584 Anſicht iſt, daß in dieſem Falle ſeitens des Hausvaters Richter das Züchtigungsrecht überſchritten worden iſt. (Stadtv. Zietſch: Sehr wohl!) Nun unterhielt ſich der Ausſchuß auch über die Beurteilung der blauen Striemen. Man kann über die Beurteilung eines ſolchen objektiven Befundes ganz verſchiedener Anſicht ſein, und man kann, ſelbſt wenn man die Unterſuchung, die Herr Dr Roſen⸗ thal ausgeführt hat, noch ſo ſtreng und ſo ungünſtig für Herrn Richter anſieht, wie man will, meiner Überzeugung nach lediglich die Meinung aus⸗ ſprechen, daß er ſich vielleicht etwas der Grenze des Züchtigungsrechts genähert, ſie aber niemals über⸗ ſchritten hat. Es iſt ferner darauf hingewieſen worden, und ich möchte auch jetzt darauf hinweiſen, daß, ganz juridiſch und rechtlich geſprochen, auch in dieſem Falle von einer Überſchreitung eines Züchtigungsrechts von ſeiten des Herrn Richter keine Rede ſein kann; denn es liegt ein Erkenntnis des Oberverwaltungsgerichts vor, wonach Striemen und blutunterlaufene Stellen nicht als eine Über⸗ ſchreitung des Züchtigungsrechts anzuſehen ſind, da jede ernſt gemeinte Züchtigung derartige Er⸗ ſcheinungen zurückläßt. (Sehr richtig!) Meine Herren, ich erinnere Sie daran, daß es ſich bei allen Fällen nur darum handelte, feſtzuſtellen: liegt der Fall ſo, daß auf ſchleunige Amtsentſetzung des Hausvaters erkannt werden müßte. (Sehr richtig!) Wenn man dieſe Frage ſtellt und das Ergebnis der Unterſuchung in dieſem Falle gegenüberhält, ſo mußte man zu einer Verneinung und zu einer Ablehnung des Antrages der Antragſteller auch in dieſem Falle kommen. Hier hat der Ausſchuß die Vernehmung der Frau Maaß abgelehnt einmal aus dem Grunde, den ich vorhin ſchon erwähnte; ſodann aber mußte man ſich klar ſein, daß die Frau Maaß dieſen Vor⸗ fall natürlich nur vom Hörenſagen hat erfahren können. Wenn man ſich klar macht, daß ſelbſt Hans Maaß, der, wie es ſcheint, der spiritus rector der ganzen Sache geweſen iſt, dieſen Fall auch nur vom Hörenſagen kennt, ſo war es vollkommen ver⸗ ſtändlich, daß die Mehrheit des Ausſchuſſes auch in dieſem Falle auf die beantragte Zeugenver⸗ nehmung der Frau Maaß kein Gewicht legte. Ich möchte dann anhangweiſe noch darauf hin⸗ weiſen, daß auch nach der Ausſage des einzigen Zeugen, der bei dieſem Vorfall zugegen geweſen iſt, des Willy Gondeck, von einer Mißhandlung des Willy Maaß keine Rede ſein kann. Von den behaupteten Fällen des Schneidens und Zwickens ins Ohr mit einer Roſen⸗ oder Draht⸗ ſchere, die ja nach außen hin am gravierendſten ausſehen, ſcheiden Fall III, Fall IV und Fall vI eo ipso aus, und Fall V hat ſich als vollkommen harmlos aufgeklärt. Bei Fall III lauten die Angaben der Antrag⸗ ſteller: Walter Maaß — 11 Jahre alt — wurde vom Waiſenvater Ende Juni 1909 mit einer Roſenſchere ins Ohr gezwickt. Das Ergebnis der Unterſuchung durch den Magiſtrat iſt folgendes: Der Waiſenvater Richter hat einmal dem Knaben Walter Maaß, der bei Tiſch ein bißchen ſchwatzte, die Roſenſchere im Scherz an das Ohr gelegt. Der Junge behauptete, vom Arzt Dr Roſenthal wegen einer Schnitt⸗ Sitzung vom 22. Dezember 1909 wunde behandelt zu ſein. Dieſer Arzt hat das auf Anfrage verneint. Wie feſtſteht, iſt der Junge geiſtesſchwach; ſeine Angaben ſind daher wenig zuverläſſig. Nach der Schilderung des Vorfalles durch den Hausvater Richter, die ſich mit dem deckt, was ich aus der Unterſuchung des Magiſtrats eben vor⸗ geleſen habe, hatte der Knabe am linken Ohr einen ſkrofulöſen Ausſchlag laut dem Atteſt des Dr Erdmann. Eine Schnittverletzung iſt an dem Ohr nicht nachgewieſen worden, und, was beſonders intereſſant iſt, auch die Behauptung des Jungen, daß Dr Roſenthal ihn an einer Schnittverletzung behandelt habe, iſt durch das Zeugnis des Arztes ſelbſt widerlegt. Ferner hat Hans Maaß ſelber an⸗ gegeben, daß er die angebliche Schnittwunde des Walter Maaß nicht geſehen hat, und Willy Maaß hat weiter angegeben, daß ſein Bruder Walter nicht ganz klar ſei und immer verkehrte Antworten gebe. Man ſieht alſo, daß man auf die Ausſagen des Jungen tatſächlich nichts zu geben hat, und man ſieht ferner, daß es berechtigt war, auch in dieſem Falle von einer Vernehmung der Frau Maaß Ab⸗ ſtand zu nehmen; denn die Frau Maaß hat dieſen Fall natürlich nur durch Erzählungen ihres Jungen, des Betroffenen, erfahren können, und wie un⸗ zuverläſſig der Junge iſt, das iſt durch die ganze Unterſuchung von vornherein klargeſtellt worden, auch durch ein Zeugnis des Stadtarztes, das ſich bei den Akten befindet, und dadurch, daß, worauf bereits in der vorigen Sitzung hingewieſen worden iſt, dieſer Walter Maaß jedenfalls ein geiſtig ſchwacher Junge iſt. Ich komme nun zu Fall IV. Da lauten die Angaben der Antragſteller: Willy Häntſch ſoll ebenfalls ins Ohr ge⸗ ſchnitten worden ſein. Das Ergebnis der Unterſuchung durch den Magiſtrat lautet: Willy Häntſch hat angegeben, niemals in die Ohren geſchnitten worden zu ſein. Auch die als Zeugen vernommenen Geſchwiſter Maaß wiſſen von dieſem Vorgange nichts. Es iſt daher ſelbſtverſtändlich und nur natürlich, daß der Ausſchuß den Beſchluß faßte, daß er dieſen Fall für erledigt anſieht. Es iſt alſo in allen den Fällen, die ich bisher angeführt habe, auch nicht das geringſte bewieſen worden, daß der Hausvater Richter diejenigen Handlungen verübt hat, die die Antragſteller ihm zur Laſt gelegt haben, die Vergehen verübt hat, auf Grund deren die Antragſteller auf ſchleunige Amtsentſetzung haben erkennen wollen. Fall V. Die Angaben der Antragſteller lauten: Karl Gondeck und Erich Lehmann ſollen vor anderthalb Jahre mit einer Gartenſchere in die Ohren gezwickt worden ſein. Das Ergebnis der Unterſuchung des Magiſtrats lautet: Die beiden Knaben hatten ihren Arbeits⸗ auftrag nicht erfüllt. Als der Hausvater, der gerade in der Wertſtatt beſchäftigt war und die Drahtzange in der Hand hielt, das merkte, rief er den Jungen zu: „Kommt einmal her, ihr ſollt einen Denkzettel haben“ — und kneipte ſie mit der Drahtzange, einer flachen Zange, in die Ohren, ohne daß ſie Schaden oder Schmerzen davon gehabt haben. Meine Herren, dieſe Angaben des Magiſtrats be⸗ ruhen auf den eigenen Angaben der beiden Knaben.