Sitzung vom 22. Dezember 1909 597 Die Kinder tun alles mit großer Luſt, ſie drängen] im übrigen war die ganze Rede des Herrn ſich zu den Arbeiten: „Ach, Herr Inſpektor, das laſſen Sie mich machen! — Das möchte ich machen!“ Da iſt eine große Freude zu der Arbeit. Und ſie machen ſich unter Anleitung alles ſelber dort, die anze Hauswirtſchaft wird ſelbſt gemacht, die heaterrequiſiten, die großen Sammlungen, (Stadtv. Dr Crüger: Zur Sache! zur Sache!) alles machen ſie ſelbſt. Aber meine Herren, im Nebenamt geht das nicht, das iſt nicht möglich, ſondern dazu muß der Lehrer oder Erzieher im Hauptamt angeſtellt ſein. Und, meine Herren, ich glaube, wir werden auch hier noch auf andere Grundſätze kommen, wir werden nicht bei dem §7 ſtehen bleiben, der förmlich den Lehrern es an die Hand gibt, zu prügeln, ſondern wir werden uns allmählich überzeugen, daß auf andere Weiſe auch erzogen werden kann und beſſer erzogen wird. Wir haben ſchon einen kleinen Anfang, möchte ich ſagen, gemacht: in den ſtädtiſchen Kindergärten wird nicht geprügelt, da geht es eben ſo, da werden die Kinder ohne Schläge erzogen und kommen doch nicht auf Unſinn, ſondern ihr Eifer wird ſtets bei der Sache erhalten. Ich denke, auch wenn Sie unſeren Antrag nicht annehmen, ſo werden Sie doch einmal dazu kommen, daß Sie das Prügelſyſtem ablehnen. (Bravo! bei den Liberalen.) Stadtv. Meyer: Meine Herren, aus den Ge⸗ filden der Seligen, in die uns Herr Kollege Vogel, geführt hat, muß ich Sie leider wieder zurückrufen, um mich doch mit einigen ernſten Bemerkungen gegen die Ausführungen des Herrn Kollegen Zietſch zu wenden. Ich ſchicke voraus, daß ich per⸗ fönlich allerdings auch auf dem Standpunkt ſtehe, daß Schläge ſo wenig wie möglich als Erziehungs⸗ mittel verwendet werden, und ich gebe den Herren, wie ich es im Ausſchuß ſchon getan habe, zu, daß man gewiß darüber ſtreiten kann, ob vielleicht dieſe oder jene Züchtigung, die der Hausvater Richter bei der Erziehung ausgeübt hat, beſſer nicht an⸗ gewendet worden wäre. Aber das haben wir hier nicht zu prüfen; wir haben nicht zu prüfen, ob jede einzelne Handlung des Herrn Richter in ſeiner jahrelangen Tätigkeit unſer aller Beifall findet, ſondern lediglich, ob der Antrag der ſozialdemo⸗ kratiſchen Fraktion auf ſeine ſchleunige Entfernung aus dem Hausvateramte gerechtfertigt war, ein Antrag — und das betone ich Herrn Kollegen Dr Borchardt gegenüber —, der nicht geſtützt war auf die Doppelſtellung des Herrn Richter als Ge⸗ meindeſchullehrer und Hausvater, ſondern auf die angeblichen Mißhandlungen der Kinder in der Anſtalt. Dieſer Antrag konnte nur ſeine Berechti⸗ gung finden in dem Nachweiſe grober Pflicht⸗ verletzungen, und darauf allein konnte und mußte der Ausſchuß ſeine Unterſuchung richten. Den Herren Kollegen von der ſozialdemo⸗ kratiſchen Fraktion iſt dieſe Feſthaltung eines be⸗ ſtimmten Beweisthemas von vornherein recht un⸗ bequem geweſen, und ſie iſt es auch heute noch. Daraus erklären ſich alle die Verſuche, das Beweis⸗ thema in irgendeiner Richtung zu verſchieben. Darum haben wir zunächſt heute die ſophiſtiſchen und furchtbar unintereſſanten Auseinanderſetzungen darüber gehört, ob Richter ſtädtiſcher „Beamter“ iſt oder nicht, eine Frage, deren Erörterung ſogar einigermaßen komiſch wirkt angeſichts der Tatſache, daß wir uns ſeit mehreren Wochen als ſtädtiſche Körperſchaft mit Herrn Richter befaſſen. Aber auch Dr Borchardt ja weiter nichts als eine Verſchiebung des Beweisthemas! Am Anfang dieſer Rede haben wir geglaubt, Herr Kollege Dr Borchardt wolle nicht die ſofortige Entlaſſung, ſondern eine Gehalts⸗ erhöhung für Herrn Richter beantragen. (Stadtv. Zietſch: Auch das noch!) Und als Sie ſich gar nicht mehr helfen konnten, da kam ein Mittel der Beweisführung, das ich Ihnen als einziges doch recht erheblich übel nehme, nämlich die Verdächtigung der Majoritätsparteien des. Ausſchuſſes, auf Grund der Vorwürfe, die Sie auch ſchon im Ausſchuß zu erheben für gut befunden haben. Herr Kollege Borchardt ſprach von einer Abgeſchloſſenheit und meinte damit (Zuruf) — o Pardon, Herr Kollege Zietſch war es — eine Voreingenommenheit, mit der die Mehrheit in die Ausſchußberatungen eingetreten ſei, aus der heraus ſie ſich von vornherein uns verſchloſſen hätte gegen die erhobenen Anklagen. Ganz im Gegenteil: wir waren eben nicht voreingenommen — im Gegen⸗ ſatze zu den Antragſtellern, die Verdächtigungen und Schuldbeweis verwechſelten. Wir waren uns bewußt, daß es die Pflicht jedes zum Richter Be⸗ rufenen iſt, in dem Angeklagten nicht einen Mann zu ſehen, der zu verurteilen iſt, ſondern einen Mann, deſſen Schuld erſt bewieſen werden muß, und der ſo lange für unſchuldig gilt, bis ſeine Schuld be⸗ wieſen iſt. (Sehr richtig!) Das über die Voreingenommenheit. Aber noch viel ſchlimmer iſt der Vorwurf, den die Herren zu wiederholen den Mut haben, es ſei dem Ausſchuß in ſeiner Mehrheit nicht darum zu tun geweſen, die nötige Aufklärung zu ſchaffen. Zunächſt wollen wir uns einmal darüber klar ſein — und ich verſtehe eigentlich gar nicht, wie Sie dazu kommen, das zu bezweifeln —, daß wir alle genau dasſelbe Herz haben für die Zöglinge der Waiſen⸗ anſtalt, daß die Wahrnehmung dieſer Intereſſen keine Fraktionsſache iſt, ſondern jedem Stadt⸗ verordneten in gleichem Maße obliegt. (Sehr richtig!) Natürlich haben wir nicht nur das Herz für die Kinder, ſondern auch das Herz für den Lehrer, (Bravo!) und das hätten wir von Ihnen eigentlich auch er⸗ wartet; aber hier verſagt Ihr Herz, und wir ſehen bei Ihnen nichts als den Wunſch, dieſen Mann in der Offentlichkeit bloßzuſtellen, obwohl ſeine Schuld nicht nur nicht feſtſteht, ſondern niemals ein be⸗ gründeter Verdacht der Schuld vorhanden war. (Sehr richtig!) Mit welchem Rechte werfen Sie uns Verdunkelungs⸗ abſichten vor? Wie würde es Ihnen gefallen, wenn wir dieſelbe Taktik anwenden würden, die Sie heute treiben, und etwa die Behauptung aufſtellen wollten, daß Sie den ganzen Antrag geſtellt haben nicht aus Intereſſe für die Zöglinge der Waiſen⸗ anſtalt, ſondern um Senſation zu machen und ſich als die tapferen Retter dieſer Kinder hinzuſtellen! (Sehr richtig! Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Ebenſo energiſch, wie Sie ſich das verbitten, ebenſo energiſch verbitten wir uns den Vorwurf, daß wir nicht Aufklärung ſchaffen wollen, den wir ſchon im Ausſchuß mit allem Ernſte zurückgewieſen haben und der hier abermals die allerſchroffſte und ſchärfſte Zurückweiſung verdient. (Bravo!)