588 Sitzung vom 22. Amt des Lehrers und das Amt des Waiſenvaters nicht vereinigen könnte. Die Ausführungen des Magiſtrats, die gerade darauf hinwieſen, daß der Lehrer Richter in ſeinem Amte körperlich direkt auf⸗ geblüht iſt, der Hinweis ferner, daß ſchon andere Bewerbungen um das Amt vorliegen, zeigen, daß eine nebenamtliche Beſetzung dieſes Amtes mit dem Amte des Lehrers wohl vereinbar wäre. Infolge⸗ deſſen hat der Ausſchuß in ſeiner Abſtimmung auch dieſen zweiten Teil des ſozialdemokratiſchen An⸗ trages abgelehnt, und zwar mit allen gegen eine Stimme; er kam darauf zu folgendem Beſchluß: Der Ausſchuß empfiehlt der Stadtverord⸗ netenverſammlung, den Antrag der Stadtverordneten Bartſch und Gen. abzulehnen. Dieſen Ausſchußantrag möchte ich Ihnen meiner⸗ ſeits ebenfalls zur Beſchlußfaſſung empfehlen. (Lebhaftes Bravo.) Stadtv. Dr. Borchardt: Meine Herren, der Herr Berichterſtatter legte ein ganz beſonderes Gewicht und einen ganz beſonderen Nachdruck darauf, daß es bei unſerem Antrage ſich um einen Antrag handelte, der darauf hinausgeht, einen langjährigen ſtädtiſchen Beamten ſeines Amtes zu entſetzen. Schon durch einen Zwiſchenruf wurde darauf hingewieſen, daß die Kennzeichnung einer ſolchen Tendenz unſeres Antrages falſch iſt. Denn es handelt ſich in unſerem Antrage nicht um die Amtsentſetzung eines langjährigen ſtädtiſchen Be⸗ amten; nicht mit einem Worte iſt in unſerm Antrage davon die Rede, daß der Lehrer Richter aus ſeinem ſtädtiſchen Amte entfernt werden ſollte. (Stadtv. Zietſch: Sehr richtig!) Ja, meine Herren, iſt denn das Hausvateramt ein ſtädtiſches Amt? Aber, meine Herren, Sie ſcheinen von vornherein von der Vorausſetzung ausgegangen zu ſein, daß es ſich nach unſerer Auffaſſung um eine Reihe außerordentlich brutaler Mißhandlungen han⸗ delt, verübt von einem Manne mit ſadiſtiſchen Neigungen. 8 (Heiterkeit und Rufe: Au!) Wenn derartige Auffaſſungen bei uns bei Stellung des Antrages vorgewaltet hätten, dann wäre es ja ganz ſelbſtverſtändlich geweſen, daß wir geſagt hätten: ein Mann, dem Derartiges nachgewieſen iſt oder wird, kann auch nicht einen Tag länger ſtädtiſcher Lehrer bleiben. Dann hätte unſer Antrag lauten müſſen und dann hätte er gelautet, daß wir die Einleitung eines Diſziplinarverfahrens gegen den Lehrer Richter mit dem Zweck der Amts⸗ entſetzung von ſeinem Lehramt verlangen. Meine Herren, einen ſolchen Antrag haben wir nicht geſtallt, denn wir waren uns von vornhere in darüber lar, daß es ſich nicht um eine Re ihe nack ge wieſener überr äßig brutaler Mißhandlungen handelt, ge⸗ ſ lIt, wie ich vorhin ſchon ſagte, mit ſadiſtiſchen N igin g , die den Mann zum Le hrerberuf und zir, Leh t untanglic machen. Deshalb enthält u ſer A 1 g auch i it keiner Silbe eine Andeutung davon, daß wir den Mann in ſeinem Amte als ſtädtiſcher Lehrer für untauglich halten, ſondern lediglich war unſer Antrag auf die Tätigkeit dieſes Lehrers als Waiſenvater, als Hausvater im Waiſen⸗ hauſe gerichtet. Und nun, meine Herren, legten wir einen ganz beſonderen Nachdruck auf den prinzipiellen Teil unſeres Antrages, welcher beſagt, daß der Magiſtrat darauf hinwirken möge, daß ein derartiges Amt Dezember 1909 auch in Zukunft nicht von einem Lehrer im Neben⸗ amte ausgefüllt werde. Wir waren uns klar darüber daß eine Reihe von Überſchreitungen des Züchti⸗ gungsrechtes vorgekommen ſind (Widerſpruch) — ja, meine Herren, darüber waren wir uns klar —, und ich muß geſtehen, die Verhandlungen im Aus⸗ ſchuß haben dieſe unſere Überzeugung nicht er⸗ ſchüttert, (ſehr richtig! bei den Sozialdemokraten) ſondern haben in einigen Fällen, wo wir vielleicht zweifelhaft waren, unſere Vermutung zur Gewißheit erhoben. Aber, meine Herren, wir ſagten uns von vorn⸗ herein: dem Hausvater Richter muß bei Über⸗ ſchreitung ſeines Züchtigungsrechtes zugute gehalten werden, daß er ein Mann iſt, der, wenn er ins Waiſenhaus kommt, eine volle Tagesarbeit hinter ſich hat, (ſehr richtig! bei den Sozialdemokraten) und daß infolgedeſſen ÜUberſchreitungen des Züchti⸗ gungsrechtes nicht mit demſelben Maßſtabe zu meſſen ſeien, nicht in derſelben harten Weiſe zu beurteilen ſeien, wie wenn ſie etwa planmäßig, ſyſtematiſch vorgenommen würden. Wir ſind der Meinung, daß das Amt eines ſtädtiſchen Lehrers einen Mann voll und ganz ausfüllt, und daß dieſes Amt — dieſes wird uns ja gerade von liberaler Seite oftmals zugegeben und oftmals auch vor⸗ gehalten — gerade von liberaler Seite wird betont, daß dieſes Amt des Lehrers ein nervenaufreibendes Amt iſt, (ſehr gut! bei den Sozialdemokraten) und deshalb ſind wir der Meinung geweſen, daß, wenn ein ſolcher Mann ein Nebenamt erhält, in welchem er gegen 40 Knaben und Mädchen zu be⸗ aufſichtigen hat, er ganz naturgemäß gar nicht dazu geeignet ſein kann, daß dabei gelegentliche Über⸗ ſchreitungen des Züchtigungsrechtes vorkommen müſſen, daß ſie ſich gar nicht vermeiden laſſen, weil wir es ja eben mit Menſchen zu tun haben. Das, meine Herren, hat uns bewogen, den Antrag zu ſtellen, ich will mal ſagen: den prinzipiellen Teil unſeres Antrages zu ſtellen, daß ein ſtädtiſcher Lehrer auch in Zukunft im Nebenamte nicht Haus⸗ vater ſein darf. Meine Herren, was nun den Bericht des Aus⸗ ſchuſſes über die einzelnen Fälle, den Bericht des Herrn Berichterſtatters über die einzelnen Fälle betrifft, ſo will ich nicht der Methode des Herrn Berichterſtatters folgen, die ſämtlichen hier ge⸗ druckt vorliegenden Fälle Ihnen zum zweiten Mal vorzuleſen. Nur möchte ich, ich will mal ſagen, in einzelnen Fällen doch hervorheben, wie ſehr die Anſchauung meiner Freunde von derjenigen der Ausſchußmehrh it abweicht und abweichen mußte. In dem Fall — wie war er genannt? ich glaube, Fall I11 war ja wohl der Fall genannt, in welchem, wie hervorgehoben wurde, ſogar ein Brief eines Arztes zur Verleſung kam, welchem der Knabe nach einer Züchtigung von der Mutter zugeführt war, ein Brief, den dieſer Arzt an den Hausvater gerichtet hat und in welchem nach den Angaben der Antragſteller dem Hausvater Vor⸗ haltungen gemacht ſein ſollen. Nach den ſogenannten Feſtſtellungen des Ausſchuſſes (Ruf: Sogenannten?!) — alſo nach der Feſtſtellung des Ausſchuſſes — ich muß allerdings ſagen: ſogenannten — (Widerſpruch)