müſſen, ehe ſie einen Schmerz empfinden; da kommt es doch zuerſt auf die Konſtitution des Kindes an. Der Herr Oberbürgermeiſter muß nicht generaliſieren, ſondern individualiſiern. Herr Kollege Frentzel hat geſagt, ich habe die Kinder als lügneriſch hingeſtellt. Nein, ich habe mit der Objektivität, mit der ich die ganze Sache behandelt habe, zugegeben, daß die Kinder ſehr unzuverläſſig in ihren Ausſagen ſein können; ich habe nicht geſagt: die Kinder ſind lügneriſch, ſondern: es wird verſucht, gerade die Belaſtungs⸗ zeugen unter den Kindern als lügneriſch hinzu⸗ ſtellen. Herr Kollege Frentzel wollte damit eine beſondere Blüte in ſeine Rede hineinflechten, indem er ſagte: den Soll⸗Angaben des Herrn Zietſch ſtehen die Iſt⸗Ausgaben des Herrn Stadt⸗ rats Samter gegenüber. (Zurufe.) — Meine Soll⸗ Angaben bauten ſich auf An⸗ gaben, die ich durch Erwachſene bekommen habe, und die I ſt⸗ Angaben des Herrn Stadtrats Samter beruhten nur auf den Angaben, die die Kinder ihm gemacht haben. Herr Kollege Frentzel konnte es ſich auch nicht verſagen, wahr⸗ ſcheinlich weil für dieſen Fall ſein Nachbar in der heutigen Verſammlung fehlt, bei dieſer Gelegenheit das politiſche Thema zu ſtreifen. (Heiterkeit.) Er ſagt, wir hätten am allerwenigſten Urſache, uns über dieſe Diſziplin aufzuhalten, denn wir ſeien doch gerade diejenigen, die in unſerer Partei diejenigen, die nicht ſtraffe Diſziplin halten, hinaus⸗ komplimentieren, und er berief ſich auf den Fall Bernſtein. Gewiß, in unſerer Partei iſt noch das Recht der freieſten Kritik vorhanden. (Große Heiterkeit.) — Ja, haben Sie denn in Ihrer Parteipreſſe jemals eine Kritik gefunden darüber, daß Theodor Barth von Ihnen hinausgeworfen iſt? (Zurufe: Iſt ja nicht herausgeworfen!) — Nein, er iſt gegangen worden. Wenn wir die Flucht in die Offentlichkeit angetreten haben bzw. der Beſchwerdeführer es getan hat, ſo hängt das nicht mit der Entlaſſung des einen Maaß aus der Anſtalt zuſammen. Und nun noch ein Wort! Sie wollen in den Ausſchuß hineingehen, wollen eine Ausſchuß⸗ beratung haben und erklären doch ſchon heute, für Sie ſei die Sache vollkommen geklärt. Wir wiſſen ja, daß Herr Kollege Frentzel, der ſich, ehe er in die Sitzung kam, ein Urteil gebildet hatte, nicht nur in dieſem Fall die Akten des Magiſtrats kennt, ehe die Stadtverordnetenverſammlung dar⸗ über etwas erfahren hat. Es iſt bekannt, daß Herr Kollege Frentzel hier als Nebenregierung eine Stellung einnimmt, deren Bedeutung über dieſen Saal hinausgeht. Wir wiſſen ja auch, daß Herr Kollege Frentzel das Vertrauen beſitzt, zu andern Konferenzen eingeladen zu werden, oder an Konferenzen, die ſonſt nicht den Stadtver⸗ ordneten zugänglich ſind, wie bei dem Bau der Untergrundbahn, teilzunehmen. (Glocke des Vorſtehers.) Vorſteher⸗Stellv. Dr. Hubatſch: Ich bitte, Herr Stadtv. Zietſch, bei der Sache zu bleiben. Antragſteller Stadtv. Zietſch (fortfahrend): Ich komme nur darauf, weil Herr Kollege Frentzel Sitzung vom 24. November 1909 geſagt hat: er kannte die Akten ſchon vorher. — Sie wollen in den Ausſchuß hineingehen, um Ihrer Meinung, daß die Sache ſchon abgeſchloſſen iſt, noch dahingehend Ausdruck zu geben, daß es eine Glorifikation des Hausvaters werden ſoll. Wir ſträuben uns dagegen nicht. Gehen Sie aus dieſen oder andern Gründen in den Ausſchuß hinein! Sie ſagen, die Sache ſei abgeſchloſſen, weil das Aktenmaterial vorliege. Auf welchen Tatſachen aber baut ſich das Aktenmaterial auf? Es wurde ſogar ein Brief aus Erfurt verleſen; woher erfuhr dieſe Dame in Erfurt, daß dieſe Geſchichte hier paſſiert iſt? Ich weiß nicht, ob man da berechtigten Anlaß hat, anzunehmen, daß das alles — ich will mal ſagen, unbeeinflußt von irgendwelcher Seite geſchehen iſt. (Zurufe.) Ich möchte noch eins bemerken. Die „glanz⸗ volle Rechtfertigung“ des Hausvaters Richter durch den Oberbürgermeiſter verſtehe ich ſehr gut, und ich halte es auch für vollkommen recht, wenn der Herr Oberbürgermeiſter, der von der Schuld⸗ loſigkeit des Beamten überzeugt zu ſein ſcheint, für den angeblich zu unrecht Beſchuldigten eintritt und ihn in Schutz nehmen will. Aber ich meine, der Herr Oberbürgermeiſter, der ſich hier ſo ins Zeug gelegt hat für die Unantaſtbarkeit der Ehre anderer Leute und der von uns verlangt hat, daß, wenn die Unrichtigkeit der vorliegenden Be⸗ ſchuldigungen nachgewieſen werden ſollte, wir die Pflicht hätten, dem Manne wieder Gerechtigkeit widerfahren zu laſſen, — derſelbe Oberbürger⸗ meiſter hat ja auch in andern Fällen nicht für ſeine Pflicht gehalten, Leute zur rektifizieren, die von ihm ſelbſt an dieſer Stelle hier zu Unrecht an⸗ gegriffen worden ſind. Ich erinnere nur an meinen Freund Gebert, der vor drei Jahren hier von dem Herrn Oberbürgermeiſter angegriffen worden und heute noch nicht von dem Herrn Oberbürger⸗ meiſter rektifiziert worden iſt. (Glocke des Vorſtehers.) Vorſteher⸗Stellv. Dr. Hubatſch (unterbrechend): Ich bitte aber doch, bei der Sache zu bleiben. Dies hat doch mit der Sache nichts zu tun. Antragſteller Stadtv. Zietſch (fortfahrend): Wir gehen ſelbſtverſtändlich mit Ihnen in eine Ausſchußberatung hinein. Aus welchen Gründen Sie hineingehen, ſoll uns egal ſein; wir wollen hineingehen, um die Wahrheit mit Ihnen zu erforſchen. (Zurufe bei den Liberalen: Sie haben zu beweiſen! — Glocke des Vorſtehers.) Vorſteher⸗Stellv. Dr. Hubatſch: Ich bitte, den Redner nicht zu unterbrechen. Antragſteller Stadtv. Zietſch (fortfahrend): Wir werden ja die Zeugen auch angeben. Über⸗ zeugen Sie uns von dem Gegenteil unſerer An⸗ gaben. Der Herr Oberbürgermeiſter hat auch geſagt: Wenn wir uns haben überzeugen laſſen, daß wir im Unrecht ſind, dann hätten wir die Pflicht, begangenes Unrecht gut zu machen. Wir werden nach den Ausſchußberatungen diejenigen Erklärungen abgeben, die wir für notwendig halten. Ob Sie das aber auch tun werden darin ſetze ich nach Ihrer heutigen Stellungnahme, die ſehr parteüſch iſt, doch gelinde Zweifel.