554 haupt gibt. ja ſo viele Märchen im Umlauf, und es werden da ſo viele Behauptungen aufgeſtellt, die bei ſach⸗ verſtändiger Prüfung ſich als vollkommen nichtig erweiſen, daß es ſich erübrigt, auf alle Details ein⸗ zu gehen. Nur den einen Punkt möchte ich aus Pettenkofers Arbeiten hervorheben — und ich glaube, die Autorität von Pettenkofer wird wohl keiner von Ihnen, der ſich mit hygieniſchen Fragen beſchäftigt hat, anzweifeln —, daß auf einem Kirch⸗ hof, auf dem 550 Leichen beſtattet waren, und der einen Raum von ungefähr ¼ ha, alſo ca. 3300 qm einnahm, die geſamte Gasemanation, welche in 10 Jahren heraustrat — alſo dasjenige, was immer und an erſter Stelle als die Schädigung hervorgehoben wird, welche durch Kirchhöfe ein⸗ tritt —, nicht größer war als die Gasentwicklung einer einzigen Senkgrube in einem größeren Mietshauſe in einem Jahre. Die jährliche Gasemanation aus der Senkgrube war etwa 6285 chm und die von dem Kirchhofe 6417 obm ſchädlicher Gaſe in der Kirchhofsluft. Die Geſamt⸗ gasmenge war % o00. Das iſt eine Verunreini⸗ gung, die ſich kaum noch chemiſch feſtſtellen läßt, ge⸗ ſchweige denn, daß man hygieniſche Nachteile daraus folgern kann. Das ſind doch wohl Momente, die nicht ganz außer Betracht gelaſſen werden ſollten. Nun iſt geſagt worden, wir hätten für unſere Kirchhöfe nicht Raum genug, ſie kämen zu weit hinaus. Auch das iſt eine Behauptung, die ohne Unterlage iſt. (Widerſpruch.) Wir können auf 1 ha, wenn man ſelbſt ſehr opulent mit der Verteilung des Raumes auf Kirchhöfen vorgeht, alſo für eine Leiche 6 qm rechnet — ich möchte darauf aufmerkſam machen, daß in Paris auf dem allgemeinen Begräbnisplatz nur 2 qm gegeben werden und in anderen Städten 4 qm inkluſive der Seitenwege der Gräber ſchon als reichlich gelten — wir können alſo auf 1 ha 1660 Leichen unterbringen. Dabei ſind ſchon die Wege zwiſchen den Gräbern ſowie die Hauptwege mit in Betracht gezogen. Wir haben nun im vorigen Jahre in Charlottenburg nach dem Jahres⸗ bericht 3218 Sterbefälle von Erwachſenen und Kindern gehabt; um dieſe Leichen aufzunehmen, würden alſo 2 ha genügen. Wenn man nun weiter den Turnus für die Gräber in Betracht zieht, ſo ſchwankt der nach der jetzt üblichen Anſchauung zwiſchen 9 Jahren das iſt der geringſte Turnus, der heute bei Gräbern gilt — und 60 Jahren, der noch in Berlin bei einigen Gemeinde⸗ friedhöfen üblich iſt. Immerhin alſo würden wir bei einem Turnus von 30 Jahren, alſo einem Menſchenalter, bei dem jetzigen Einwohnerſtande und der jetzigen Mortalität mit einem Kirchhofe von 60 ha auskommen. Daß die Beſchaffung eines ſolchen Flächenraumes, den man ebenſogut ver⸗ doppeln und verdreifachen kann, in der Nähe von Berlin nicht zu den Unmöglichkeiten gehört, werden Sie mir zugeben. Denn wir haben ja für unſere Stadt Park⸗ und Erholungsſtätten und Rieſelfelder von vielfacher Größe erworben. Ebenſo werden Sie mir zugeſtehen, daß bei einigem Verſtändnis und etwas reichlichen Mitteln auch die Ausſtattung eines ſolchen Kirchhofes — ich erinnere an den Ohlsdorfer Kirchhof bei Hamburg — in einer Weiſe erfolgen tann, die allen Anforderungen von Geiſt und Gemüt durchaus entſpricht. Gerade über die Kirchhofsfrage ſind Sitzung vom 8. Dezember 1909 Ich möchte dann aber auch noch auf die jetzigen Verhältniſſe exemplifizieren. Wir haben tat⸗ ſächlich in einer ganzen Reihe von Staaten — gleich⸗ viel, ob Preußen dabei iſt oder nicht, mich geniert's nicht und wahrſcheinlich eine große Zahl von andern auch nicht — Krematorien. Nun ſehen Sie ſich mal den Betrieb dieſer Krematorien an! Von Einheimiſchen läßt ſich ſelten jemand verbrennen; in Gotha, der älteſten Anlage, ſind, glaube ich, 3 % Einheimiſche; es ſind meiſtens alſo hoch poetiſch, hoch lyriſch angelegte Gemüter, die das Verbrennen als einen beſonderen Vorzug be⸗ trachten. (Lachen.) Es iſt, ich möchte ſagen, eine Art von ariſtokra⸗ tiſchem Gefühl; die betreffenden Perſönlichkeiten möchten eben noch etwas Ausſchließliches für ſich haben, und vielleicht erhoffen ſie ſpäter auch noch im Himmel einen beſonderen Platz. (Lachen und Unruhe.) Für ein wirkliches Bedürfnis des Volkes, der großen Geſamtheit iſt bisher noch nicht der Beweis erbracht, und genau ſo wie in Deutſchland verhält es ſich in anderen Ländern, wo die Leichenver⸗ brennung ſtatthaft iſt, aber faſt noch weniger benutzt wird als bei uns. Das ſind nur einige Momente, da ich Ihnen hier keine Vorleſung halten möchte. Ich wollte nur die praktiſche Seite der Frage vom finanziellen und vom Standpuntt der Volkshygiene urgieren. Wenn wir aber ein Krematorium bauen, weil die Majo⸗ rität der Stadtverordnetenverſammlung überzeugt iſt, daß die Leichenverbrennung hygieniſch und geſundheitlich notwendig und vorteilhaft iſt, dann muß dieſes Krematorium auch ſo gebaut werden, daß ſein Gebrauch jedem zuſteht und nicht ein Luxus für einige wenige Begüterte bleibt. Falls das nicht durchzuführen iſt, dann widerſpricht es meiner Anſchauung durchaus nicht, wenn die Stadt einer für Leichenverbrennung gebildeten Ver⸗ einigung von Privatleuten einen Kaum auf ihrem Gottesacker gewährt, der zum Bau des Krema⸗ toriums genügt; aber daß die Gemeinde auf eigene Koſten und mit den Mitteln der Steuerzahler ſolchen Verſuch machen ſoll, dazu halte ich die Zeit für noch nicht gekommen. (Die Beratung wird geſchloſſen.) Antragſteller Stadtv. Meyer (Schlußwort): Obwohl der Herr Vorredner durch ſeine, wie ich gern zugebe, außerordentlich ſachkundigen Aus⸗ führungen vielleicht dieſen oder jenen überzeugt haben wird, daß es ein wahres Vergnügen ſein muß, im Sande der Mark begraben zu werden, ſo ändert alles, was er vorgebracht hat, doch nichts an der Tatſache, daß die Zahl der Anhänger der Feuerbeſtattung im Steigen begriffen iſt. konnte nach dem vorjährigen Ergebnis der Ver⸗ handlung nicht erwarten, daß heute ein Wider⸗ ſpruch erhoben werden würde, (Sehr richtig!) und habe deshalb keine Statiſtik bei der Hand; aber es iſt mir bekannt, daß von Jahr zu Jahr eine Zunahme der Feuerbeſtattungen eintritt und auch die Zahl der Einheimiſchen in Gotha bei⸗ ſpielsweiſe, wo ich die Verhältniſſe zufällig näher kenne, von Jahr zu Jahr ſich vermehrt hat. Wenn wir aber davon ausgehen, daß die Anhänger der Feuerbeſtattung zunehmen, dann iſt wohl ein Ich 740