Sitzung vom 22. alſo: nach der Feſtſtellung (Bravo! Bravo! bei den Liberalen — Heiterkeit) — alſo für den Ausſchuß war es eine Feſtſtellung. Nach dieſer Feſtſtellung heißt es: Der Brief Dr Roſenthals wird verleſen; er enthält keine Vorhaltungen Richter gegenüber. Ich möchte alſo ſagen: nicht Feſtſtellung, ſondern Urteil; das iſt ja keine Feſtſtellung aus dem Briefe, ſondern das iſt ein Urteil über den Inhalt des Briefes. folgende Stelle: Wenngleich ich weiß, daß das Züchtigungs⸗ recht Ihnen zuſteht, und wenngleich ich mir vorſtellen kann, daß Sie durch die Jungen mancherlei Arger haben, halte ich es doch für gefährlich, für Sie vor allem, in ſolcher Weiſe zu ſchlagen. (Hört, hört! bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, Sie mögen der Meinung ſein, daß darin keine Vorhaltung liegt; ich bin der Meinung, daß darin eine Vorhaltung in optima forma liegt. (Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Und, meine Herren, der Brief fährt dann noch fort und gibt, über die Kompetenz des Arztes hinaus, dem Hausvater den guten Rat, doch die Sache güt⸗ lich aus der Welt zu ſchaffen. Die Mehrheit des Ausſchuſſes urteilt — oder ſtellt feſt —, daß eine Vorhaltung hierin nicht enthalten iſt. Sie werden nach dieſer Probe begreifen, daß meine Freunde nicht überall mit derjenigen Auffaſſung aus den tatſächlichen Feſtſtellungen übereinſtimmen konnten, die die Mehrheit des Ausſchuſſes ſich zu eigen machte. Aber, meine Herren, nach alledem, was ich hier geſagt habe, würde Ihnen immer noch verwunderlich erſcheinen, daß unſer Antrag eine ſchleunige Ent⸗ fernung oder ſchleunigſte Entfernung (Rufe: Jawohl!) des Hausvaters Richter aus ſeiner nebenamtlichen Tätigkeit als Hausvater verlangt, und ich muß Ihnen ſchon geſtehen, daß unſere Menſchenfreund⸗ lichkeit nicht ſoweit ging, dieſe ſchleunigſte Ent⸗ fernung in erſter Linie im Intereſſe des Lehrers Richter zu verlangen. (Rufe bei den Liberalen: So!) Ganz gewiß halten wir die Entfernung auch in ſeinem Intereſſe gelegen, aus den vorhin ange⸗ führten Gründen; aber dieſe ſchleunigſte Ent⸗ fernung, die wir verlangten — dieſer Antrag war allerdings nicht entſprungen aus irgendwelchem Intereſſe an Herrn Richter, nicht einmal aus einem Intereſſe an den Kindern der Schule, an der Herr Richter wirkt, wenn wir auch ganz unmaßgeblich ebenfalls der Überzeugung ſind, daß bei einem der⸗ artig überlaſteten Mann auch das Amt leiden muß, ſondern, meine Herren, dafür waren für uns Dinge maßgebend, die die Mehrheit des Ausſchuſſes für abſolut unerheblich erklärt hatte. Der ſogenannte Fall vII lautete nach den Angaben der Antragſteller: Auch ſollen die Maaß'ſchen Knaben durch nichtachtende Behandlung im Waiſenhaus in eine ſehr gedrückte Stimmung gekommen ſein und einer der Knaben ſeiner Mutter gegenüber Selbſtmordgedanken geäußert haben. Meine Herren, bei dieſem Fall konnte die Angabe der Antragſteller ſogar ſehr viel beſtimmter lauten; Dezember 1909 589 ſie hätte lauten können: „Auch ſind die Knaben durch die Behandlung im Waiſenhauſe in eine ſolche Stimmung geraten und hat der eine Knabe ſeiner Mutter gegenüber in dieſer Stimmung Selbſtmord⸗ gedanken geäußert.“ Und, meine Herren, wenn auch alle möglichen Milderungsgründe bei uns dafür ſprechen, daß eine gelegentliche Überſchreitung des Züchtigungsrechtes vorkommen kann, ſo haben wir doch kein Verſtändnis dafür, daß, wenn aus Anlaß der Züchtigung von Knaben irgendwelche weiteren Nun, meine Herren, findet ſich in dem Briefe Dinge ſich ereignet haben, die dem Hausvater oder Erzieher unangenehm ſind, daraus nun ein Anlaß genommen werden kann, dieſe Knaben anders zu behandeln, nichtachtender zu behandeln als die andern Kinder und durch nichtachtende Behand⸗ lung ein dauerndes Gefühl der Niederdrückung und Erdrückung in ihnen zu erzeugen, wie es hier der Fall war. Das aber nahmen wir an und mußten wir annehmen — und ich muß geſtehen: nach dem ganzen Gange der Verhandlungen bin ich auch heute von dieſer Überzeugung nicht zurückgekommen — das mußten wir annehmen als geſchehen von dem Hausvater Richter in ſeiner Eigenſchaft als Haus⸗ vater. Demgegenüber konnte natürlich nur eine ſchleunige Entfernung aus dieſem Hausvateramte angebracht ſein. (Lachen.) Denn wenn ein Mann derartig wenig ſich dieſe Kinder angelegen ſein läßt, dann iſt er nach unſerer Meinung nicht nur ungeeignet für dieſes Amt, ſondern dann liegt ſogar eine dringende Gefahr vor, welche einen ſolchen Antrag rechtfertigt. So, meine Herren, iſt dieſer Antrag entſtanden, und nach dem ganzen Ergebnis der Beweisaufnahme ſind wir nicht in der Lage, uns dem Lob, das hier Herrn Richter geſungen wurde, anzuſchließen. Zu unſerem Bedauern müſſen wir erklären, daß der Eindruck, den wir von den Ausſchußverhandlungen bekommen haben, eben nicht geeignet war, unſere Anſchauungen zu erſchüttern. Der Ausſchuß freilich erklärte dieſes letzte von mir Angeführte, was für uns außerordentlich wichtig war für die ganze Sache und für die Beur⸗ teilung der ganzen Sache, für „ſo unerheblich, daß wir es nicht mal der Mühe für wert halten, darüber Beweis zu erheben.“ Das war doch ein Vorgang, über den der Magiſtrat nicht ohne weiteres Beweis erheben konnte, ohne daß der Ausſchuß einen Wunſch dahin äußerte. Der Ausſchuß wünſchte keinen Beweis darüber. Danach werden Sie wohl verſtehen, daß wir der Verhandlung im Ausſchuß keine übermäßig beweiſende Kraft beilegen konnten. Freilich iſt in dem Ausſchuß noch manches andere zur Sprache gekommen. Es iſt darauf hin⸗ gewieſen worden — ich glaube, bei der letzten Ver⸗ handlung, als der zweite Teil unſeres Antrages zur Verhandlung ſtand, daß man vielleicht prinzipiell — oder theoretiſch, glaube ich, ſagte man — unſerem Antrage zuſtimmen könnte, daß praktiſch aber die Dinge anders liegen, daß praktiſch die Sache ſo liegt, daß dieſe Hausvaterſtelle nur ſo eine Art Ferienurlaub oder Ferienerholung iſt, daß der Hausvater gerade durch dieſe Tätigkeit als Haus⸗ vater in dem Waiſenhauſe, wo er in einer Weiſe ſich in friſcher Luft bewegen konn, wie es ſonſt ein Schullehrer in einer großen Stadt nicht kann, eine ſolche Förderung in ſeinem körperlichen und damit ſeeliſchen Wohlbehagenfindet, daß man alſo auch ganz dieſem prinzipiellen Einwand, dem man vielleicht theoretiſch zuſtimmen könnte — ſo ähnlich lautete