Sitzung vom 22. Dezember 1909 — Ach, haben Sie doch keine Sorge! Was dort in der „Vorwärts“⸗Notiz ſteht, das habe ich im Aus⸗ ſchuſſe den Herren Mitgliedern direkt zu ſagen ge⸗ wagt, die umwege brauche ich nicht, um meine Meinung zu ſagen. (Stadtv. Otto: Es ſteht darin, daß kein Junge ver⸗ nommen worden iſt!) — Durch den Ausſch uß iſt auch kein Junge ver⸗ nommen worden, Herr Kollege Otto. Wir haben ja gefordert, daß die Vernehmung durch den Aus⸗ ſchuß erfolgen ſoll. Als die Sache von der „Vor⸗ wärts“⸗Notiz zur Sprache kam, ſagte Herr Kollege Otto oder er dachte etwas laut vor ſich hin: „Das iſt des Vorwärtſes würdig!“ — ſo ungefähr war die Außerung. (Stadtv. Otto: Ich habe nicht geſagt: „des Vor⸗ wärtſes“ — ſondern nur: „des Vorwärts“! — Heiterkeit.) — Da ich nicht Lehrer und Schulmeiſter bin, ſo müſſen Sie mich ſchon entſchuldigen. — Herr Kollege Otto, der nach ſeinen Auslaſſungen in der vorigen Sitzung auch die hieſige Preſſe ſo genau lieſt, hätte dabei zugleich ſagen können, was der „Neuen Zeit“ würdig iſt. In der „Neuen Zeit“ hat im Anſchluß an die Verhandlung, die wir in der vorletzten Sitzung hatten, folgendes geſtanden: Als Oberbürgermeiſter Schuſtehrus aus⸗ führte, daß, wenn ſchon einmal von Zucht⸗ mitteln Gebrauch gemacht werden müßte, die Schläge nur wirkten, wenn ſie Striemen gäben, ertönten laute Oho⸗Rufe bei den Sozialdemokraten. Der Redner fügte nun, als von dieſer Seite bezweifelt wurde, daß derartige Schläge Striemen hervorriefen, hin⸗ zu: „Ich möchte es an Ihnen probieren!“ — eine Bemerkung, die große Heiterkeit hervor⸗ rief. Nun wird ein ſolches Experiment, wie es der Herr Oberbürgermeiſter als nützlich hinſtellte, in der Praxis nicht vorgenommen werden; aber moraliſche Schläge haben die „Genoſſen“ erhalten, und es war amüſant, zu ſehen, wie die Sozialdemokraten, die erſt ſo ſicher auftraten, ſpäter winſelten wie Straßenjungen, (Heiterkeit) die ſich ungezogen benommen haben und denen deshalb das Fell tüchtig verprügelt worden iſt. — Die „Neue Zeit“ iſt nicht nur freiſinnig, ſie iſt auch das Publikationsorgan des Magiſtrat s. — Wenn wir trotz alledem mit Ihnen in den Aus⸗ ſchuß gegangen ſind und uns an den Beratungen beteiligt haben, ſo veranlaßten uns, noch Hoffnungen in die Arbeiten des Ausſchuſſes zu ſetzten, vor allen Dingen die Ausführungen, die Kollege Wöllmer in der vorletzten Sitzung gemacht hatte. Er ſagte da: Mögen die Herren mit uns in den Ausſchuß kommen und mögen ſie da ihre Zeugen nennen und alles ſagen, wozu ſie eventuell hier in der Verſammlung nicht in der Lage ſind; mögen ſie dann vollſtändig das zu beweiſen ſuchen, was ſie hier behauptet haben. Wir haben uns bemüht, Herr Kollege Wöllmer, im Ausſchuß unſere Zeugen anzugeben; wir be⸗ antragten, auch ſie vorzuladen, um ſie durch die Herren verhören zu laſſen. Aber im Ausſchuß hatte man rechtliche Bedenken dagegen erhoben und ge⸗ meint, der Ausſchuß dürfe überhaupt keine Zeugen 593 verhören, das gehöre nicht zu den Kompetenzen eines Ausſchuſſes, der von der Stadtverordneten⸗ verſammlung eingeſetzt ſei, dem widerſprächen die Beſtimmungen der Städteordnung. Von unſerer Seite iſt dann im Ausſchuß darauf hingewieſen worden, daß in der Tat ſchon Fälle vorliegen — nicht in Charlottenburg, aber in Berlin —, daß ein⸗ geſetzte Stadtverordnetenausſchüſſe Zeugen ver⸗ nommen haben. Man kam dann im Ausſchuß, nicht aus nur rechtlichen Bedenken, ſondern auch aus ſachlichen, dazu, die Vernehmung von weiteren Zeugen überhaupt abzulehnen auf Grund der Auf⸗ faſſung, der auch der Herr Referent hier Ausdruck gegeben hat, indem man ſich auf den Standpunkt ſtellte: Die Erwachſenen wären ja gar nicht bei dieſen einzelnen Dingen, die vorgekommen ſein ſollten, geweſen, ergo hätten die Erwachſenen niemals aus eigener Anſchauung etwas bezeugen können, ſondern alles wäre nur von den Kindern zu erfahren. Die Erwachſenen würden erſt in zweiter Linie als Zeugen anzuſehen ſein, und ſie würden auch nicht mehr ungefärbt das ausſagen können, was paſſiert ſei. Herr Kollege Dr Röthig iſt darauf zu ſprechen gekommen, warum Frau Maaß nicht verhört worden ſei; er ſagte: Für den Magiſtrat hätte gar keine ſachliche Notwendigkeit mehr vor⸗ gelegen, die Frau Maaß zu hören, nachdem ja der Magiſtrat von dem Protokoll Kenntnis bekommen hätte, das nach den Angaben der Frau Maaß auf⸗ geſetzt worden war. Wir haben im Ausſchuß etwas anderes gehört, warum die Frau nicht vernommen worden iſt: man hat ſie deshalb nicht vernommen, weil man ſich ſagte: Die Frau Maaß iſt erſt dort und dort hingegangen, wir können es nicht mehr auf uns nehmen, ſie auch noch zu hören. Und was ſoll denn die Frau anderes ausſagen als Belaſtendes; Ent⸗ laſtendes wird ſie nicht mitteilen. (Zuruf: Frechheit!) — Das iſt keine Frechheit, ſondern das iſt geſagt worden, alſo Wahrheit! (Stadtv. Protze: Nein, das iſt nicht geſagt worden!) Vorſteher Kaufmann: Ich habe den Aus⸗ druck „Frechheit“ nicht gehört. Sollte er gefallen ſein, und ich hätte ihn gehört, ſo würde ich ihn zweifellos gerügt haben. — Da ſich niemand für den Ausdruck meldet, kann ich nicht einſchreiten. Sollte er gefallen ſein, ſo muß ich allerdings den⸗ jenigen, der ihn getan hat, aufs ernſtlichſte rügen. Stadtv. Zietſch (fortfahrend): Herr Vor⸗ ſteher! — Ich habe den Ausdruck bis hierher ge⸗ hört, Sie haben ihn jedenfalls dort nicht gehört; das Wort iſt aber gebraucht worden. Wenn dieſe Angabe nicht im Ausſchuß gemacht worden ſein ſollte, dann iſt es zum mindeſten in einer der Unterhandlungen geſagt worden, die der Beſchwerdeführer mit dem Magiſtrat reſp. mit dem Vertreter des Magiſtrats geführt hat. Ich könnte mir doch dieſe Sachen nicht ohne weiteres irgend⸗ woher holen, wenn ſie nicht in der Tat paſſiert wären. Es kommt noch hinzu, daß, als im Falle Hoffmann im Ausſchuß ein neues Vorkommnis aufgerollt wurde und der Ausſchuß die vom Ma⸗ giſtrat noch nicht vorgenommene Zeugenverneh⸗ mung beſchloſſen hatte, meine Freunde forderten, daß den Mitgliedern des Ausſchuſſes Gelegenheit gegeben werden ſollte, wenigſtens an der Zeugen⸗ vernehmung, wenn ſie nicht im Ausſchuß ſelbſt