Sitzung vom 22 Meine Herren, man kann, ganz akademiſch geſprochen, der Anſicht ſein, daß überhaupt nicht gezüchtigt werden dürfe, weder in der Familie noch in jener Anſtalt. Aber weder in der Familie wird man dieſe Forderung unter allen Umſtänden durch⸗ führen und erfüllen können, noch in einer ſolchen Anſtalt, wo ſo verſchiedenartiges und ſchwer zu behandelndes Menſchenmaterial zuſammenfließt. Es kann für die Beurteilung aller Fälle eben nur das immer wieder hervorgehoben werden, ob dieſe Fälle genügend ſind, um auf Amtsentſetzung der Schuldigen erkennen zu können, und das iſt meines Erachtens und nach Anſicht des Ausſchuſſes in dieſen Fällen nicht der Fall geweſen. Der Hausvater Richter hat ſogar die Verpflichtung zu ſtrafen auf Grund des § 7 der Hausordnung des Waiſenhauſes, der da lautet: Der Hausvater als Träger des väterlichen Rechtes und der väterlichen Liebe hat vor allen Dingen darauf zu ſehen, daß Strafen verhütet werden. Wo dieſelben durchaus not⸗ wendig werden um der Aufrechterhaltung der Ordnung willen, bedient er ſich keiner andern Strafen, als ſie unter erſchwerten Umſtänden in jeder Familie vorkommen können und dürfen. Meine Herren, es iſt ganz mit Recht im Ausſchuß die Anſicht ausgeſprochen worden, daß, wenn man in dieſen Fällen eine Überſchreitung des Züchtigungs⸗ rechtes, die ſtrafbar wäre, annehmen wollte, dann man faſt in jeder Familie, bei jeden Eltern das gleich ſchwere Vergehen würde nachweiſen können. So ſinken meiner Meinung nach die behaup⸗ teten ſchweren Vergehen, die Tatſachen, die die Antragſteller dem Waiſenvater zur Laſt gelegt haben, in ſich zuſammen, und dem gegenüber muß ich doch noch — und ich kann es tun, da auch das im Aus⸗ ſchuß zur Sprache gekommen iſt — auf die Verdienſte hinweiſen, die Herr Richter und Frau Richter für das Wohl der ihnen anvertrauten Kinder, für die Aufrechterhaltung des ganzen Betriebes im Waiſen⸗ hauſe haben. Sie brauchen ſich dabei nur zu er⸗ innern an das, was bereits in der vorigen Plenar⸗ verſammlung vom Magiſtrat mitgeteilt und erzählt worden iſt, und was ebenfalls im Ausſchuß mehrfach dargelegt und bewieſen worden iſt. Aber, meine Herren, ich möchte auch darauf hinweiſen, daß uns im Ausſchuß die Mitteilung gemacht worden iſt, daß gerade auf Grund dieſer öffentlichen Angriffe gegen den Hausvater Richter ſich die Sympathien dieſem Ehepaare gegenüber in der Bevölkerung immermehr mehren, daß es alſo nicht nur der eine Fall der Dame in Erfurt geweſen iſt, die einen Brief an den Herrn Bürgermeiſter Matting geſchrieben hat, wie in der vorigen Plenarſitzung erwähnt worden iſt, ſondern daß auch gerade in letzter Zeit die Sympathiekundgebungen für Herrn Richter ſich vermehrt haben. 5 Es ſind uns auch direkt poſitive Angaben ge⸗ macht und objektive Beweiſe gegeben worden, die ich Ihnen vorlegen möchte, für die tägliche gute Pflege, die die Kinder durch die Sorgfalt und Liebe der Hauseltern haben. Es ſind uns die Gewichts⸗ tabellen vorgelegt worden, die der Anſtaltsarzt auf⸗ genommen hat, und die ſind ſehr intereſſant. Ich möchte Ihnen einige Daten daraus geben. Danach hat ſich herausgeſtellt, daß Karl Gondeck in vier Jahren 28 Pfund zugenommen hat, daß Willy Maaß in vier Jahren 230½ Pfund, Hans Maaß in vier Jahren 24 Pfund, Eduard Zeh und Willy . Dezember 1909 587 Häntſch in drei bzw. anderthalb Jahren beide 12 ½ Pfund zugenommen hatten. Nun wird man natürlich auf das Wachstum etwas in Abzug bringen müſſen; aber immerhin kann man aus dieſer kolof⸗ ſalen Gewichtszunahme, die in gleicher Weiſe auch bei den Mädchen nachgewieſen iſt, ſicher den Schluß ziehen, daß die Pflege, die die Kinder dort bekommen haben, durchaus gut und ſachgemäß geweſen iſt und eine ſolche geweſen iſt, wie wir ſie für die Waiſenkinder nur wünſchen können. Es iſt ferner im Ausſchuß erzählt worden, daß der Leiter unſerer ſtädtiſchen Schulzahnklinik mitgeteilt hat, daß unter allen Kindern, die er zur Behandlung und zur Be⸗ aufſichtigung bekommen hat, die Kinder des Waiſen⸗ hauſes die beſtgepflegten geweſen ſind. Alſo auch aus dieſen objektiven Befunden kann man erſehen, daß die beiden Hauseltern, Herr und Frau Richter, ihr Amt nach jeder Richtung hin gut und ſachgemäß verwaltet haben, und es war nur natürlich, daß im Ausſchuß auf Grund der Debatten und der Ver⸗ handlungen über den Teil 1 folgender Antrag ein⸗ gebracht wurde: Der Ausſchuß ſtellt auf Grund eingehender Erörterung jeder einzelnen gegen den Haus⸗ vater Lehrer Richter vorgebrachten Beſchul⸗ digung feſt, daß ſich auch nicht der geringſte Anhalt dafür ergeben hat, daß Richter ſich eine der ihm zur Laſt gelegten Handlungen zuſchulden kommen laſſen oder überhaupt gegen die ihm als Hausvater obliegenden Pflichten irgendwie verſtoßen hat. Der Ausſchuß gibt ſeinem tiefen Bedauern über die unverdiente öffentliche Kränkung Ausdruck, die einem ſtädtiſchen Beamten durch Form und Inhalt des Antrages der Stadtverordneten Bartſch und Gen. zugefügt worden iſt. Und zu meiner großen Freude kann ich Ihnen mit⸗ teilen, daß dieſer Antrag mit einer erdrückenden Majorität, mit allen gegen 2 Stimmen angenommen worden iſt. Ich glaube, daß durch die Annahme dieſes Antrages im Ausſchuß dem ſchwer gekränkten Richterſchen Ehepaare eine geringe Entſchädigung gegeben worden iſt für alle die ſeeliſchen Qualen und für die Enttäuſchungen, die ſie in den letzten Wochen durchgemacht haben. Nunmehr ging der Ausſchuß zum zweiten Teil des Antrages der Stadtv. Bartſch und Gen. über, wonach alſo das Amt des Waiſenvaters nicht mehr im Nebenamt ausgeführt werden ſollte. Meine Herren, ich kann mich bei dieſem zweiten Teil recht kurz faſſen. Es iſt einmal die Anſicht ausgeſprochen worden, daß beide Teile in einem organiſchen Zu⸗ ſammenhange ſtehen, und daß, weil ſie in einem organiſchen Zuſammenhange ſtehen, der zweite Teil abgelehnt werden müßte, weil der erſte Teil abgelehnt worden iſt. Dieſer Anſicht iſt wider⸗ ſprochen worden. Aber auch wenn man dieſen zweiten Teil des Antrages als einen ſelbſtändigen Punkt behandelt, ſo war der Ausſchuß nach den Dar⸗ legungen des Magiſtrats, daß gerade dieſes Amt ſich für eine nebenamtliche Beſetzung eignet, daß man das Amt des Waiſenvaters in dieſer Anſtalt nicht ohne weiteres mit andern Amtern vergleichen könnte, der Anſicht, daß der zweite Teil des Antrages der Stadtv. Bartſch und Gen. abgelehnt werden ſollte. Es war auch das Bedenken hinfällig, daß etwa durch die nebenamtliche Beſchäftigung der Leiter des Waiſenhauſes aufgerieben, vor der Zeit hinfällig werden würde, da er zwei Amter, das